# taz.de -- Debatte Schulz-Manie: Vertrauen auf das G-Wort
       
       > „Gerechtigkeit“ will der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz zum Hauptthema
       > seiner Kampagne machen. Nur: Welche genau meint er?
       
 (IMG) Bild: Konkrete Aussagen über sein Wahlprogramm stehen noch aus: SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz
       
       Alle Kandidaten würden „monatelang rund um die Uhr geprüft ob ihrer
       Zähigkeit, ihrer Geschmeidigkeit, ihrer Durchsetzungskraft, ihrer
       Krisenfestigkeit. Und vor allem in der Ausdauer, Plattitüden zu
       wiederholen.“ Das schrieb der Spiegelzum Bundestagswahlkampf 1998. Damals
       gewann die SPD mit ihrem Kanzlerkandidaten Gerhard Schröder drei Millionen
       Zweitstimmen dazu und erreichte 40 Prozent.
       
       Die Frage ist, ob der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz im Wahlkampf 2017
       mit Plattitüden durchkommt. Ob er seine Wahlchancen erhöht, wenn er sich
       nicht zu sehr festlegt, sondern als Projektionsfläche für alle Merkel-Müden
       durch die Lande zieht.
       
       WählerInnen wollen von den Spitzenkandidaten ein Vereinfachungsangebot und
       etwas Spektakel. Diese Erwartungen scheint Schulz zu erfüllen, und es ist
       ein angenehmer Effekt der Schulz-Manie, dass die AfD dadurch etwas aus dem
       Fokus der Medien rutscht.
       
       Aber bis zur Wahl sind es noch acht Monate. Schulz hat das Thema
       „Gerechtigkeit“ auf seine Agenda gesetzt, und er wird nicht umhinkönnen,
       sich genauer festzulegen. Das Problem dabei ist, dass sich in Deutschland
       viele Menschen ungerecht behandelt fühlen. Das Gefühl der Benachteiligung
       zieht sich quer durch die Schichten, was auch eine Folge des Abbaus
       kollektiver Sicherungen ist.
       
       Ungerecht behandelt fühlen sich Facharbeiter, die nur noch Jobs in der
       Zeitarbeit finden. Als benachteiligt empfinden sich die Frauen in der
       privaten Dienstleistung, die trotz jahrzehntelanger Verkaufs- oder
       Pflegetätigkeit später nur eine Armutsrente erreichen. Hinzu kommen die
       gesundheitlich Angeknacksten, Mieter in Ballungszentren, Alleinerziehende
       in Teilzeitjobs – die gefühlte Benachteiligung hat nicht nur mit Herkunft,
       Bildung und Einkommen, sondern auch viel mit Wohnsitz, familiärer
       Situation, Gesundheitszustand, Glück und Unglück zu tun, hat sich also
       gewissermaßen individualisiert.
       
       ## Der Robin Hood aller Benachteiligten
       
       Bei den Einkommensschwachen ist noch eine gefühlte Sozialkonkurrenz mit den
       Geflüchteten hinzugekommen, deren Versorgung und Integration Milliarden
       kostet. Die Kritik und Aggression gegenüber den Reichen wird in der
       öffentlichen Gerechtigkeitsdebatte seit anderthalb Jahren leider von der
       Hetze gegenüber Migranten und Flüchtlingen überlagert. In dieser Situation
       ist es für Schulz schwierig, sich als Robin Hood aller Benachteiligten zu
       profilieren. Er muss versuchen, Gruppen von Benachteiligten einerseits und
       Privilegierten andererseits zu identifizieren, über deren ungerechte
       Behandlung ein breiter Konsens unter den WählerInnen besteht.
       
       Jede klare Front ist da willkommen: Die SPD will zu Recht die steuerliche
       Abzugsfähigkeit von übermäßig hohen Versorgungsbezügen von Spitzenmanagern
       in Unternehmen begrenzen. Da werden viele WählerInnen mitgehen. Auch die
       Pauschalsteuer für Kapitalerträge will Schulz abschaffen, dies wird
       ebenfalls nicht auf großen Widerstand stoßen.
       
