# taz.de -- Wissenschaft trifft Kunst: Ausflug nach Spitzbergen
       
       > Der Kunstverein Bremerhaven zeigt Teil II der Arktis-Ausstellung von
       > Nathalie Grenzhaeuser. Sie bildet ab, was sie vorfindet – aber stark
       > bearbeitet
       
 (IMG) Bild: Die Arktisstation – aus Sicht der Künstlerin
       
       BREMEN taz | Mit der Ausstellung „The Arctic Series II“ der Künstlerin
       Nathalie Grenzhaeuser widmet sich die [1][Kunsthalle Bremerhaven] erneut
       einem maritimen Thema. Erstaunlich kleinteilig und konkret ist die Schau –
       zumindest verglichen mit dem, was man in Bremerhaven sonst zu sehen
       bekommt. Das sind meist Kunstwerke, deren Wirkung sich mehr im Kopf als vor
       den Augen entwickeln.
       
       Grenzhaeuser erzählt vom norwegisch verwalteten Spitzbergen. Spitzbergen
       war und ist international. Während des kalten Krieges war es so
       international, dass West- und Ostmächte gleichermaßen auf der Insel
       anzutreffen waren. Das ist auch in Grenzhaeusers Arbeit zu sehen.
       
       Bereits seit neun Jahren reist die 1969 in Stuttgart geborene Künstlerin
       dorthin. Zuletzt kam sie in der deutsch-französischen Awipev-Station in
       Ny-Ålesund unter, einem der nördlichsten Orte der Welt. Ermöglicht wird ihr
       diese aufwendige Arbeit durch das inzwischen seit gut vier Jahren laufende
       Projekt „Wissenschaft und Kunst“ des [2][Alfred-Wegener-Instituts] und des
       Helmholtz-Zentrums für Polar- und Meeresforschung – beide mit Sitz in
       Bremerhaven.
       
       Bereits zu Beginn dieses Jahres würdigte die Städtische Galerie Delmenhorst
       Grenzhaeusers künstlerische Expeditionsarbeit mit einer Ausstellung, in der
       der erste Teil ihrer „Arctic Series“ gezeigt wurde. In der zweiten
       Ausstellung kann man nun etwa zahlreiche Fotografien sehen, die Nathalie
       Grenzhaeuser während ihrer Expedition von im norwegischen Spitzbergen
       ansässigen Forschungsstationen aufgenommen hat.
       
       ## Keine Dokumentarfotografie
       
       Auch wenn der Gedanke naheliegt – um klassische Dokumentarfotografie
       handelt es sich bei diesen Aufnahmen nicht. Die Bilder sind stark
       bearbeitet. Die Dinge, die Grenzhaeuser vorgefunden hat, sind auf den
       ausgestellten Abzügen und in ihren Videos neu zusammengesetzt und weich
       gezeichnet oder extrem vergrößert. Es sind schon noch die Dinge der
       wirklichen Welt da draußen, die uns in diesen Arbeiten begegnen – bloß
       finden wir sie massiv überformt vor.
       
       Es sind eigenartige Gebäude auf den Bildern zu sehen, die entfernt an
       Raumschiffe erinnern, die ihren Weg durch das All aus einem unerfindlichen
       Grund in diese ewige Winterlandschaft geführt hat. Diese seltsamen
       Geschöpfe industrieller Baukunst sieht man da im Schnee hocken. Vollkommen
       frei von Sinn und Intention. Ein in den Berg gerammtes Dreieck, eine weiße
       Kugel mit Antenne, und dann auch etwas vollkommen aus der Zeit gefallenes,
       wie eine primitive Holzkiste mit Schornstein.
       
