# taz.de -- Kulturstaatssekretär Renner über Berlin: „Subkultur ist in der DNA Berlins“
       
       > Kulturstaatssekretär Tim Renner spricht über Volksbühne, Staatsballett,
       > seine Zukunft nach dem Wahlsonntag – und lobt Die Linke.
       
 (IMG) Bild: Kulturstaatssekretär Tim Renner in seinem Büro in Mitte
       
       taz: Herr Renner, sprechen wir hier mit dem scheidenden oder mit dem
       kommenden Kulturstaatssekretär Berlins? 
       
       Tim Renner: Ganz ehrlich: Das weiß ich genauso wenig wie Sie. Ich denke
       über die Zukunft der Kultur in Berlin nach. Das ist mein Job. Und hoffe
       weiterhin, entscheidend mitwirken zu können.
       
       Für eine Neuauflage der Großen Koalition dürfte es in Berlin kaum reichen.
       Stünden Sie auch für Rot-Rot-Grün zur Verfügung? 
       
       Mir geht es darum, dass wir in Berlin eine moderne, verantwortungsvolle,
       aber auch angstfreie Kulturpolitik für eine wachsende Großstadt betreiben.
       Das ließe sich auch in der von Ihnen genannten Konstellation realisieren.
       
       Die Linke hat Sie oft kritisiert. Sähen Sie Chancen, unter Rot-Rot-Grün im
       Amt zu bleiben? 
       
       Die Linke hat uns zuletzt positiv überrascht. [1][Im Tagesspiegel] hat der
       Berliner Parteivorsitzende Klaus Lederer Forderungen gestellt, die glatt
       von unseren kulturpolitischen Leitlinien abgeschrieben sein könnten.
       
       Welche Punkte meinen Sie? 
       
       Mindest- und Ausstellungshonorare für Künstler müssten weiter erhöht
       werden. Damit haben wir bereits angefangen. Er will kulturelle Räume in
       einer wachsenden Stadt sichern – genau. Er möchte, dass Kultur über die
       Bezirke gedacht wird – einer unserer Schwerpunkte für den nächsten
       Haushalt, wenn wir zum Beispiel über Stadtteilbibliotheken sprechen.
       Überrascht hat uns auch, dass ausgerechnet die Linken Kultur- und
       Kreativwirtschaft zu einem Ressort zusammenzulegen wollen – dagegen hatten
       sie bislang immer Vorbehalte.
       
       2013 unterschrieben Sie eine Petition gegen eine Große Koalition von SPD
       und CDU im Bund. 2014 arbeiteten Sie dann selbst in einer Großen Koalition
       in Berlin. Innensenator Henkel (CDU) versuchte sich mit nicht immer legalen
       Mitteln gegen die linke Subkultur in der Rigaer Straße zu profilieren. Wie
       haben Sie als Neuling und Quereinsteiger aus der Musikbranche den Berliner
       Politikbetrieb erlebt? 
       
       Richtig, ich war in einer Facebook-Gruppe, die sich gegen die Große
       Koalition im Bund ausgesprochen hat. Im Bund hielt ich sie für keine gute
       Idee. Ich habe die CDU in der Zeit der Großen Koalition im Land Berlin nun
       allerdings nicht als monolithischen Block erlebt. Im Gegenteil. Leute wie
       Justizsenator Thomas Heilmann haben geholfen, die Vertragsverlängerung von
       Shermin Langhoff als Intendantin des Gorki-Theaters in kürzester Zeit
       durchzuboxen. Und die steht sicher nicht für ein Programm, das man als
       Herzstück der christlich-demokratischen Kulturpolitik bezeichnen könnte.
       
       Kommt darauf an, ob man es aus Perspektive der Merkel-CDU oder der
       Seehofer-CSU sieht. 
       
       Die CDU ist in Berlin sehr unterschiedlich aufgestellt. Aber ich sehe es
       auch so, dass Subkultur zwingend zur DNA der Stadt Berlin gehört. Berlin zu
       verstehen, heißt, mit dieser umgehen zu können. Mir wären Partner lieber,
       die dies auch können.
       
       Bei den Intendantenentscheidungen gab es erst Streit über die Volksbühne,
       nun gibt es eine Petition gegen Sasha Waltz und Johannes Öhman als neues
       Intendantenduo am Berliner Staatsballett. Läuft da generell etwas schief? 
       
