# taz.de -- MigrantInnen im Berliner Wahlkampf: Mit erweitertem Blick
       
       > Längst Alltag: KandidatInnen mit Migrationshintergrund bewerben sich um
       > ein Mandat auf Landes- und Bezirksebene. Welche Rolle spielt ihre
       > Herkunft?
       
 (IMG) Bild: Der Wahlkampf in Berlin ist in vollem Gange
       
       Allein schon wegen seines Alters hat Onur Bayar im Wahlkampf das Zeug zum
       Star: Er ist erst 19. Dazu kommt seine Herkunft aus dem Neuköllner
       Rollbergkiez, das als Problemviertel gilt. Seit Monaten hat sich dort
       herumgesprochen, dass Bayar als Direktkandidat der CDU um Erststimmen
       kämpft. „Vor allem junge Migranten sind begeistert. Viele fragen mich, wie
       man Politiker wird, ob man dafür studiert haben muss.“ Bayar freut sich
       über viel Zuspruch, auch von Wählern anderer Parteien, die den jungen
       Deutschkurden in der falschen Partei sehen.
       
       2011 hat die Mehrheit in seinem Wahlkreis 2 im Neuköllner Norden Grün
       gewählt. Die CDU kam gerade mal auf 11 Prozent der Stimmen. „Ich merke an
       den Reaktionen, dass viele Studenten und Hipster die CDU geradezu
       verabscheuen“, erzählt der junge Wahlkämpfer. Er sieht seine Chance vor
       allem darin, Nichtwähler zu mobilisieren.
       
       Um die kämpft auch Maja Lasic, auch wenn die SPD-Direktkandidatin in ihrem
       Weddinger Wahlkreis gute Chancen hat, ins Abgeordnetenhaus zu kommen:
       „Viele Nichtwähler haben einen Hang zur AfD“, sagt die 37-Jährige. Sie gehe
       deshalb von Tür zu Tür und werbe um jede Stimme.
       
       Bayar und Lasic eint nicht nur, dass beide zum ersten Mal zur Wahl
       antreten. Beide haben einen Migrationshintergrund, „auch wenn dieser nicht
       das Erste ist, was ich anspreche“, sagt Lasic. Sie könne ihn wegen ihres
       Namens aber auch „nicht hinterm Berg“ halten.
       
       Maja Lasic, promovierte Biochemikerin, ist als Kind in den 90er Jahren mit
       ihrer Familie vor dem Krieg in Bosnien-Herzegowina geflohen. Heute
       beobachtet sie bei vielen in ihrem Wahlkreis latente bis offene
       Aggressionen Flüchtlingen gegenüber. „Ihr kümmert euch nur um Flüchtlinge
       und nicht um uns“, werde ihr oft an den Kopf geworfen. Lasic reagiert
       darauf unterschiedlich: „Manchen Sorgen muss man mit Argumenten begegnen.
       Wenn aber Feindbilder aufgebaut werden, bleibe ich mir treu und toleriere
       sie nicht.“
       
       Wie viele Menschen mit Migrationsgeschichte für die Wahlen zum
       Abgeordnetenhaus kandidieren, lässt sich längst nicht mehr genau sagen.
       Nicht immer lassen Namen die Herkunft erkennen. Rund 40 stehen als
       Direktkandidaten zur Wahl. Dazu kommen die auf Listenplätzen der Parteien.
       
       Für die Grünen tritt da in Friedrichshain zum dritten Mal die
       flüchtlingspolitische Sprecherin der Fraktion, Canan Bayram, an. Sie hat
       den siebten Platz auf der Grünen-Landesliste, ihre Wiederwahl kann als
       sicher gelten. Ihr Fraktionskollege Turgut Altug kandidiert in Kreuzberg.
       Seit 2011 ist Altug Abgeordneter.
       
       ## Schmierereien auf Plakaten
       
       Die derzeitige Staatssekretärin für Gesundheit, Emine Demirbüken-Wegner,
       hat Platz eins der Bezirksliste in Reinickendorf und kandidiert direkt mit
       dem Grünen-Abgeordneten aus Reinickendorf Ajibola Olalowo. Der
       Flüchtlingspolitiker Hakan Tas hat mit der Acht einen sicheren Listenplatz
       bei der Linken. Und auch die Wiederwahl der SPD-Abgeordneten Dilek Kolat,
       Senatorin für Arbeit, Integration und Frauen, kann als sicher gelten.
       
       Mit der Zuschreibung „Migrationshintergrund“ verbundene Vorstellungen der
       WählerInnen könnten auch ambivalent und schwierig sein, sagt Jasmin
       Giama-Gerdes. Die Direktkandidatin der Linken aus Pankow, geborene
       Münchnerin, sieht sich „nicht in erster Linie als Migrantin“. Das sei „eine
       Zuschreibung von außen“. Im Weißenseer Teil ihres Wahlkreises hat die
       Tochter eines somalischen Vaters ständig mit Schmierereien auf ihren
       Wahlplakaten zu kämpfen. Ob der Grund dafür ihre Parteizugehörigkeit oder
       ihr Aussehen ist, weiß sie nicht.
       
       „Jeder Abgeordnete schöpft aus seiner ganz persönlichen Erfahrung“, sagt
       Maja Lasic. Sie hat zwei Jahre an einer Weddinger Schule gearbeitet und
       kennt die Probleme von Schulen in prekären Lagen. Wie Onur Bayar ist ihr
       Bildung wichtig: Lasic will gute Lehrer in den Wedding holen und eine
       Durchmischung der Schüler in ihrem Wahlkreis. Für Pankow will Giama-Gerdes
       unter anderem für eine eigene Antidiskriminierungsstelle kämpfen. Damit
       bringt sie ihre beruflichen Kompetenzen als Trainerin für
       Antidiskriminierung in ihre politische Arbeit ein.
       
       Onur Bayar macht sich Gedanken über eine Vorschulpflicht und genügend
       Kitaplätze für alle – als Weichen für einen guten Lebensweg. Fatos Topac
       von den Grünen will sich vor allem für ältere Menschen einsetzen. Viele
       seien von Altersarmut betroffen, insbesondere ältere Migranten. Ihre Partei
       schätze sie dabei nicht für ihren Migrationshintergrund, sondern für ihre
       Erfahrung, sagt die Diplom-Sozialpädagogin.
       
       15 Sep 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hülya Gürler
       
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