# taz.de -- Schauspielerin über Transsexuelle: „Ich bin ein Proll“
       
       > Zazie de Paris plädiert für mehr transsexuelle Menschen in weniger
       > schrillen Rollen. Ab Herbst spielt sie in der „Lindenstraße“ eine
       > Trans*frau*.
       
 (IMG) Bild: Schrill und elegant zugleich: Zazie de Paris
       
       taz.am wochenende: Frau de Paris, Sie sind Tänzerin, Sängerin, Film- und
       Theaterschauspielerin, seit Jahrzehnten stehen Sie auf Europas großen
       Bühnen – mögen Sie es, wenn man Sie eine „Grande Dame“ nennt? 
       
       Zazie de Paris: Sehr. Das ist für mich wie ein Adelstitel oder ein
       Ritterschlag. Ich fühle mich dann – stolz ist nicht das richtige Wort – ich
       fühle mich geehrt. Denn „Grande Dame“, oder auch „Primadonna“, das ist eine
       große Verantwortung. Es heißt, dass man sich verantwortlich fühlt für alle,
       vom Dekorträger bis zum Kantinenmitarbeiter. Denn die Grande Dame muss ja
       dafür sorgen, dass die Leute ins Theater kommen. Diese Rolle habe ich gern.
       Sie hat mit einer gewissen Attitüde zu tun – geheimnisvoll zu sein oder
       auch schrill.
       
       Und wie verschlägt es eine Grande Dame in die Welt der Seifenoper? 
       
       Angefangen hat es mit dem „Tatort“. 2013 hat mich der Hessische Rundfunk
       angefragt, sie waren durch einige Filmrollen auf mich aufmerksam geworden.
       So kam ich ins öffentlich-rechtliche Fernsehen. Für mich war das eine
       außerordentliche Ehre. Inzwischen habe ich sogar eine dauerhafte Rolle im
       Frankfurter „Tatort“. Ich spiele Fanny, eine ganz alltägliche Frau, mit
       Kittelschürze und Gummihandschuhen, ungeschminkt – und dennoch eine Art
       Grande Dame. Ich nehme an, dass dadurch auch die „Lindenstraße“ auf mich
       aufmerksam geworden ist. Der Regisseur, Iain Dilthey, hat angefragt, ob ich
       die Rolle einer Trans*frau* spielen will. Das finde ich ganz wunderbar,
       denn wer könnte das besser spielen als ich? Alle Trans*frauen* der
       Filmgeschichte wurden ja immer von Männern gespielt.
       
       Woran liegt das Ihrer Meinung nach? 
       
       Ein Mann, der Travestie spielt, bleibt Teil der Männerwelt, der Machowelt.
       Dem Publikum fällt es leicht zu akzeptieren, dass ein Mann mal
       vorübergehend Frau ist. Er nimmt die Perücke ab, und es war alles ein
       großer Spaß. Eine Trans*frau* ist eine, die die Machowelt endgültig
       verlassen hat und in die andere, die Frauenwelt gegangen ist. Eine Welt, wo
       man weniger Geld bekommt, weniger Stimme hat, wo man sexuell belästigt
       wird. Eine Welt, die gar nicht so glamourös ist, wie sie scheint. Ich habe
       diese Welt für mich gewählt. Viele Männer haben mir das nicht verziehen.
       
       Bedrückt es Sie, dass Transrollen immer wieder schrill sind, Teil einer
       Halbwelt, des Showbusiness oder des kriminellen Milieus? 
       
       Es blieb einem ja die längste Zeit nichts anderes übrig. Wo hatten
       Transmenschen denn sonst das Recht zu existieren? Doch nicht als
       Rechtsanwältin oder Zahnarzthelferin. Sie konnten nur schrill sein.
       Transsexuelle waren Verstoßene, galten als krank. Das hat sich ein bisschen
       verändert, aber zu meiner Zeit konnte man nur durchs Schrillsein überhaupt
       existieren. Aber es gefiel mir auch. Schrill zu sein war für mich erst
       einmal antibourgeois, es war Punk. Wie ein Bourgeois zu sein und zu denken,
       kam für mich überhaupt nicht infrage. Ich bin Proll. Auch meine Eltern
       waren Prolls, sie lebten in Montreuil, einem Arbeitervorort von Paris.
       Selbstverständlich kenne ich die Regeln der Gesellschaft. Ich weiß, wie ich
       mich benehmen muss, um Anerkennung zu bekommen. Aber ich weiß auch, dass
       ich nicht in der Reihe tanzen will. Ich tanze aus der Reihe.
       