       Nein. Es ist ja nicht so – wie manche es kolportieren –, dass eine
       Kandidatenkür im stillen Kämmerlein zwischen mir und Bürgermeister Michael
       Müller stattfände. Maßgeblich werden wir von der Kulturverwaltung beraten.
       Außerdem konsultieren wir externe Fachleute. Bei der Staatsballettintendanz
       jetzt zum Beispiel aus der Spitze der Pariser Oper, die Leitung des
       Sadler’s Wells Theatre London und andere prominente Akteure der Tanzszene
       aus Deutschland. Wir haben Beratergruppen. So ähnlich war es bei der
       Ernennung von Chris Dercon zum Intendanten der Volksbühne.
       
       Also alles richtig gemacht? 
       
       Im Fall Chris Dercon/Volksbühne zirkulierte der Gedanke, ihn zu
       installieren, viel zu früh öffentlich – mein Fehler. Bei der Causa
       Staatsballett spielen nun mehrere Faktoren eine Rolle: Das Haus ist
       generell verunsichert. Unter Nacho Duato gab es sinkende Auslastungszahlen,
       im vergangenen Jahr haben die Tänzerinnen und Tänzer im Tarifkonflikt
       gestreikt. Wir sind davon ausgegangen, dass, sobald wir das Haus
       informieren, auch innerhalb der Stiftung Oper die Kommunikation einsetzt.
       Dem war nicht so. Die Kompagnie hat von der Entscheidung aus den Medien
       erfahren. Das sollte so nicht sein.
       
       Nun gibt es oft Konflikte bei der Neubesetzung von Intendantenposten.
       Tradition gegen Veränderung, wie jetzt am Staatsballett. Doch im
       Volksbühnen-Streit behaupten manche, es ginge um mehr: Sub- gegen
       Repräsentationskultur, Ost gegen West. Waren Sie von Brisanz und Wucht der
       Angriffe auf Sie überrascht? 
       
       Überrascht war ich über die Reflexhaftigkeit. Wie manche von dem
       Negativsten ausgehen, das hinter einer Sache stecken könnte. Wenn ein
       Mensch alles andere als „neoliberal“ ist, dann Chris Dercon. Der Grund,
       warum er England und der Tate Modern den Rücken kehrt, ist doch gerade,
       dass er dort die neoliberalen Strukturen nicht erträgt.
       
       Manche meinen, Dercon stehe selber für die routinierte Mischung einer
       internationalen Eventkultur, wie man sie bereits an vielen Spielstätten und
       Festivals der Stadt vorfindet? Was wird er denn Neues bringen? 
       
       Ich glaube, was Dercon auszeichnet, ist sein Interesse für neue Talente und
       gerade auch an Dingen, die lokal sind. Das hat er auch in München am Haus
       der Kunst gezeigt. Und das, was der gute Claus Peymann nun als drohende
       Eventbude beschwört, hat doch an der Volksbühne bereits immer schon
       stattgefunden. Wahrscheinlich hat Peymann es nicht bemerkt, weil er nicht
       da war. Nun muss es darum gehen, das Gute, das die Volksbühne auszeichnet,
       weiterzuführen, ohne Castorf zu kopieren. Die Volksbühne braucht eine
       Post-Castorf-Identität. Kein einfaches Vorhaben.
       
       An der Entscheidung Dercon gibt es nichts zu rütteln? 
       
       Chris Dercon und sein Team sind alternativlos, sie sind bereits an den
       Planungen für 2017.
       
       Was wird denn geplant? Gerade auch in den Hangars am ehemaligen Flughafen
       Tempelhof? 
       
       Die Saison wird dort beginnen. Wir werden erst später zeitversetzt in der
       Volksbühne beginnen können. Das hat auch bauliche Gründe. Wir können erst
       nach der Castorf-Zeit dort neu gestalten.
       
       Fast alle wichtigen Regisseure aus dem Volksbühnen-Umfeld wollen nicht mit
       Dercon zusammenarbeiten. 
       
       Es war unser Ziel, die Fritschs und Polleschs dieser Welt zu halten. Das
       gebe ich nicht auf. Wenn es aber nicht gelingt, bleibt gar nichts anderes
       übrig als ein radikaler Neustart.
       
