# taz.de -- Journalist über Mafia-Berichterstattung: „Ich gewinne leider nie“
       
       > Claudio Cordova ist Chef der Netzzeitung „Il dispaccio“ in Reggio. Im
       > Interview spricht er über die Risiken für investigative Journalisten im
       > „Kriegsgebiet“.
       
 (IMG) Bild: Die Festnahme des untergetauchten Ndrangheta-Bosses Antonio Pelle am 5. Oktober 2016
       
       taz: Herr Cordova, mit Ihrer [1][Webzeitung il dispaccio] sind Sie
       selbständiger Journalist in Reggio Calabria, das Sie ein „Kriegsgebiet“
       nennen. Wie kamen Sie zu dieser spezifischen Art, Ihren Beruf auszuüben?
       
       Claudio Cordova: Als Journalist arbeite ich, seit ich 18 Jahre alt bin. Bis
       Dezember 2011 war ich für lokale Medien tätig, immer investigativ auf dem
       Sektor, der sich in Reggio aufdrängt: organisierte Kriminalität,
       Ndrangheta. Bei einem dieser Medien wurde ein Beitrag von mir von der
       Website gelöscht. Es ging um einen Lokalpolitiker und seine Verbindungen
       zur Ndrangheta. Daraufhin habe ich 2012 il dispaccio gegründet. Ich wollte
       meinem eigenen moralischen Kompass folgen. Über den Inhalt des gelöschten
       Artikels habe ich später ein Buch geschrieben – und wurde nicht verklagt:
       Weil ich die Wahrheit gesagt habe und die Beweise hatte.
       
       Wie funktioniert il dispaccio?
       
       Kalabrien ist arm, viele Zeitungen mussten schließen, die Leute zahlen
       nicht für Information. Es gab also keine Alternative zu Online, zur
       Multimedialität, zur [2][Verbreitung über die sozialen Netzwerke]. Wir
       finanzieren uns ausschließlich über Werbung, akzeptieren keine öffentlichen
       Gelder. Denn genau da sind wir mitten im Problem: Es gibt in Kalabrien
       keinen öffentlichen Bereich, für den man ausschließen kann, dass die
       Ndrangheta mitmischt. Da wir aggressiv sein wollen, können wir das nicht
       machen.
       
       Aber ist der private Sektor, der dann Werbung schaltet, nicht ebenso
       mafiaverseucht? 
       
       Klar ist , dass wir nicht mit Firmen zusammenarbeiten, gegen die ermittelt
       wird. Aber unsere Anzeigenabteilung recherchiert auch intensiv, ob Kunden,
       gegen die nichts vorliegt, zu uns passen oder nicht. Die mafiösen Firmen
       suchen wir erst gar nicht, und sie suchen uns auch nicht unbedingt, weil
       wir kein Umfeld bieten, in dem sie sich wohlfühlen.
       
       Aber es wäre nicht das erste Mal in Kalabrien, dass die Ndrangheta eben ein
       sauberes Umfeld unterwandert. 
       
       Es ist uns noch nicht passiert. Aber wir bleiben sehr vorsichtig. Die
       Ndrangheta ist in erster Linie ein Beziehungsgeflecht. Die
       Anzeigenabteilung muss deswegen bei jedem Kunden Rücksprache halten mit der
       Redaktion, nicht was die Preise angeht, sondern die mögliche Verwicklung
       mit der Organisierten Kriminalität. Und wir haben dann auch schon laufende
       Verhandlungen abgebrochenen. Es lag nichts Konkretes vor, aber wir haben
       lieber das Geld verloren als ein Risiko einzugehen. Was uns hilft, ist,
       dass Kalabrien weniger als zwei Millionen Einwohner hat, und wir sehr gut
       vernetzt sind. Man weiß also normalerweise, mit wem man es zu tun hat.
       
       Wie viele Visits hat il dispaccio? 
       
       Wir haben durchschnittlich 25.0000 bis 30.000 Besuche am Tag, mit
       erreichten Spitzenwerten bei 70.000.
       
       Wie viele Leute leben von der Arbeit bei il dispaccio? 
       
       Wir sind ungefähr zehn Leute, die an den Redaktionssitzungen teilnehmen.
       Die Hälfte davon etwa übernimmt auch redaktionelle Aufgaben, die anderen
       sind Autoren. Träger von il dispaccio ist ein Kulturverein, der auch Bücher
       herausgibt und Konferenzen organisiert. Derzeit konzentrieren wir uns aber
       auf die Webzeitung.
       
       Sind die Beschäftigten krankenversichert? 
       
       Nein, darum müssen sie sich selbst kümmern.
       
       Was bedeutet „investigativ“ genau in Bezug auf die Ndrangheta? 
       
       Es geht schlicht darum, das aufzudecken, was andere im Verborgenen halten
       wollen: Den grauen Sektor aufzuklären, wie wir hier sagen. Der militärische
       Arm der Ndrangheta, also der, von dem man meistens in den Nachrichten hört,
       ist in den letzten Jahren durch Justiz und Polizei unter Druck geraten. Das
       muss weitergehen, aber wir zielen auf die Verbindung mit den
       gesellschaftlichen [3][Eliten]. Denn ohne die wäre die Ndrangheta einfach
       eine Bande von Mördern, Erpressern und Dealern geblieben.
       
       Werden Sie bedroht? 
       
       Alle fragen das immer, nicht nur im Ausland. Und [4][die Antwort ist ja].
       Aber die „physische“ Bedrohung ist nicht entscheidend. Man versucht uns zu
       isolieren und diffamieren. Seit ich il dispaccio mache, wurde ich auf über
       eine Million Euro Schadenersatz verklagt – und nie verurteilt. Aber diese
       Sachen kosten Kraft, Zeit und Geld, es ist wie beim Fußball: Mein bestes
       Ergebnis ist ein Unentschieden, ich kann leider nie gewinnen.
       
       Was in Reggio auffällt, ist, dass es zahlreiche Einzelne gibt die sich, in
       Verbindung mit Justiz und Polizei, gegen die Herrschaft der Ndrangheta
       stemmen. Aber es gibt keine breite Bewegung in der Bevölkerung, die das
       trägt, richtig? 
       
       Es gibt keine Zivilgesellschaft hier. Die Leute haben das Vertrauen in den
       Staat verloren und suchen nach Symbolen. Eines der schlimmsten Dinge in
       Reggio ist, dass auch die guten Leute Angst haben, miteinander zu
       verkehren, weil man nie sicher sein kann, ob der andere nicht doch zu den
       Bösen gehört.
       
       Wie soll es mit il dispaccio weitergehen? 
       
       Meine Idee ist es, aus il dispaccio eine große Online-Zeitung für
       Süditalien zu machen. Das dauert aber noch mindestens fünf Jahre. Um zu
       vermitteln, dass es eben die Mafien sind, die den Süden nicht vorankommen
       lassen. Mafia ist Korruption – und [5][hat nichts mit Folklore zu tun].
       
       29 Nov 2016
       
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