# taz.de -- Roman „Fremde Seele, dunkler Wald“: Ganz tief unten im Tal
       
       > Reinhard Kaiser-Mühlecker porträtiert stille Lebenskämpfe: Sein Roman
       > „Fremde Seele, dunkler Wald“ ist für den Buchpreis nominiert.
       
 (IMG) Bild: Nur das Dröhnen der Autos erinnert an andere Menschen: viel Verkehr am Brenner (Archivbild aus dem Jahr 2011)
       
       Der Mensch ist dem Menschen ein Schrecken. Gegen diesen Schrecken hilft
       scheinbar nur, den Menschen zu meiden. Was meist wenig nützt. Selbst die,
       die sich, so gut es geht, von ihresgleichen zurückziehen, kommen von ihnen
       nicht los. Vor allem nicht von sich selbst.
       
       Reinhard Kaiser-Mühleckers lakonisch-wuchtiger sechster Roman, „Fremde
       Seele, dunkler Wald“, bietet auf den ersten Blick ein gruseliges Szenario:
       eine Familie auf einem Hof in einem österreichischen Tal. Über das Gelände
       führt eine Autobahnbrücke, bloß das gelegentliche Dröhnen der Fahrzeuge
       erinnert an die Gegenwart anderer Menschen und hebt das Abgeschnittensein
       dieses Mehrgenerationenhauses nur umso deutlicher hervor.
       
       Auch das Personal mutet wenig hoffnungsvoll an. Die beiden Brüder im
       Mittelpunkt der Handlung sind Einzelkämpfer, die nicht recht wissen, wofür
       sie eigentlich kämpfen. Alexander, der ältere, ein ehemaliger
       Priesteranwärter, hat sich beim Militär verpflichtet und ist im Ausland
       stationiert. Der andere, Jakob, wurde zu früh eingeschult, war auf der
       Hauptschule und verlor anschließend weitere Ambitionen. Er arbeitet
       schicksalsergeben auf dem väterlichen Hof.
       
       Dieser Hof wird vom Vater, der sich von einem erfolglosen
       Spekulationsgeschäft ins nächste stürzt, stückweise verkauft, bis Jakob nur
       noch den Ausweg sieht, sich anderswo eine Arbeit zu suchen. Mit seinem
       Bruder kann er wenig anfangen, mit dem Vater ebenfalls nicht, die
       Großeltern und selbst die Mutter sind beiden Geschwistern fern. Die
       Schwester der Brüder lebt seit Jahren in Schweden, lässt immer weniger von
       sich hören.
       
       Kaiser-Mühlecker schildert vordergründig das, was man eine dysfunktionale
       Familie nennen könnte. Nach außen hin ist zwar das meiste in Ordnung – von
       der ökonomischen Lage des Vaters abgesehen –, im Inneren herrscht jedoch
       eine seltsame Leere. Diese Leere nehmen die Brüder auf ihren Gehversuchen
       ins eigene Leben mit sich. Alexander bleibt beim Heer ein Außenseiter,
       Jakob ist es auf der Arbeit, ebenso mit der Freundin, mit der er wie
       beiläufig zusammenkommt, obwohl sie eigentlich einen anderen liebt.
       
       ## Wohldosierte Wechsel ins Poetische
       
       Die Frauen sind in diesem Roman seltsam abwesend. Sie scheinen den beiden
       Brüdern von allen am unzugänglichsten, zugleich beherrschen sie ihre Leben
       gerade in ihrer Abwesenheit. Besonders Alexander wird durch eine Art „Fort
       da“-Spiel mit den Frauen, bei dem er konsequent auf Abstand bleibt,
       lediglich Affären einzugehen bereit ist, schließlich in eine heftige Krise
       gestürzt.
       
       „Fremde Seele, dunkler Wald“ ist dabei weit mehr als ein Familienroman. Man
       kann ihn am ehesten als eine Reflexion über das Leben als Gefängnis lesen,
       über die Not, sich mit dem Gegebenen zurechtzufinden, und über die Sprache,
       die fehlt, um die eigenen Ketten, die einen festhalten, zumindest anders zu
       sortieren und so etwas wie eine neue Richtung auszuprobieren – und sei es
       bloß, aufeinander zu.
       
       Kaiser-Mühleckers altertümliche Sprache beschwört dazu in ihrer nüchternen
       Bildhaftigkeit die oberösterreichischen Landschaften wie von selbst herauf,
       lässt einen in der detailgenauen Schilderung so alltäglicher Verrichtungen
       wie dem Melken von Kühen oder der Beschreibung der Funktionsweise eines
       Wasserwidders, eines wassergetriebenen Pumpsystems, sehr nah bei seinen
       Protagonisten sein, wie um den Kontrast zum Entferntsein der Personen
       voneinander nur noch schärfer zu fassen.
       
       Seine mitunter gewundenen Sätze nutzt er gern wie ein optisches Medium:
       Wenn sich der Sinn der Aussage beim Lesen nach und nach herausschält, ist
       es, als würde Kaiser-Mühlecker langsam an das Geschehen heranzoomen. Und
       ganz selten, höchst wohldosiert wechselt seine schlichte Sprache zwischen
       den Kommata ins Poetische, fast, als würde es ihm unbewusst unterlaufen.
       
       Auch das scheinbar flächendeckende Elend der Handlung weiß Kaiser-Mühlecker
       geschickt zu punktieren, baut immer dann, wenn die Trostlosigkeit
       überhandzunehmen droht, Spannungsmomente ein, gestattet seinen Figuren
       vereinzelt eine Verschnaufpause und spielt virtuos mit dem Anbahnen von
       Unheil, bei dem man nie ganz weiß, ob es zuschlagen wird oder nicht.
       
       Auch ob es Erlösung für die Figuren gibt – Religion wird in verschiedenen
       Varianten im Leben der Brüder in Erscheinung treten – bleibt bis zum Ende
       offen. Und ganz gleich, was den Figuren zustößt, bleibt man von ihren
       archaisch anmutenden Schicksalen gebannt. Man möchte mit ihrer Welt nicht
       tauschen. Und man erschrickt, wenn man erkennt, dass sie einem näher sind,
       als einem lieb ist.
       
       16 Oct 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tim Caspar Boehme
       
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