       Vereinfacht gesagt ist die Position vieler Ihrer Kritiker: Ost gegen West,
       lokal gegen global, Theater gegen Kunstevent; mit Chris Dercon kommt die
       internationale Figur, die wir eigentlich aus der Stadt treiben müssten.
       Welche Erzählung wollen Sie dem entgegensetzen? 
       
       Wir müssen das alte Berlin mitnehmen und uns den Ängsten, die da
       populistisch geschürt werden, entgegenstellen. Man muss Berlin als
       internationalen Platz freiheitsliebender Menschen denken, die sich hier auf
       unterschiedliche Art und Weise austoben können. Das ist die Stärke Berlins,
       das ist der Verdienst der Menschen, die die Wiedervereinigung hinbekommen
       haben. Der vielen kulturellen Bewegungen, die oft temporär waren,
       scheiterten, sich weiterentwickelten und überall ihre Spuren hinterlassen
       haben. Das ist das Berlin, das ich liebe.
       
       Zu diesem Bild könnte es kaum einen symbolträchtigeren Ort als das
       Tempelhofer Feld geben. Die Hangars sind teilweise mit Flüchtlingen belegt
       – und nun kommt ein Teil der Volksbühne dorthin. 
       
       Der Ort muss als Ganzes gedacht werden. Wie beziehe ich die Menschen, die
       dort untergebracht sind, in die Entstehungsgeschichte mit ein? Das neue
       Volksbühnen-Team spricht darüber zum Beispiel mit Diébédo Francis Kéré, der
       mit Schlingensief das Operndorf in Burkina Faso gebaut hat.
       
       Wo setzt Kulturpolitik in der Stadt weitere Akzente, so es um neue Bewohner
       und die vielen Flüchtlinge geht? 
       
       Erst mal, indem wir Integration in und über Kultur anders als früher
       begreifen. Selbst die rechte Szene propagiert doch heute nicht mehr, dass
       ein migrierter Italiener jodeln lernen muss. Die lokale Kultur muss sich
       ständig durch das Hinzukommen von Menschen erneuern. Mir geht es nicht
       darum, ob der freundliche Syrer oder Texaner sein bisheriges Kulturleben
       hier fortsetzt. Können Sie gerne machen. Aber wichtig ist eher, dass sie
       Kultur zusammen mit den bisherigen Berlinerinnen und Berlinern leben und
       sich damit die hiesige Kultur verändert. In der Popkultur ist es
       selbstverständlich, aus dem Austausch verschiedener Traditionen Neues zu
       entwickeln. Das kann aber nur funktionieren, wenn ich nicht nur den
       klassischen Kanon pflege und Neue auch personell beteilige.
       
       Investiert Kulturpolitik da nicht zu wenig in die Stadt als Soziales und
       die Außenseiterstrukturen? 
       
       Wir haben einen Schwerpunkt auf die Freie Szene gesetzt. Dort hat es eine
       Verdoppelung des Etats gegeben. Wir haben viele Räume wie Ateliers, Probe-
       oder Projekträume geschaffen. Die Tempel der Hochkultur soll man erhalten,
       fördern, entwickeln. Kulturpolitik muss aber auch begreifen, welche
       Relevanz Menschen haben, die diese Stadt durch Kulturarbeit prägen, die
       sich aber nicht in städtischen Institutionen wiederfinden und da vielleicht
       auch gar nicht reinwollen. Unser Kulturhaushalt muss weiter wachsen wie
       zuletzt, um 7 respektive 11 Prozent.
       
       Und in welcher Koalition ließe sich das am besten bewerkstelligen? 
       
       Wir haben es mit Rot-Schwarz hinbekommen – und gehen davon aus, dass wir es
       erst recht mit Rot-Rot-Grün hinbekämen.
       
       Anmerkung der Redaktion: 
       
       Das Interview mit Tim Renner enthielt in seiner ursprünglichen Fassung eine
       falsche Tatsachenbehauptung. Demnach hätte Dercon bereits vor der
       Volksbühne mit Christoph Schlingensief gearbeitet. Das stimmt nicht. Dercon
       hat dies nur später ebenfalls getan. Deswegen haben wir den betreffenden
       Passus in der Aussage Renners gestrichen. (A.F.)
       
       17 Sep 2016
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.tagesspiegel.de/kultur/kulturpolitik-in-berlin-lederer-berlin-braucht-ein-eigenstaendiges-kulturressort/14461894.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Fanizadeh
 (DIR) Jens Uthoff
       
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