# taz.de -- Amokläufer als popkulturelle Figuren: Identität Rambo
       
       > Jugendliche Täter, wie der von München, sind fasziniert vom Typ des
       > männlichen Einzelkämpfers. Dieses Schema ist auch in der Popkultur
       > präsent.
       
 (IMG) Bild: Der Einzelkämpfer ist eine häufig bediente Figur im Film. Im Bild: Sylvester Stallone in Rambo „First Blood“ von 1982
       
       München, Würzburg, Orlando – nach allem, was bekannt ist, war keine dieser
       Taten ein Terroranschlag. Jedenfalls nicht in dem Sinne, dass dahinter
       irgendeine Form von Organisation mit über die Tat hinausweisender Strategie
       stand. Ebenso wenig jedoch waren die Angriffe spontane
       Kurzschlussreaktionen, wie das Wort „Amok“ mit seiner Bedeutung
       „blindwütiges Verhalten“ unterstellt.
       
       Keiner der Täter war „blind“ oder „wütete“. Ein Automatikgewehr oder auch
       eine Axt trägt niemand zufällig mit sich herum, der spontan durchdreht.
       Die Taten waren vorbereitet, die Täter wollten etwas erreichen, wofür sie
       ihren eigenen Tod billigend in Kauf nahmen. Aber was? Was kann für einen
       Teenager wie den Münchner Schützen so wichtig sein, dass er bereit ist,
       andere Jugendliche und schließlich sich selbst zu erschießen? Muss dahinter
       nicht irgendeine Ideologie stehen, ein Weltbild, das die Tat für den Täter
       mit Sinn erfüllt?
       
       So viel ist klar: Der 18-jährige Schüler hatte Vorbilder. Und zwar nicht
       die Milizionäre des selbst ernannten „Islamischen Staats“. Auf seinem
       Computer fanden die ErmittlerInnen unter anderem Videos über das Massaker
       an der Columbine High School von 1999. Damals erschossen zwei Schüler im
       US-Bundesstaat Colorado zwölf MitschülerInnen und einen Lehrer. Ebenso wie
       der Schütze von München hatten sie die Tat im Voraus geplant, genau wie er,
       erschossen sie sich nach der Tat selbst. Ebenfalls bekannt ist, dass der
       Münchner Täter mindestens einmal nach Winnenden in Baden-Württemberg
       gefahren ist, wo 2009 ein Schüler 15 Menschen und wiederum sich selbst
       erschoss.
       
       Und schließlich orientierte sich der Schütze von München auch am Massaker
       in Oslo und auf der Insel Utøya im Jahr 2011, bei dem 77 Menschen, darunter
       hauptsächlich Jugendliche, starben. Nicht nur benutzte der 18-Jährige ein
       Foto des Täters Breivik in den sozialen Medien, er besorgte sich auch die
       gleiche Waffe und suchte sich für seine Tat den fünften Jahrestag des
       Angriffs aus. Gruselig genug sind diese Parallelen, was aber sagen sie über
       die Beweggründe des Teenagers aus?
       
       ## Vorbilder waren Einzelkämpfer
       
       Die Bezugnahme auf die Morde in Norwegen haben zuletzt Mutmaßungen
       ausgelöst, ob der jugendliche Täter mit einem rechtsextremistischen
       Hintergrund gehandelt haben könnte. Nachdem es keine Hinweise auf einen
       islamistischen Hintergrund gibt, schien dies die nächstbeste Deutung zu
       sein. Wie aber passt das zu dem offensichtlichen Interesse an den
       Ereignissen von Winnenden und Columbine, bei denen Rechtsextremismus keine
       Rolle gespielt hat? Was wäre, wenn der Täter gar keine Ideologie kopiert
       hat, sondern vielmehr ein bestimmtes Täterbild, das ihn fasziniert?
       
