# taz.de -- Großbritanniens Beteiligung am Irakkrieg: Tony Blairs blutiges Erbe
       
       > Klare Worte im britischen Untersuchungsbericht: Der Krieg gegen Saddam
       > Hussein war weder zwingend, noch wurde er vernünftig konzipiert und
       > geführt.
       
 (IMG) Bild: Protest in London gegen die Beteiligung im Irakkrieg: blutige Tony-Blair-Maske
       
       Berlin taz | Das Dokument umfasst nur sechs Seiten, aber über Tony Blairs
       Irakpolitik sagt es alles. „Ich werde mit dir sein, wie auch immer“,
       beginnt die „Note On Iraq“ vom 28. Juli 2002 des damaligen britischen
       Premierministers an den damaligen US-Präsidenten George W. Bush. „Es ist
       richtig, sich Saddams zu entledigen. Er ist eine potenzielle Bedrohung. Er
       könnte eingedämmt werden. Aber Eindämmung ist immer ein Risiko, wie wir mit
       al-Qaida gemerkt haben.“ Also Krieg.
       
       „Wenn wir schnell gewinnen, wird jeder unser Freund sein. Wenn nicht, wird
       es schnell Vorwürfe hageln.“ Und unten auf Seite 5, fast als Nachgedanke:
       „Letztens brauchen wir einen funktionierenden militärischen Plan.“
       
       Blairs Notiz legt nahe, er sei schon 2002 kriegsentschlossen gewesen, bevor
       er einen Plan hatte – und obwohl er die Bedrohung durch Saddam Hussein nur
       als „potenziell“ und eindämmbar einschätzte. Das verräterische Dokument ist
       eines von vielen, die jetzt im gigantischen britischen Untersuchungsbericht
       zum Irakkrieg erstmals veröffentlicht werden. Der Bericht ist ein Akt von
       Transparenz: Bushs Antwort an Blair ist in den USA unter Verschluss.
       Normalerweise vergehen 30 Jahre, bevor diese Art von Schriftverkehr an die
       Öffentlichkeit gerät.
       
       Aber im Jahr 2009 kamen die britischen Kampftruppen im Irak nach sechs
       Jahren gerade mit Schimpf und Schande nach Hause. Sie hatten mangels
       Strategie, Ausrüstung und Unterstützung vor Aufständischen kapitulieren
       müssen, in Afghanistan drohte das nächste Debakel. Premier Gordon Brown,
       Blairs Nachfolger, bat den pensionierten Diplomaten Sir John Chilcot, an
       der Spitze einer Kommission, herauszufinden, was schiefgegangen war.
       
       Es gab zwei Jahre öffentliche Anhörungen. Lange hieß es, der
       Chilcot-Bericht sei fast fertig. Dann kamen die Wahlen 2015. Dann das
       EU-Referendum 2016. An diesem Mittwoch, mitten im britischen Brexit-Fieber,
       konnte Chilcot endlich vor einem minimalistischen dunkelblauen Hintergrund
       treten und die zwölf violetten Bände seines Lebenswerks vorstellen.
       
       ## Von „äußerster Tragweite“
       
       „2003, zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg, beteiligte sich das
       Vereinigte Königreich an der Invasion und kompletten Besatzung eines
       souveränen Staates“, sagte der Exdiplomat mit unbewegter Miene und
       gesetzter Stimme. „Das war eine Entscheidung äußerster Tragweite.“
       
       Man habe untersucht, ob die Invasion Iraks im März 2003 „richtig und
       notwendig war“ und ob Großbritannien für die Folgen besser vorbereitet
       hätte sein müssen und können. „Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass das
       Vereinigte Königreich sich entschied, sich der Invasion Iraks
       anzuschließen, bevor die friedlichen Optionen der Entwaffnung ausgeschöpft
       waren. Militärisches Handeln zu diesem Zeitpunkt war nicht die letzte
       Option.“
       
       Chilcot fällte ein vernichtendes Urteil nach dem anderen – über Tony Blair,
       aber nicht nur. Die Informationen über Saddam Husseins mutmaßliche
       Massenvernichtungswaffen – die damals den Krieg offiziell begründeten und
       sich hinterher als falsch herausstellten – wurden „mit einer unberechtigten
       Gewissheit präsentiert“, sowohl durch die Geheimdienste als auch von Blair.
       Die Umstände, unter denen die Regierung einen Angriff auf Irak als
       rechtmäßig wertete, seien „bei weitem nicht zufriedenstellend“ gewesen; auf
       welcher Grundlage Blair befand, Saddam Hussein habe seine Verpflichtungen
       nicht eingehalten, sei „nicht klar“.
       
