# taz.de -- Ausstellung im Kunstverein Bremerhaven: Heimat aus Seemannsgarn
       
       > Annika Kahrs hat Seeleute ihr Zuhause malen lassen und aus dem Gekrakel
       > technische Zeichnungen gemacht. Das Ergebnis ist jetzt im Kunstverein
       > Bremerhaven zu sehen.
       
 (IMG) Bild: Die Heimat bleibt stets dieselbe - wenn auch bisweilen in der Erinnerung verschönert: Still aus dem Video "Sunset Sunrise", 2011.
       
       BREMERHAVEN taz | Vielleicht gibt es keine dynamischere Erzählung als die
       einer Reise. In der Zeit verändert sich das Setting. Landschaften ziehen
       vorbei, neue Figuren tauchen auf und verschwinden wieder. Am Ende ist
       selbst der Protagonist ob seiner Erfahrungen ganz verändert. Als einzige
       Konstante bleibt meist der Heimatort. Ob nun in der Erinnerung während der
       Reise oder nach der Rückkehr – die Heimat bleibt stets dieselbe. Als
       wahrhaftiger und authentischer Ruhepol bleibt sie meist unangetastet.
       
       Fiktives in der Erinnerung des Reisenden an seine Heimat hingegen ist
       seltener. Die Hamburger Künstlerin Annika Kahrs macht in ihrer Arbeit
       „Lines“ gerade diese Momente stark. Bis Anfang März ist sie noch im
       [1][Bremerhavener Kunstverein] zu sehen. Annika Kahrs, die an der Hamburger
       Kunsthochschule bei Andreas Slominski studierte und als Assistentin für
       Susanne Pfeffer am Künstlerhaus Bremen arbeitete, ist heute eine angesehene
       Künstlerin. Ihre Arbeiten waren international in wichtigen Häuern zu sehen.
       
       Die Hamburger Kunsthalle hat 2010 ihre Videoarbeit „Strings“ angekauft. Ein
       Streicherquartett ist darin zu sehen. Die Musiker spielen ein Stück von
       Beethoven und wechseln nach jedem Satz Stuhl und Instrument. Sie verlieren
       die Konzentration und verspielen sich immer mehr.
       
       Video, Sound und Performance sind die Mittel, derer Kahrs sich meist
       bedient. So ist die Bremerhavener Arbeit eine Ausnahme. Wie eine
       Schiffsbrücke wirkt eine in den Raum ragende Empore. Sie gehört zur festen
       Museumsarchitektur. Der Blick von oben in den sonst leeren Saal erinnert
       fast an einen Blick aufs Meer. Wo nichts ist, ist Platz für die
       Vorstellung.
       
       ## Wohnungen Weltreisender
       
       Leer wirken zunächst auch die weißen Papierbahnen, die von den hohen Wänden
       herunterhängen und an Fahnen oder Segel erinnern. Erst bei näherem Hinsehen
       erkennt man darauf Linien und Schrift. Es sind großformatige
       Architekturzeichnungen. Man sieht die Grundrisse von Wohnungen. Später
       erfährt man, sie befinden sich in Myanmar, Vietnam und auf den Philippinen.
       Es handelt sich um Grundrisse von Wohnungen Weltreisender, die für einen
       Moment in Bremerhaven gestrandet sind.
       
       Einen lokalen Bezug hat die Ausstellung von Annika Kahrs auch. Aktuell ist
       die 30-jährige Künstlerin Stipendiatin des Bremerhavener Kunstvereins. Teil
       des sechsmonatigen Stipendiums ist eine Wohnung in der Hafenstadt. Kahrs
       arbeitet oft und gerne ortsbezogen.
       
       Den Architekturzeichnungen hat Annika Kahrs Erzählungen und Skizzen von
       Seeleuten aus aller Welt zugrunde gelegt. Sie hat sich die hunderte
       Seemeilen entfernten Wohnungen beschreiben und aufzeichnen lassen. Die
       krakeligen Kugelschreiberskizzen hat die Künstlerin dann in saubere
       technische Pläne übertragen.
       
       Kahrs hat die Seefahrer im Bremerhavener Seemannsclub getroffen. Früher
       befand sich der Club in der Innenstadt. Nun aber sind die Aufenthalte der
       Seeleute so kurz geworden, dass es sich für sie gar nicht erst lohnt, den
       Hafen zu verlassen.
       
       Die Form der Architekturzeichnung erweckt den Eindruck, man habe es mit
       einer nüchternen und objektiven Übertragung der weit entfernten Wohnungen
       der Seereisenden zu tun. Als seien sie die Resultate aufwendiger und
       exakter Vermessungsarbeiten. In Wirklichkeit sind sie Ergebnisse vielfacher
       Vermittlungsschritte und als solche sicherlich voller absichtlicher und
       unabsichtlicher Erinnerungs und Übertragungsfehler.
       
       ## Zwei Master-Bedrooms
       
       Als solche werden sie auf den Fahnen offenbar. Die Heimat ist nicht der
       authentische und unveränderliche Punkt, zu dem sie gemacht wird. Während
       einer Reise verändert sich die Vorstellung von ihr. Das Bild der Heimat auf
       den weißen Fahnen hingegen ist das einer transformierten Heimat. Die
       Architekturzeichnungen sind letztlich Ergebnis dessen, was Seeleute einer
       fremden Frau am Kaffeetisch erzählten – durchzogen von Fantasie und
       Gedächtnisfehlleistungen.
       
       Und einigen spleenigen Hervorhebungen: So erscheinen die Wohnungen auf den
       Plänen fast leer. Von „Dimi’s Home“ erfährt man immerhin, dass draußen in
       einer Hütte ein „Dog Max“ haust und „Paolo’s Home“ über einen Gebetsraum
       verfügt, in dem eine Buddhastatue steht. Tatsächlich wirkt manche Wohnung
       der Containerschiffsarbeiter, als gehöre sie einem wohlhabenden Gutsherrn.
       „Paolo’s Home“ verfügt über einen „Master Bedroom“ – „Maungs’s Home“ sogar
       über zwei. Kinder und Frauen bewohnen separate Schlafzimmer.
       
       Beim Betrachten der Pläne wird man unsicher: Wie kann es sein, dass diese
       „Gutsherren“ auf einem Containerschiff anheuern? Haben sie bei ihrer
       Darstellung übertrieben? Oder Entspricht ihr Verdienst auf dem Schiff
       relativem Reichtum in ihrem Heimatland? Um welches Land es sich handelt,
       wird indes nicht direkt ersichtlich. Jedenfalls grenzt „Arnel’s Home“ an
       eine riesige Tabakplantage, „Dragan’s Home“ hingegen an den Atlantik. Als
       Symbole werden Dreiecke und Wellen verwendet. Wie auf einer richtigen
       Landkarte. In eine objektivere Form lassen sich Erinnerung und Fiktion kaum
       überführen.
       
       ## Bis 1. März, Kunstverein Bremerhaven
       
       17 Feb 2015
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.kunstverein-bremerhaven.de/kunsthalle-de/rueckblick/2015-2011/annika-kahrs.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Radek Krolczyk
       
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