# taz.de -- Soziologin über Regretting Motherhood: „Es geht immer nur um die Kinder“
       
       > Die Soziologin Orna Donath forscht zu Frauen, die es bereuen, Mutter
       > geworden zu sein. Ein Gespräch über gesellschaftliche Ächtung und
       > Rebellion gegen Tabus.
       
 (IMG) Bild: „Mütter, die bereuen, bringen das Rollenbild ins Wanken“, sagt Orna Donath
       
       taz: Frau Donath, seit [1][die Süddeutsche Zeitung vor einem Jahr zum
       ersten Mal über Ihre Studie „Regretting Motherhood“] berichtete, wurde viel
       über Ihre Thesen gestritten – vor allem in Deutschland. Überrascht Sie das? 
       
       Orna Donath: Was mich überrascht hat, war die Dauer der Debatte in
       Deutschland. In Israel ging die Aufregung etwa eine Woche. Dann war das
       Thema durch. In Deutschland dagegen zog sich das über Monate hin. Was mich
       dagegen nicht überrascht hat, war, dass das Thema generell polarisiert.
       Schon als ich die Interviews mit den 23 Frauen geführt habe, war mir klar,
       dass ich auf einem Pulverfass sitze und dass dieses Pulverfass explodieren
       würde, sobald ich die Ergebnisse veröffentliche.
       
       Warum? 
       
       Alle Frauen, die an meiner Studie teilgenommen haben, haben die Frage „Wenn
       Sie mit dem Wissen, das Sie heute haben, noch einmal entscheiden könnten,
       würden Sie dann noch mal ein Kind bekommen?“ mit Nein beantwortet. Es geht
       also um die Verbindung von zwei Konzepten, die vorher noch niemand
       zusammengebracht hatte, die Konzepte von Mutterschaft und Reue. Das ist ein
       gesellschaftliches Tabu. Normalerweise sagt man Frauen immer: „Du wirst es
       bereuen“, wenn sie sich dazu entschließen, keine Kinder zu bekommen. Nicht
       umgekehrt.
       
       Warum ist das ein Tabu? 
       
       Diese Frauen rebellieren gegen die Rolle, die ihnen die Gesellschaft
       zugeschrieben hat. Frauen sollen Mütter sein. Mütter, die bereuen, bringen
       dieses Rollenbild ins Wanken, und das ist bedrohlich.
       
       Was, glauben Sie, wird passieren, wenn Frauen plötzlich bereuen dürfen?
       Stirbt die Menschheit dann aus? 
       
       Nein. Ich glaube, es wird trotzdem eine Menge Frauen geben, die Kinder
       bekommen. Denn viele Frauen möchten das ja. Und ich begrüße das. Was viele
       Kritiker immer wieder falsch verstehen: Ich bin weder gegen Mutterschaft,
       noch rufe ich Frauen dazu auf, ihre Mutterschaft zu bereuen oder keine
       Kinder mehr zu bekommen. Alles, was ich sage, ist: Es gibt Frauen, die
       Kinder bekommen und diese Entscheidung gerne rückgängig machen würden.
       
       Warum haben diese Frauen dann Kinder bekommen? Das war doch eine
       freiwillige Entscheidung, oder nicht? 
       
       Ich denke, man muss hier sehr genau sein und zwischen Zustimmung und Wille
       unterscheiden. Die Frauen haben zugestimmt, Mutter zu werden. Gewollt haben
       sie es oft nicht. Viele sagen: Ich komme gegen den gesellschaftlichen Druck
       nicht an und füge mich. Wieder andere wurden vor die Wahl gestellt, Kinder
       zu bekommen oder den Partner zu verlieren. Sie hatten also die Wahl
       zwischen schlecht und sehr schlecht. Ich verurteile diese Frauen nicht. Ich
       zeige nur die Mechanismen auf, die am Werk sind.
       
       Welche sind das? 
       
