# taz.de -- EMtaz: Deutschlands Turnier-Perspektive: Vor der EM ist vor der WM
       
       > Für Trainer Löw ist die EM 2016 eine Etappe auf dem Weg zur
       > Titelverteidigung in Russland. Die Rendite wird das Team in jedem Fall
       > einfahren.
       
 (IMG) Bild: Casual in Jogginghose gehen sich Zwischenschritte viel leichter
       
       Erstaunlich klein hat Joachim Löw die Bedeutung dieses Turniers
       veranschlagt, das am Sonntag für sein Team mit dem Spiel gegen die Ukraine
       beginnt. Als Zwischenschritt bezeichnete der Bundestrainer vor einem halben
       Jahr die Europameisterschaft in Frankreich. Kurz danach war er gedanklich
       bereits wieder bei der nächsten WM 2018 in Russland und der Mission
       Titelverteidigung.
       
       Geschickt fanden das einige Beobachter. So habe er die Erwartungen an die
       deutsche Nationalmannschaft für die nächsten fünf Wochen
       heruntergeschraubt. Vor vier Jahren wählte Löw allerdings genau dieselben
       Worte. Die EM in Polen und der Ukraine, sagte er damals, sei für ihn ein
       Zwischenschritt auf dem Weg nach Brasilien.
       
       Der Leiter und Lenker des deutschen Vorzeigeteams durchmisst die Zukunft in
       großen Schritten. Seit einer Dekade ist er nun im Amt und hat sich vom
       Taktikeinflüsterer Jürgen Klinsmanns – durch den so erfolgreich bewältigten
       Weg bis hin zum WM-Titelgewinn in Rio de Janeiro – den Ruf eines visionären
       Strategen erarbeitet.
       
       Wenn man von Turnier zu Turnier denkt, fällt auch die mühselige
       Qualifikation in den letzten zwei Jahren kaum ins Gewicht. Dass die DFB-Elf
       mit der schlechtesten Saisonbilanz von vier Niederlagen unter Löw in diese
       EM startet und seit zwei Jahren abgesehen vom Heimsieg gegen Polen (3:1)
       unter Wettbewerbsbedingungen nicht überzeugen konnte, dass das Spiel meist
       unter einer seltsamen Tempodrosselung litt – all das eignet sich kaum als
       Aufreger. Eine Turniermannschaft eben, heißt es.
       
       An der Qualität der Mannschaft zweifelt keiner 
       
       Die Nationalmannschaft ist unter der Ägide von Teammanager Oliver Bierhoff
       zu einem Markenunternehmen geworden, das mittlerweile zwischen den
       Großereignissen auch erfolgsunabhängig verlässlich seine Rendite einfährt.
       Selbst größte Erschütterungen – wie die DFB-Korruptionsaffäre um die
       Heim-WM 2006 – vermögen es nicht, der Stabilität etwas anzuhaben. Löw
       konnte unbeschadet Solidaritätsgrußbotschaften an den Vertuscher und
       Ex-DFB-Präsidenten Wolfgang Niersbach entsenden. Kritik musste er nicht
       fürchten.
       
       Nach der WM in Brasilien, berichtete Bierhof stolz, habe er an erster
       Stelle immer wieder gehört, wie „toll“ sich die Jungs gegeben hätten – „so
       sympathisch“. Er resümierte: „Der sportliche Aspekt ist nach hinten
       gerutscht, das Auftreten stand im Vordergrund.“ Sein Ideal scheint es zu
       sein, eine Generation von Nationalspielern heranzubilden, die sich fast ein
       jeder zum Nachbarn wünscht. Das Team steht über allem. Eines der ältesten
       Erfolgsrezepte hat der DFB als neuen Markenkern wiederentdeckt. Vor einem
       Jahr wurde das Nationalteam mit dem Logo „Die Mannschaft“ versehen.
       