       Weder ihre räumliche Dimension noch ihre hochtechnisierte Innenwelt kann
       man sehen. Und so bleibt nur Wundern und Staunen über ihre Hülle. Das sind
       die westlichen, in Betrieb stehenden Forschungsstätten. In ihnen werden die
       Werte von Luft und Wasser gemessen und Saatgut archiviert. Der in den Fels
       gerammte Keil ist nur der Eingang zur Saatgutsammlung von Monopolisten wie
       Monsanto.
       
       Die Firma ist berüchtigt für die Vernichtung vererbungsfähigen Saatguts,
       indem sie den Markt mit vererbungsuntüchtigen Hybridsamen überschwemmt. In
       Spitzbergen sichert sie das Erbgut sämtlicher Pflanzen der Welt. Ihr Bau
       setzt sich im Inneren der Erde fort und hat immensen Einfluss auf die
       Zukunft der globalen Landwirtschaft. Der Zutritt ist hier verboten.
       
       ## Verbretterter Kohleschacht
       
       Was die Künstlerin jedoch zeigt, ist das Innenleben der verlassenen
       ehemaligen sowjetischen Anlagen. Hier ist niemand mehr, der ihr den Zutritt
       verwehren könnte. Über einen kahlen Berg schleppt sich ein blau
       verbretterter Kohlenförderschacht.
       
       Eine Innenansicht zeigt eine schiefe Decke über nutzlos gewordenen
       Schienen. Dann wieder ein verlassener Flur in einem Verwaltungsgebäude: Aus
       den geöffneten Türen strömt helles Licht in den rosanen Trakt. Die Decke
       ist übersät mit Wasserflecken. Dann sieht man es auf einem ungepflegten
       Platz vor kargen Bergen stehen: ein ebenfalls ausgedientes und
       zurückgelassenes steinernes Lenin-Porträt auf einem Sockel.
       
       Zwischen der Leere der Leere und Seltsamkeit der Polarfotografien hat die
       Künstlerin Sitzkissen platziert, die sie deutlich an Eisbergen abgelegt
       hat. Die weißen Raumplastiken sind in Quadrate unterteilt, als seien sie
       von einem Programm zur Vermessung ihrer Masse skaliert worden. Bequem sind
       sie. Ihre Zacken leisten dem Rücken ausreichend Widerstand.
       
       Materialität scheint Grenzhaeuser auch in einer anderen Arbeit wichtig, dem
       Video mit dem Titel „Black Ice“. In einem Eisforschungszentrum hat die
       Nitsch-Schülerin das Schmelzen unterschiedlicher Eisarten unter die Lupe
       genommen – optisch wie akustisch. Gletscher-, Boden- und Zapfeneis kann man
       beim Schmelzen aus nächster Nähe beiwohnen. Die Oberfläche schmelzenden
       Eises sieht nicht immer aus wie die Würfel, die in der Werbung von Cola
       übergossen werden. Hier geraten sie in Bewegung, werden klein und klären
       sich.
       
       Das „Black Ice“ in Grenzhaeusers Videoarbeit hingegen erinnert an einen
       Sumpf oder schmelzenden Kunststoff. Es schlägt dunkle und giftige Bläschen.
       Man hört es knacken und murmeln, dann wieder klingt es wie der Fraß
       hunderter Insekten. Schließlich ist man ein wenig irritiert, dass der
       fremde Norden weit fremder sein kann, als man es sich vorzustellen
       vermochte.
       
       Vielleicht nimmt man dann noch mal auf dem Sitzsack-Felsen Platz und wartet
       auf die Fortsetzung der Ausstellungsreihe, auf „Arctic Series III“, in
       welchem norddeutschen Ausstellungshaus auch immer. Denn die Polargegend ist
       karg, aber weit.
       
       The Arctic Series II: bis 29. Mai, Kunsthalle Bremerhaven
       
       9 May 2016
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.kunstverein-bremerhaven.de
 (DIR) [2] http://www.awi.de
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Radek Krolczyk
       
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       Der Weg dorthin lohnt sich ohnehin, auch das Kunstmuseum nebenan ist
       allerfeinst.