       Viele. Aber lassen Sie mich folgende Unterscheidung treffen: Einerseits
       drängt die Gesellschaft Frauen in die Mutterrolle, indem sie ihnen für den
       Fall, dass sie Kinder bekommen, vieles verspricht. Zum Beispiel: „Du wirst
       im Alter nicht alleine sein.“ Oder: „Du wirst eine glückliche Familie
       haben.“ Dass das am Ende wirklich so kommt, ist gar nicht gesagt. Was
       gleichzeitig geschieht, ist die Delegitimierung von Frauen, die kinderlos
       bleiben. Sie gelten als egoistisch, unweiblich, bemitleidenswert und
       irgendwie defekt. Es ist, als bekäme die weiße Weste einer Frau dadurch
       Flecken. Wenn die Gesellschaft nur Gutes versprechen würde, ohne kinderlose
       Frauen zu ächten, hätten Frauen mehr Wahlfreiheit. Aber durch die
       gleichzeitige Delegitimierung stehen sie ganz schön unter Druck.
       
       Vermutlich bereut jeder Vater und jede Mutter es ab und zu, Kinder bekommen
       zu haben, einfach weil das ganz schön nervenaufreibend sein kann. Blöd
       gesagt: Ja und? 
       
       Auch hier wurde meine Studie oft missverstanden. Mir geht es nicht um
       Ambivalenz. Also nicht um das Gefühl, das tatsächlich die allermeisten
       Eltern haben: „Manchmal leide ich unter meinem Kind, aber wenn es mich dann
       anlächelt, weiß ich: Das ist es wert.“ Solche negativen Gefühle sind
       anerkannt und gelten als normal. Die Frauen, mit denen ich gesprochen habe,
       sagen: Ich leide. Ich habe einen Fehler gemacht. Ohne „aber“. Die Debatte,
       die in Deutschland geführt wird, driftet oft sehr schnell in diese
       Ambivalenz ab und beschäftigt sich dadurch gar nicht mehr mit dem
       eigentlich Aspekt, um den es mir geht, dem Aspekt der Reue.
       
       Okay, aber was bringt es, wenn wir die Reue anerkennen? 
       
       Ganz einfach. Wenn wir anerkennen, dass Mutterschaft nichts ist, was alle
       Mütter glücklich macht, lässt sich Leid reduzieren. Dann können Frauen
       freier entscheiden, ob sie Kinder möchten oder nicht. Und dann werden
       womöglich weniger Kinder geboren, deren Mutter bereut. Im Moment treibt die
       Gesellschaft Frauen in die Mutterschaft und lässt sie dann, wenn sie Kinder
       haben, ziemlich alleine.
       
       Inwiefern? 
       
       In Israel gelten drei bis vier Kinder als Ideal einer Familie. Schon nur
       ein Kind zu bekommen, gilt als unverantwortlich, weil das arme Ding dann
       keine Geschwister hat. Also bekommen Frauen in der Regel mindestens zwei
       Kinder, meist mehr. Gleichzeitig gewährt der israelische Staat nach der
       Geburt gerade mal zehn Wochen Mutterschutz. Das ist paradox und macht mich
       wütend.
       
       In Deutschland ist die Lage besser. Der Mutterschaftsurlaub darf bis zu
       drei Jahre dauern. Und wenn auch der Vater Elternzeit nimmt, gibt es 14
       Monate lang Elterngeld statt der üblichen 12. Ist Ihre Studie überhaupt
       international übertragbar? 
       
       Ja, denn für die allermeisten Frauen, die ich befragt habe, waren die
       Rahmenbedingungen gar nicht entscheidend. Ich habe sie ganz konkret
       gefragt: Wenn alle Bedingungen so wären, wie Sie es sich wünschten, Zeit,
       Geld, Teilhabe, wären Sie dann gerne Mutter? Die Antwort war: „Nein.“
       
       Die deutsche Debatte zum Thema zielt sehr stark auf die Vereinbarkeit von
       Beruf und Familie ab. Glauben Sie wirklich, dass das so irrelevant ist? 
       