       An der individuellen Qualität des Teams hegt vor der EM in Frankreich
       sowieso kaum einer einen Zweifel. Immerhin stehen 14 Weltmeister von 2014
       im Aufgebot. Deshalb steht jetzt der Teamgedanke im Vordergrund. „Es geht
       darum, eine Einheit zu bilden und ein bedingungsloses Miteinander zu
       schaffen“, gab Löw im Trainingslager in Ascona vor.
       
       Hackordnungen sind längst wieder etabliert 
       
       Die Aufgabe, die der Bundestrainer zu bewältigen hat, ist indes viel
       größer. Er soll den Erfolg des Nationalteams durch Erneuerung verstetigen.
       Doch anders als bei Klubtrainern ist sein Reservoir begrenzt. Seit dem
       Rücktritt von Philipp Lahm, dem einzigen deutschen Außenverteidiger von
       internationalem Format, hat er auf längere Sicht nun statt einer zwei
       Problemzonen zu kaschieren, weil auch die viel gerühmten deutschen
       Nachwuchsakademien bislang noch keine geeigneten Nachfolgekandidaten
       ausgebildet haben.
       
       Auf den Positionen, auf denen die Konkurrenz deutlich größer ist, vertraut
       Löw in erster Linie altbekannten Weggefährten wie Sami Khedira, Bastian
       Schweinsteiger oder auch Lukas Podolski. Der verletzungsbedingte Ausfall
       arrivierter Kräfte wie Ilkay Gündogan und Marco Reus bestärkt sicherlich
       diese Tendenz.
       
       Feierte einst das Fußballfeuilleton nach dem Abgang von Capitano Michael
       Ballack die flachen Hierarchien und den egalitären Fußball der DFB-Elf,
       haben sich längst wieder neue Hackordnungen etabliert. Wer Schweinsteiger
       „Chefchen“ nennt, macht sich des Tatbestands der Majestätsbeleidigung
       verdächtig. Weil aber der malade Mittelfeldspieler zuletzt doppelt so
       schnell zu altern schien wie seine Kollegen oder weil auch andere
       Häuptlinge wie Sami Khedira vornehmlich mit ihrem anfälligen Körpern zu
       kämpfen haben und einige neue Spieler wie Julian Weigl, Leroy Sané oder
       Joshua Kimmich ins Team integriert werden müssen, wird Löw einige sich
       anbahnende Verschiebungen im Gesamtgefüge moderieren müssen.
       
       Möglicherweise spielt der DFB mit Dreierkette 
       
       Bei aller Treue zu verdienten Nationalspielern überraschte Löw in der
       Vergangenheit bei großen Turnieren gern mit experimentellen Versuchen. In
       Brasilien etwa stellte er in der Vorrunde seine Viererabwehrkette
       ausschließlich aus gelernten Innenverteidigern zusammen und versetzte Lahm
       ins Mittelfeld. Im Viertelfinale gegen Frankreich beorderte er Lahm wieder
       zurück auf die Außenbahn. Anders als bei der letzten EM, als ihm nach dem
       verlorenen Halbfinale gegen Italien Coachingfehler vorgehalten wurden,
       zahlte sich Löws Experementierlust in Brasilien aus.
       
       Angesichts der Problemzonen und der schwer einschätzbaren Personallage wird
       dieses Mal in Frankreich womöglich eine noch größere Flexibilität
       erforderlich sein. Joachim Löw hat bereits angedeutet, dass die
       Dreierkette, wie sie die Spieler des FC Bayern kennen, ein Mittel seiner
       Wahl werden könnte. Das Nationalteam befindet sich in einer komplizierten
       Übergangsphase. Die Europameisterschaft in Frankreich ist für die DFB-Elf
       möglicherweise „nur“ ein Zwischenschritt. Angesichts der Herausforderungen
       könnte es aber ein ganz großer werden.
       
       12 Jun 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Johannes Kopp
       
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