# taz.de -- EMtaz: Matchwinner Dimitri Payet: Mit 29 Jahren, da fängt das Leben an
       
       > Das Eröffnungsspiel ist gerettet. Der Dank geht an Dimitri Payet, der mit
       > seinem Traumtor dafür sorgte, dass wir endlich über Fußball reden können.
       
 (IMG) Bild: Heul doch!
       
       Es reicht. Die Assoziationskette war vorgezeichnet: Böse Erinnerungen kamen
       zum Vorschein, als am Freitagnachmittag englische Hooligans am alten Hafen
       in Marseille randalierten und die Polizei mit Tränengas einschritt.
       Angesichts der Fernsehbilder im Vorfeld der Partie England – Russland
       fühlte sich die französische Sportzeitung L'Equipe sogleich an die Krawalle
       während Frankreichs Heim-WM 1998 erinnert: randalierende Glatzköpfe,
       besoffene Krawalltouristen, Arschlöcher. Wie 1998, als englische Hooligans
       sich mit Tunesiern eine brutale Straßenschlacht lieferten und als deutsche
       Hooligans den französischen Polizist Daniel Nivel ins Koma prügelten.
       
       Doch zum Glück gibt es da noch Dimitri Payet, der innerhalb einer halben
       Sekunde das bisherige Hauptnarrativ von Sicherheitsbedenken und Angst mit
       seinem Traumtor zumindest hat dämpfen können. Ballannahme, Drehung, Schuss
       – endlich geht es wieder um Fußball. Um Geschichten von Sportlern, Fans und
       Emotionen. Spätestens mit der Auswechslung Payets kurz nach seinem Tor
       hatte die EM ihre erste große Geschichte: Der 29-Jährige, dessen Karriere
       Höhen und Tiefen kannte, ging schluchzend und unter Tränen vom Feld. Später
       sagte er: „Der ganze Druck ist in dem Moment abgefallen.“ Au revoir
       Terrorangst, see you soon flaues Gefühl im Magen.
       
       Unstrittig: Es war das bisher beste Tor der EM. Payet machte es zwei
       Minuten vor Schluss. Er drehte sich, drei rumänische Gegenspieler
       versuchten noch zu verhindern, was nicht passieren darf. Doch sie kamen zu
       spät. Payet zog von der Strafraumgrenze ab. Die Pille knallte in den langen
       Winkel. Konsolentor. Es war genau der richtige Moment. Gerade noch
       rechtzeitig, um als Fan hinterher behaupten zu können, dass man immer an
       die Franzosen geglaubt hat. Und genau so spät, dass das Eröffnungsspiel
       richtig spannend bis zum Schluss war.
       
       Zu verdanken haben wir das alles einem gerade einmal 1,76 Meter großen
       offensiven Mittelfeldspieler. Nicht jeder hatte Payet auf dem Zettel: Vor
       dem Spiel hatte er für die Franzosen lediglich drei Tore in 19 Spielen
       erzielt. Jetzt kennt ihn jeder. Nicht nur wegen des Traumtors, das Balsam
       für die französische Fußballseele ist, sondern auch aufgrund seiner
       Gesamtleistung. Acht von zwölf Chancen der Franzosen gingen auf die
       Vorarbeit Payets zurück. Die letzte seiner Chancen verwandelte er selbst.
       Der rumänische Keeper Ciprian Tatarusanu war chancenlos.
       
       Payet gilt als Wandervogel 
       
       Payets naturgegebenes Können war Zeit seines Fußballerlebens unstrittig,
       allerdings sagte man ihm nach, ein schlampiges Talent zu sein. Mit zwölf
       Jahren war er von La Réunion, einer Insel im indischen Ozean, in das
       französische Nachwuchsinternat von Le Havre gewechselt. Doch er konnte sich
       weder in dem Nachwuchszentrum in der Normandie noch bei Le Havre AC
       etablieren.
       
       Payet, als disziplinlos geschasst, ging zurück auf seine Heimatinsel. Dort
       spielte er jedoch im vertrauten Umfeld der heimischen Liga groß auf. Und
       weckte erneut Interesse: 2004, inzwischen 17-jährig, wechselte Payet zurück
       nach Frankreich, in die Amateurmannschaft des FC Nantes.
       
       Langsam kämpfte er sich von dort nach oben. Spielte für die Profis bei
       Nantes, wechselte zu AS Saint-Etienne, zu OSC Lille und Olympique
       Marseille. Payet musste stets dem Ruf des schwer schleifbaren
       Rohdiamantenleben. Er spielte lange Zeit in der französischen Ligue 1. Gute
       und schlechte Spielzeiten wechselten sich ab, doch zwischendurch blitzte
       stets sein Genius auf.
       
       Real Madrid ist interessiert 
       
       Vor der vergangenen Saison wechselte er zu West Ham United. Sogar der FC
       Arsenal hatte Interesse, den Franzosen zu verpflichten. Doch zu wechselhaft
       seien dessen Leistungen, sagte Wenger später, als es nicht zu dem Transfer
       kam.
       
       Sehr zur Freude von Slaven Bilic – der ist Trainer bei West Ham. Seine
       Bilanz aus der Saison 2015/16: neun Tore, zwölf Assists. Er ist einer der
       Topscorer der Premier League.
       
       In den Augen der Vereinsverantwortlichen dürften sich nun die Pfundzeichen
       spiegeln. Erst im Februar hatten sie den Vertrag mit Payet bis 2021
       verlängert. Das bereits vor dem Spiel kolportierte Interesse Real Madrids
       dürften sich die Londoner vergolden lassen.
       
       „Wer den Ball so in den Giebel haut, hat immer recht“ 
       
       Nicht auszudenken, worüber wir sprechen müssten, hätte er nicht getroffen:
       schlechte Stimmung bei den Franzosen, Mauerfußball schablonenhafter
       Ostblock-Teams, die Zähigkeit eines zweigeteilten Turniers mit 24
       Natiönchen, deren Teilnahme das Versprechen des ehemaligen Kaisers der
       Uefa, Michel Platini, waren. Miesepetrig nahm man an, seine Vasallenstaaten
       betonierten jetzt mit Fünferketten den schönen europäischen Fußball kaputt.
       Nichts davon zu sehen gesternabend beim Eröffnungsspiel.
       
       Stattdessen reden wir von wieder von 1998. Aber nicht etwa von
       Hooligan-Ausschreitungen, sondern ob die Franzosen einen Triumph im eigenen
       Land wiederholen können, als sie im eigenen Land Weltmeisterschaft wurden.
       Einer der Spieler von damals ist der jetzige Trainer der Franzosen, Didier
       Deschamps. Nach dem Spiel war er froh, Payet mitgenommen zu haben: „Wer den
       Ball so in den Giebel haut, hat immer recht“. Eben.
       
       11 Jun 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gareth Joswig
       
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