       Ich will nicht bestreiten, dass auch die Rahmenbedingungen eine Rolle
       spielen können, also die Frage, wie die Arbeitsbelastung zwischen den
       Geschlechtern verteilt ist, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Aber
       die Frage zielt am Kern vorbei. Denn sie betrifft nur eine gehobene soziale
       Schicht. Nicht alle Frauen haben die Möglichkeit, über diese Fragen
       nachzudenken, weil sie schlicht damit beschäftigt sind, zu überleben. Sie
       müssen Geld verdienen. Über Karriere denken sie gar nicht nach. Interessant
       ist auch, dass man von Frauen, die sich gegen Kinder entscheiden, immer
       automatisch annimmt, sie wollten Karriere machen. Viele Frauen, die ich
       interviewt habe, wollten beides nicht. Warum denken wir da so binär? Kann
       eine Frau nicht einfach nur sein und ihr Leben so leben, wie sie das gerne
       möchte?
       
       Für Ihre Studie haben Sie gerade mal 23 Frauen befragt. Das reicht doch
       nicht aus, um allgemeingültige Aussagen machen zu können, oder? 
       
       Ich hatte nie vor, eine repräsentative Studie zu machen. Ich bin Soziologin
       und betreibe qualitative Sozialforschung, und ich bin eine feministische
       Wissenschaftlerin. Mir sind die Zahlen egal. Ich habe herausgefunden, dass
       es Frauen gibt, die es bereuen, Mutter geworden zu sein. Darüber müssen wir
       sprechen.
       
       Ihre Studie befasst sich nur mit den Frauen. Aber was ist mit den Kindern?
       Leiden die nicht darunter, eine Mutter zu haben, die es bereut, sie geboren
       zu haben? 
       
       Ja, das kann sein. Aber es gibt auch viele Kinder, die unter ihren Eltern
       leiden, obwohl sie absolute Wunschkinder sind. Zu sagen, die Kinder von
       Müttern, die bereuen, würden leiden und andere Kinder wären glückliche
       Kinder, ist mir auch zu binär gedacht. Mir geht es aber um etwas anderes:
       Mütter werden fast ausschließlich als Objekt wahrgenommen. Es geht immer
       nur um das Wohl der Kinder. Das wollte ich nicht wiederholen. Ich wollte
       die Frauen Subjekte sein lassen, mit eigenen Gefühlen und eigenen Gedanken.
       
       Trotzdem bleibt die Frage, wie sich die Mütter ihren Kindern gegenüber
       verhalten sollen: Sollen Sie ihnen sagen, dass sie sie lieber nicht
       bekommen hätten? 
       
       Das ist eine schwierige Frage und ich gebe da keine Empfehlung ab. In
       meinem Buch stelle ich beide Varianten vor. Ich wollte zeigen, dass es
       beiden Gruppen, also sowohl den Frauen, die planen, es ihren Kindern zu
       sagen, als auch den Frauen, die es verschweigen wollen, um den Schutz der
       Kinder geht. Die einen wollen ihre Kinder nicht mit ihren eigenen negativen
       Gefühlen konfrontieren. Und die anderen verstehen es als ihre Pflicht,
       ihren Kindern eine realistische Weltsicht mitzugeben. Sie wollen die
       gesellschaftliche Lüge, dass Kinder jede Frau glücklich machen, nicht
       mitspielen. Wir haben oft nur ein Szenario vor Augen: Die Familie sitzt am
       Tisch und die Mutter schreit: Du hast mein Leben ruiniert! Aber so ein
       Gespräch kann auch eine sehr feministische Unterhaltung zwischen Mutter und
       Tochter sein, die darauf abzielt, nicht die selben traditionellen
       Vorstellungen von Mutterschaft zu reproduzieren.
       
       14 Apr 2016
       
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