       Die Vorbilder des Münchner Schülers waren Einzelkämpfer. Ohne eine
       Organisation im Hintergrund, allein durch genaue Planung und die Auswahl
       des geeigneten Schauplatzes gelang es ihnen, durch ihr Handeln
       größtmögliche Panik und Verzweiflung zu generieren. Sie waren allesamt
       einsame Wölfe, fühlten sich von der Gesellschaft im Stich gelassen – und
       hatten sich im Laufe ihrer Vorbereitung ein einfaches Weltbild aufgebaut:
       „ich“ gegen „alle anderen“. Was, wenn es vor allem anderen diese Rolle ist,
       für die ein einsamer, sensibler, an Depression erkrankter Teenager sich zu
       interessieren beginnt? Eine Rolle, die ihn mehr und mehr fasziniert, je
       mehr er sich mit ihr beschäftigt – bis es schließlich attraktiv für ihn
       wird, sie nachzuahmen?
       
       Dieses Schema der männlichen Einzelkämpfer ist nicht zuletzt auch in der
       Popkultur präsent. In etlichen Hollywoodklassikern sind sie die
       Identifikationsfigur. Es sind – von dem Film „Kill Bill“ einmal abgesehen –
       Männer, die alles verloren und in der Konsequenz nichts zu verlieren haben.
       Die niemandem gegenüber Rechenschaft ablegen, außer sich selbst. Für die
       die Welt eine einzige große Gegnerschaft darstellt. Es sind Figuren wie
       Clint Eastwoods „Dirty Harry“, der sich an keine Regeln halten muss, weil
       ihm die Anerkennung der anderen egal ist.
       
       Sylvester Stallones „Rambo“, schikaniert und gedemütigt von der
       Gesellschaft, verarbeitet sein Trauma, indem er mit einem Automatikgewehr
       Kommunisten und korrupte Polizisten massakriert. Oder Männer wie Mel
       Gibsons „Mad Max“, dem eine kaputte Welt alles genommen hat, sodass es ihm
       alternativlos erscheint, selbst zum grausamen Killer zu werden.
       
       ## Schwächen in Stärken umdeuten
       
       Das heißt nicht, dass dieses Rachefeldzug- oder One-Man-Army-Genre deshalb
       für Massaker in der Realität verantwortlich ist, ebenso wenig wie
       sogenannte First-Person-Shooter-Videospiele, über deren Einfluss auf
       potenzielle Täter nach Winnenden heftig diskutiert wurde. Weder
       Hollywoodfilme noch Computerspiele machen Amokläufer. Aber die Beispiele
       zeigen, dass im kollektiven Bewusstsein eine bestimmte Heldengeschichte
       immer wieder auftaucht: eine, in der der Protagonist allein steht gegen
       eine Welt, die grundsätzlich falsch ist – weswegen er keine moralischen
       Grenzen mehr einzuhalten braucht.
       
       Der Einzelkämpfertypus verkörpert alle die negativen Erfahrungen eines
       durchschnittlichen heranwachsenden jungen Mannes: Einsamkeit, die
       Unfähigkeit mit anderen zu kooperieren oder zu ihnen Nähe aufzubauen, die
       überwältigende Aufgabe, sich selbst ein Bild zu machen von dem, was richtig
       und falsch ist.
       
       Die Einzelkämpfergeschichte deutet diese Schwächen in Stärken um. Der
       Einzelkämpfer ist nicht einsam, er braucht niemanden. Er ist nicht
       kooperationsunfähig, er ist kompromisslos. Und er hat ein einfaches
       Weltbild: Ich liege richtig, die liegen falsch.
       
       Die Täterfiguren von Columbine und Winnenden verkörpern diesen Typus in
       Reinform. Die Faszination geht von der Kompromisslosigkeit ihres Handelns
       aus. Sie sind Archetypen, die ein Teenager anprobiert, so wie er im Laufe
       des Heranwachsens viele Identitäten anprobieren wird. Der Münchner Schüler
       ist zu dem Schluss gekommen, dass dies die Identität ist, die er bis
       zuletzt tragen will.
       
       26 Jul 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Peter Weissenburger
       
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