# taz.de -- Bütikofer über Österreich-Wahl: „Nicht den Besserwisser gespielt“
       
       > Reinhard Bütikofer, Chef der Europa-Grünen, über Parallelen zwischen
       > Deutschland und Österreich – und Kretschmann als Bundespräsident.
       
 (IMG) Bild: Grüner Wahlsieger: Winfried van der Bellen oder Alexander Kretschmann
       
       taz: Herr Bütikofer, Österreich hat jetzt einen grünen Bundespräsidenten.
       Was können die deutschen Grünen von ihm lernen? 
       
       Reinhard Bütikofer: Dieses historische Ereignis lässt sich nicht eins zu
       eins auf Deutschland übertragen. Der Bundespräsident wird bei uns
       bekanntlich in der Bundesversammlung gewählt, nicht vom Volk. Ein paar
       entscheidende Faktoren des Sieges von Alexander Van der Bellen sind
       allerdings einer näheren Betrachtung würdig.
       
       Welche sind das? 
       
       Van der Bellen ist kompromisslos für fundamentale Werte eingetreten, wirkte
       aber zugleich als Brückenbauer. Diese Kombination hat seinen Sieg
       ermöglicht. Er hat sich zum Beispiel scharf gegen Rechts abgegrenzt und
       früh gesagt, dass er keine FPÖ-Regierung ernennen werde. Aber er hat nie
       den grünen Besserwisser gespielt.
       
       Van der Bellen präsentierte sich als unabhängiger Kandidat. Er hielt also
       bewusst Abstand zur eigenen Partei. 
       
       Richtig. Und er tritt auch nicht so auf, als habe er für jedes Problem die
       richtige Lösung parat. Stattdessen setzt er auf gesellschaftlichen Dialog.
       Van der Bellen strahlt aus, Präsident aller Österreicher sein zu wollen. So
       hat er sich etwa in seiner Kampagne zu seiner Heimatliebe bekannt und den
       albernen Anspruch der Rechten offensiv bestritten, dass der Patriotismus
       ihnen gehöre. Klare Kante und versöhnend wirkende, glaubwürdige Offenheit,
       das ist ein politischer Stil, der Zukunft hat.
       
       Offenbar sind die Grünen in bestimmten Situationen hegemoniefähig. Welche
       Voraussetzungen müssen gegeben sein? 
       
       Ich halte drei Elemente für entscheidend, wenn es um grüne
       Hegemoniefähigkeit geht. In Österreich haben ÖVP und SPÖ abgewirtschaftet.
       Die Hauptpfeiler der Parteiendemokratie haben aktiv ihre
       Selbstzertrümmerung betrieben, indem sie den Rechten hinterherliefen. In so
       einer Situation sucht die Gesellschaft nach Alternativen. Zweitens braucht
       es einen glaubwürdigen Kandidaten. Und zuletzt müssen Politiker heutzutage
       mit einem Gestus des Dienens auftreten. Wer wie ein herrischer Oberlehrer
       wirkt, wird scheitern.
       
       Winfried Kretschmann ist mit seiner Politik des Zuhörens in
       Baden-Württemberg sehr erfolgreich. Sehen Sie Parallelen? 
       
       In Habitus und Ausstrahlung gibt es eindeutig Ähnlichkeiten zwischen Van
       der Bellen und Kretschmann. Aber, um im Bild zu bleiben: In
       Baden-Württemberg wurde im März sozusagen der Bundeskanzler gewählt, der
       Mann, der als Regierungschef die Geschicke des Landes lenkt. Das wäre ohne
       jahrelange Vorarbeit und die tiefe Verankerung der Grünen im Südwesten
       nicht möglich gewesen. In Österreich wurde der Präsident gewählt. Da ging
       es am Ende darum, dass die Grünen den Mann anboten, den liberal denkende
       Österreicher mit republikanischer Selbstachtung wählen konnten.
       
       Es ging um eine Polarisierung: Hier der Demokrat, da der Rechtspopulist. 
       
       Zugespitzt könnte man sagen: Im Sieg von Van der Bellen steckt viel
       Anti-FPÖ. Im Sieg von Kretschmann steckt viel Pro-Kretschmann. Aber damit
       will ich den Erfolg von Van der Bellen nicht klein reden. Er hat aus einer
       Außenseiterposition sensationell aufgeholt und gewonnen.
       