       Können Sie dennoch nachvollziehen, dass Menschen aus dem queeren Spektrum
       nicht mehr schrill sein wollen, sondern viel lieber normal? 
       
       Ich finde das absolut inakzeptabel. Diese ganze Homowelt, die sich
       bekriegt, mit den Transvestiten, mit den Tunten, ich finde das schlimm. Zu
       meiner Zeit hieß Schwulsein, dass man die Kraft hatte, es auch zu zeigen –
       weiße Hosen, rosa Hemden, man war bunt. Man zeigt, dass man sich nicht
       anpasste. Mit der Technomusik hat dann alles angefangen, kühl, kalt und
       kalkulierbar zu werden. Als die Schwulen anfingen, Geld zu verdienen, mit
       Clubs, mit Mode, mit Friseursalons, wurden sie immer konservativer. Sie
       fingen an, sich an die Heteronormalos anzupassen. Wo ist da der Reiz, bitte
       schön? Wenn ich einen Hetero will, gehe ich zu einem Hetero – und nicht zu
       einem, der ihn kopiert.
       
       In der „Lindenstraße“ spielen Sie eine Frau namens Viktoria. Ist sie eher
       eine Schrille oder eine Normale? 
       
       Sie ist eine elegante Schrille. Viktoria arbeitet als Beraterin für
       Trans*frauen* und kann schon schrill sein, muss sie auch in ihrem Beruf.
       Aber sie ist vor allem eine Frau, die mit dem, was sie tut, erfolgreich
       ist. In der Serie, so viel darf ich verraten, berät sie Marek, der von
       meinem Kollegen Martin Walde gespielt wird. Marek fühlt sich als Frau. Er
       sucht im Internet nach Informationen und findet Viktorias Homepage. Schauen
       wir mal, wie sich das entwickelt.
       
       Das deutsche Fernsehen tut sich schwer, queere Identitäten zu
       normalisieren. Ganz anders die „Lindenstraße“ – hier küssten sich schon in
       den 80ern zwei Männer, HIV wurde thematisiert, ohne es zu dämonisieren.
       Warum schafft es dieses Format, so progressiv zu sein? 
       
       Die „Lindenstraße“ kann mit ihren Zuschauern rechnen. Die Produzenten haben
       die Erfahrung gemacht, dass sie ihr Publikum nicht so leicht verlieren,
       wenn sie etwas ausprobieren. Und sie halten ihre Zuschauer auch nicht für
       blöd. Sie trauen ihnen zu, mitzudenken. Und schließlich ist die
       „Lindenstraße“ schon immer ganz nah am Leben gewesen – am normalen Leben.
       Alles, was uns bewegt, wird dort verarbeitet. Die Flüchtlinge zum Beispiel,
       bald wird es sicher auch um Europa gehen. Jetzt ist das Thema eben Trans.
       Ich fände es wunderbar, falls irgendwann eine Transsexuelle ganz normal in
       einer Wohnung in der Lindenstraße wohnen sollte – wenn man sehen könnte,
       wie sie Hormone nimmt, wie sie sich verliebt, wie sie all diese schönen
       Dinge erlebt.
       
       Hat das dreißig Jahre alte Konzept „Durchschnittsmenschen in einer
       Durchschnittsstraße“ überhaupt eine Zukunft? 
       
       Ich glaube schon, denn darin steckt auch eine Sehnsucht. Die Welt verändert
       sich so schnell. Die „Lindenstraße“ aber bleibt, wie sie ist, bis hin zur
       Titelmelodie, die wir alle kennen. Es bleibt eine vertraute Welt. Dieses
       Vertrautsein ist ein schönes Gefühl. Es ist doch wie in einer
       Liebesbeziehung: Wenn die sexuelle Leidenschaft ein bisschen nachgelassen
       hat, dann kommt stattdessen die Intimität. Das ist etwas Wunderbares. Wenn
       die „Lindenstraße“ es weiterhin schafft, diese Intimität zu erzeugen – und
       das ohne billigen Voyeurismus à la Big Brother – dann behält sie ihre
       Berechtigung.
       
       10 Jul 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Peter Weissenburger
       
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