       Dass es ungerecht ist, wenn Familien in den Ballungszentren keine Wohnung
       finden oder RentnerInnen durch Modernisierungen in die Mieterarmut
       getrieben werden, wird auch kaum jemand bestreiten. Verspricht die SPD im
       Wahlkampf, die Mietpreisbremse zu schärfen, Mieterhöhungen nach
       Modernisierungen zu begrenzen und den sozialen Wohnungsbau stärker zu
       fördern, könnte sie mit diesen überfälligen Regelungen bei Betroffenen in
       den unteren und mittleren Schichten punkten.
       
       ## Wählerstimmen zurückgewinnen
       
       Mehr als die Hälfte der WählerInnen lebt allerdings in Klein- und
       Mittelstädten und in ländlichen Regionen. Die soziale und wirtschaftliche
       Kluft zwischen Wachstumsmetropolen und abgehängten Regionen wächst. Schulz
       muss konkretisieren, was er für die medizinische, schulische und
       verkehrstechnische Infrastruktur in diesen Regionen tun will, sonst
       verpasst er ein künftiges Thema des sozialen Ausgleichs. Wahrscheinlich
       lassen sich hier auch Wählerstimmen von der AfD zurückgewinnen.
       
       Schwieriger wird es mit den Steuerentlastungen für untere und mittlere
       Einkommen und der höheren Besteuerung der „Reichen“, die SPD-Vize Thorsten
       Schäfer-Gümbel ins SPD-Wahlprogramm schreiben lassen will. Was heißt
       mittlere Einkommen? Muss jemand mit 3.500 Euro brutto im Monat steuerlich
       entlastet werden? Und ab wann ist jemand reich?
       
       Die existierende „Reichensteuer“ für Leute ab einem Monatseinkommen von
       21.000 Euro bringt wenig, weil es so viele Traumverdiener gar nicht gibt.
       Verdiener mit einem Monatsbrutto von 5.000 Euro wiederum fühlen sich eher
       als Mittelschicht. Genau wie die Erben, denen die Eltern das
       600.000-Euro-Haus hinterlassen und die darauf keine Erbschaftsteuer zahlen
       wollen. Jede ehrliche Gerechtigkeitsdebatte wird naturgemäß komplex, was
       dem Wählerwunsch nach Vereinfachung und Spektakel widerspricht.
       
       ## Gute Regulierungserfahrungen
       
       Geht es aber um Regulierungen für die Wirtschaft, etwa für Zeitarbeiter,
       genießt Schulz einen Vorteil, den der SPD-Kandidat Gerhard Schröder vor 19
       Jahren nicht hatte: Die Wirtschaft läuft derzeit gut, die Arbeitslosigkeit
       ist vergleichsweise gering. Die übliche Drohung der Arbeitgeber, dass eine
       stärkere Regulierung der Wirtschaft oder eine zu hohe Steuerlast der
       Unternehmen Jobs koste, hat derzeit wenig Durchschlagskraft. Die jüngsten
       Erfahrungen mit Regulierungen sind gut: Der Mindestlohn hat so gut wie
       keine Jobs vernichtet.
       
       Vielleicht aber scheren sich die BürgerInnen in den nächsten Monaten gar
       nicht so sehr um das Thema Gerechtigkeit. Deutschland ist Zielgebiet für
       terroristische Attacken – ein, zwei Anschläge, und die Leute interessieren
       sich kaum noch für die Steuerkurve. Wir sind umgeben von einem Europa, in
       dem Deutschland mit seinem wirtschaftlichen Erfolg misstrauisch beäugt wird
       und rechte Parteien an die Macht drängen. Ein vordemokratisch wirkender
       Präsident regiert in den USA.
       
       Womöglich wählen viele angesichts der gruseligen Weltlage lieber die
       vertraute Langzeitkanzlerin. Vielleicht aber auch nicht – wenn Schulz es
       wagt, „Gerechtigkeitspolitik“ mit Inhalten anzukündigen, und die Risiken
       eingeht, die das mit sich bringt. Er hat weniger zu verlieren, als er
       denkt.
       
       18 Feb 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Barbara Dribbusch
       
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