       Tony Blair habe in der Öffentlichkeit Iraks Diktator als „reale und
       aktuelle Bedrohung“ dargestellt, aber Geheimdiensteinschätzungen
       verschwiegen, wonach sein Sturz die Bedrohung noch erhöhen könnte, da
       Terroristen in den Besitz seiner Massenvernichtungswaffen geraten würden.
       „Die Irakpolitik“, sagte Chilcot wie ein tadelnder Schullehrer, „entstand
       auf Grundlage fehlerhafter Erkenntnisse und Einschätzungen. Sie wurden
       nicht hinterfragt. Sie hätten es sollen.“
       
       Es fehlten, so Chilcot weiter, Debatten über militärische Optionen am
       Kabinettstisch. Risiken seien den zuständigen Ministerien nicht
       kommuniziert worden, so dass keine politische Übersicht über die
       Militäroperation möglich war. Für wichtige Weichenstellungen wurde keine
       Ministerentscheidung herbeigeführt und keine Evaluierung der benötigten
       Kapazitäten vorgenommen. Schließlich habe Blair seinen Einfluss auf die USA
       „überschätzt“.
       
       All dies sind direkte Lehren für andere mögliche Militäraktionen heute.
       Chilcots Bericht geht weit über Vergangenheitsbewältigung hinaus. Er
       fordert eine Bündelung der Zuständigkeiten unter einem einzigen
       hochrangigen Minister, schriftliche Vereinbarungen, aber auch „offene und
       informierte Debatte und Widerspruch“ am Kabinettstisch, um „Risiken
       einzuschätzen, Optionen zu bewerten und eine umsetzbare und realistische
       Strategie zu entwerfen“.
       
       ## Ehrliche Meinungsverschiedenheiten
       
       Und in seinem politischsten Satz sagte Chilcot: „Großbritanniens
       Beziehungen zu den USA haben sich über die Zeit als stark genug erwiesen,
       um das Gewicht ehrlicher Meinungsverschiedenheiten auszuhalten. Sie
       bedürfen nicht der bedingungslosen Unterstützung, wenn unsere Interessen
       oder Urteile auseinandergehen.“
       
       Man habe schon viel verbessert, sagte der konservative Premierminister
       David Cameron nach der Veröffentlichung. Er schlug eine zweitägige
       Sonderdebatte vor, um alle Lehren des Berichts zu ziehen. Auf jeden Fall
       sei die Lehre aber nicht, dass es besser wäre, sich „zurückziehen“ oder
       „nicht einzugreifen“.
       
       Aber nur wenige Abgeordnete waren zu Camerons Fragestunde im Unterhaus
       erschienen. Das Augenmerk der Öffentlichkeit richtete sich auf Tony Blair
       selbst – der seinen Irakkrieg bis heute als richtig verteidigt.
       
       In einer ersten schriftlichen Reaktion auf den Chilcot-Bericht behauptete
       der Expremier zunächst, er fühle sich bestätigt: Er habe nicht gelogen. Auf
       einer Pressekonferenz am Nachmittag aber schlug Tony Blair einen anderen
       Ton an: Die Irak-Kriegsentscheidung sei „die schwerste, größte und
       quälendste“ seiner zehnjährigen Amtszeit gewesen, „für diese Entscheidung
       übernehme ich heute die volle Verantwortung, ohne Wenn und Aber“.
       
       ## „Trauer, Bedauern und Entschuldigung“
       
       Die Informationen vor dem Krieg, fuhr Blair fort, „erwiesen sich als
       falsch“, die Nachkriegszeit war „blutiger als wir uns vorstellten“, und das
       irakische Volk sei heute Opfer des Terrors geworden. „Für all dies drücke
       ich mehr Trauer, Bedauern und Entschuldigung aus, als Sie jemals wissen
       oder glauben können.“
       
       Selten hat ein Politiker am Ende seiner Karriere einen tieferen Einblick in
       die eigenen Abgründe geboten. Er hätte dies wohl nicht für nötig gehalten,
       wenn er sich von Chilcot wirklich bestätigt gefühlt hätte.
       
       Richtig bestätigt fühlten sich nur die Hinterbliebenen der 179 britischen
       Gefallenen im Irak. Sie waren zur Veröffentlichung des Berichts geladen.
       „Jetzt können wir sagen: Wir haben die Beweise“, sagte Rose Gentle, deren
       Sohn Gordon am 28. Juni 2004 19-jährig im Irak starb, als sein
       Armeefahrzeug auf eine Mine fuhr – das Fahrzeug war ungenügend gesichert.
       „Zwölf Jahre Kampf für meinen Sohn haben sich gelohnt.“
       
       6 Jul 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dominic Johnson
       
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       von 2002 ungenau formuliert zu haben.