       Zeigt das Beispiel, dass sich die Grünen manchmal mehr zutrauen müssen? 
       
       Wir sollten uns immer viel zutrauen.
       
       Ihre Partei könnte 2017 mit einem eigenen Kanzlerkandidaten antreten und
       Merkel herausfordern. 
       
       Diese Frage wäre mir an Ihrer Stelle peinlich.
       
       Der taz ist keine Frage peinlich. 
       
       Die taz ist die taz, aber die Grünen sind nicht Guido Westerwelle.
       
       Wird Kretschmann in ein paar Jahren der erste grüne Bundespräsident? 
       
       Dieses Szenario halte ich für ausgeschlossen. Kretschmann hat keine
       bundespolitischen Ambitionen. Er liebt seine Heimat von ganzem Herzen. Er
       will für Baden-Württemberg viel erreichen, und genau das macht übrigens
       seine Glaubwürdigkeit aus.
       
       Zeigt Österreich, dass die Grünen das Zeug für eine moderne Volkspartei
       haben? 
       
       Ich halte nicht viel davon, den Grünen dieses veraltete Konzept
       überzustülpen. Die Volksparteien befinden sich doch in der Krise, die Macht
       von CDU und SPD erodiert seit Jahren. Wir wären doch schön blöd,
       ausgerechnet das Volksparteimodell jetzt paradigmatisch auf uns zu
       übertragen.
       
       Viele Ihrer Parteifreunde beschreiben die Südwest-Grünen als neue
       Volkspartei. 
       
       Eine Volkspartei bündelt Partikularinteressen unter einem Dach, es gibt
       einen Arbeitgeber- und einen Arbeitnehmerflügel. Integriert wird beides
       über Macht, Posten und Pfründe, es wird fein säuberlich gerechnet, wer
       welchen Anteil bekommt. Wir Grüne haben gelernt, die Integration
       gesellschaftspolitisch und themenorientiert zu denken.
       
       Sie haben den Begriff „Orientierungspartei“ für die Grünen geprägt. Was ist
       das eigentlich? 
       
       Die bisherigen Volksparteien, also CDU, CSU und SPD, leiden an einer
       zunehmenden Orientierungsschwäche. Dieses Defizit ist eine Chance für die
       Grünen, leider auch eine für die Rechten. Wir dürfen den Streit um die
       Zukunft unseres Landes und der EU nicht dem Wettbewerb zwischen
       technokratischer Entpolitisierung und populistischem Extremismus
       überlassen.
       
       Mag sein. Aber das würde jeder SPD-Politiker auch behaupten. 
       
       Orientierungspartei sein heißt, die grundlegenden Reformprojekte zu
       identifizieren und dafür zu streiten. Die Grünen stehen für die
       sozialökologische Wende, für Europa und für Integration und humanitäre
       Flüchtlingspolitik. Das sind für einen neuen, progressiven, zukunftsfähigen
       Mainstream entscheidende Elemente.
       
       Die Grünen liegen doch bei vielen Themen himmelweit auseinander. Die einen
       wollen eine Vermögenssteuer, Kretschmann schützt Reiche. Wo ist da die
       Orientierung? 
       
       Ich behaupte nicht, dass der Begriff perfekt ist. Er birgt auch die Gefahr,
       dass man sich in missionarischen Selbstgewissheiten verirrt. Das darf nicht
       passieren. Wenn eine Partei aber über verschiedene Ansätze streitet und
       dabei, statt Nabelschau zu betreiben, die Gesellschaft einbezieht,
       entspricht das dem Auftrag des Grundgesetzes, an der Willensbildung des
       Volkes mitzuwirken.
       
       Kretschmann will die Grünen in die Mitte ziehen. Sind Sie in einer Partei
       links der Mitte? 
       
       Ich halte von dieser schlichten Parlamentsgeografie nichts. Die Grünen
       haben linke Wurzeln, aber auch liberale oder konservative. Viele Probleme
       sind zu komplex, um sie auf einer eindimensionalen Politikskala
       einzuordnen. US-Präsident Theodore Roosevelt war ein progressiver
       Konservativer und hat Nationalparks gegründet, also den Naturschutz
       entdeckt. Soll ich das als Grüner blöd finden?
       
       24 May 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrich Schulte
       
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