# taz.de -- Hamburgs Comic-Szene: Nicht nur zwischen Buchdeckeln
       
       > Im Hamburger „Kontaktcenter“ treffen Comic-Größen auf den ambitionierten
       > Nachwuchs der Hansestadt – zur gemeinsamen Lesung
       
 (IMG) Bild: „In der Provinz Buenos Aires gibt es eine Haltestelle, die Altona heißt.“
       
       Die Gleise führen in eine offensichtlich viel zu große Weite. Auch der
       kahle Baum wirkt irgendwie fehl am Platz. Wobei, im Grunde wäre es ja schon
       ein schlüssiges Bild, stünde auf dem Schild am Bahnsteig nicht: „Altona“.
       Das irritiert, ist darum aber nicht falsch, wie die Unterzeile des
       Comicpanels belegt: „In der Provinz Buenos Aires gibt es eine Haltestelle,
       die Altona heißt.“
       
       Die Zeichnerin [1][Nacha Vollenweider] kennt beide Altonas. Sie stammt aus
       Argentinien, lebt zurzeit aber in Hamburg, wo sie [2][das Comicmachen an
       der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW)] studiert. Von den
       Verstrickungen beider Standorte erzählt ihr Comic „Fußnoten“. Erschienen
       ist er zwar noch nicht, daraus lesen wird sie trotzdem schon.
       
       Im [3][„Kontaktcenter“] nämlich, einer Veranstaltungsreihe, die nun im Kino
       [4][B-Movie auf St. Pauli] Premiere feiert. Bereits etablierte
       Künstlerinnen treten gemeinsam mit ganz neuen auf, erläutert Mitorganisator
       [5][Sascha Hommer] das Konzept.
       
       ## Quer durch die (Kunst-) Szene
       
       Zu den bekannten zählt Paula Bulling, seit sie mit ihrem Comic [6][„Im Land
       der Frühaufsteher“] einfühlsam und zeichnerisch brillant das Leben
       Geflüchteter in Sachsen-Anhalt dokumentiert hat. Für die Hamburger Beiträge
       habe man „herumgefragt, wer gerade an was arbeitet“, sagt Hommer, und
       daraus ein Gesamtkonzept gestrickt.
       
       Dass es vor allem zeichnerisch anspruchsvolle Kunstcomics aufs Podium
       geschafft haben, ist nicht weiter verwunderlich – schließlich kommen sowohl
       Hommer als auch Mitorganisatorin [7][Jul Gordon] selbst von der HAW. Auch
       dürfte Hommer die entsprechende Szene noch aus seiner Zeit als Herausgeber
       des „Orang“-Magazins kennen, und natürlich als Mitbegründer und
       langjähriger Wegbegleiter des [8][Comicfestivals Hamburg].
       
       Gute Voraussetzungen jedenfalls, mit dem „Kontaktcenter“ gleich die nächste
       wichtige Szene-Institution an den Start zu bringen. Denn obwohl auch in
       Hamburg hin und wieder Lesungen stattfinden, sind das bisher eher
       Zufallstreffer, die Appetit auf mehr machen. Spannend ist es allemal, wenn
       das materialgebundene Medium Comic performt wird: gesprochen, im Video, oft
       auch mit Musik.
       
       ## Lokales ist international
       
       Dank der HAW ist ein lokaler Fokus in Hamburg kein Widerspruch zu
       internationalem Programm. Neben der Argentinierin Vollenweider wird auch
       ihre Kommilitonin [9][Magdalena Kaszuba] aus Polen lesen. Auch sie geht von
       Hamburger Stadtbildern aus, als Ausgang für autobiographische Assoziationen
       in die Ferne.
       
       Nur interessieren sie weniger die Ähnlichkeiten, sondern die innerweltliche
       Reflexion eines gänzlich unhanseatischen Katholizismus: Düstere Bilder
       maskierter Selbstgeißler, die eher an freier Malerei geschult als präzise
       gezeichnet sind – gespickt mit christlicher Symbolik.
       
       Dass die Lesungen sich auf den Kunstcomic konzentrieren, bedeutet auch
       keine Eintönigkeit. Am entgegengesetzten Ende dieses Spektrums bewegt sich
       [10][Max Baitinger], der als Oberbayer nebenbei auch den beinahe dritten
       internationalen Gast stellt. Für seinen kürzlich [11][bei Rotopol
       erschienene „Röhner“] ist die Herkunft allerdings Nebensache.
       
       ## Neurotisches zu Hause
       
       „Röhner“ spielt in einer Zwischenwelt, in der Inneneinrichtung und
       Kaffeekoch-Routine das Bewusstsein bestimmen. „Röhner“ zeigt nur drei
       Figuren und die Wohnung. In Baitingers extrem reduzierten Zeichenstil
       bedeuten zwei Punkte Augen, eine geschwungene Linie darunter ist mal
       lächelnder Mund, dann wieder gerümpfte Nase.
       
       Trotzdem, und das ist das Kunststück, sind die Figuren unverwechselbar, zu
       einer erstaunlicher Mimik fähig und in der Lage, den neurotischen Erzähler
       und seinen aufdringlichen Besuch gleichermaßen nachfühlbar darzustellen.
       Letzter ist Röhner. Mit einer Beule am Kopf erscheint der Eindringling
       tatsächlich alienhaft fremd, auch wenn es wohl doch nur Wulst, Stirn oder
       Tolle ist.
       
       Simpel ist auch der Hintergrund – wenn auch auf gänzlich andere Weise: Die
       schematischen Darstellungen der Wohnung erinnern wohl auch deshalb an die
       bekannten Konstruktionsskizzen einer schwedischen Möbelhauskette, weil es
       über das darauf zugerichtete Leben eben nicht mehr viel zu sagen und eben
       auch nicht zu zeichnen gibt.
       
       Es ist jedenfalls ein opulentes Programm, mit dem Hamburgs erstes
       Comicleseformat nun etwa [12][Leipzig] oder [13][Dresden] nachzieht. Und
       die Chancen stehen gut, dass das Format auch langfristig gut funktioniert.
       Denn KünstlerInnen gibt es mehr als genug in der Stadt, um sich nicht
       allein auf mutige Amateure verlassen zu müssen. So stehen dann auch
       durchweg Namen auf dem Plakat, bei denen man sicher sein kann, sie hier
       nicht zum letzten Mal zu lesen.
       
       17 Jun 2016
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.nacha-vollenweider.de/
 (DIR) [2] http://comickritik.de/2016/05/12/in-der-talentschmiede/
 (DIR) [3] http://kontaktcenter.tumblr.com/
 (DIR) [4] https://www.b-movie.de/
 (DIR) [5] http://saschahommer.com/
 (DIR) [6] http://www.avant-verlag.de/comic/im_land_der_fruehaufsteher
 (DIR) [7] http://www.juliagordon.de/
 (DIR) [8] http://cargocollective.com/comicfestivalhamburg
 (DIR) [9] http://magdalenakaszuba.blogspot.de/
 (DIR) [10] http://www.maxbaitinger.com/
 (DIR) [11] http://www.rotopolpress.de/produkte/roehner
 (DIR) [12] http://themillionairesclub.tumblr.com/
 (DIR) [13] http://reading-panels.tumblr.com/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jan-Paul Koopmann
       
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