# taz.de -- Verschlechterungen in Bremen: „Im Eiltempo abgebaut“
       
       > Künftig wird der Sozialpsychiatrische Dienst nachts nicht mehr erreichbar
       > sein.
       
 (IMG) Bild: Psychiatrie-Erfahrene beklagen unnötige Zwangseinweisungen trotz Ambulantisierung
       
       taz: Herr Tintelott, zum Monatsende muss der Sozialpsychiatrische Dienst
       sein Krisentelefon einschränken. Ist die Psychiatriereform in Gefahr, bloß
       weil nachts für ein paar Stunden niemand den Hörer abnimmt? 
       
       Detlef Tintelott: Das ist ja nur eine von vielen schlechten Entwicklungen
       des letzten Jahres: Im Sommer hat das psychosoziale Infotelefon „Plan P“
       aufhören müssen. Da haben mehrere Hundert Leute im Jahr angerufen. Die
       vorbildliche Station „Haus 3“ am Klinikum-Ost ist über die Köpfe von
       Personal und Patienten hinweg geschlossen worden, die ambulanten Träger
       sind überlastet. Der Krisendienst ist der nächste Schritt – und ich möchte
       nicht, dass es so weitergeht.
       
       Warum ist der Nachtdienst wichtig? 
       
       Wer nachts in eine Krise gerät und Hilfe braucht, hat jetzt ein Problem. Im
       Klinikum-Ost ist die Notaufnahme zwar besetzt, aber wer schafft es schon in
       einer akuten Krise ganz raus nach Osterholz zu fahren? Der Krisendienst ist
       zu einem nach Hause gekommen. Als ich dort vor einigen Jahren wegen eines
       Mitbewohners angerufen habe, konnten die das Problem sogar telefonisch
       lösen.
       
       Und jetzt? 
       
       Jetzt muss man die Polizei anrufen – und die werden einem ganz sicher nicht
       am Telefon helfen. Wenn man abgeholt wird und die Nachbarn das mitbekommen,
       ist das nicht schön. Ich habe immer Angst, wenn die Polizei kommt. Die sind
       meist bewaffnet und es ist schon vorgekommen, dass psychisch Kranke aus der
       Wohnung geholt werden sollten und dabei erschossen wurden.
       
       Der Krisendienst kam manchmal auch mit der Polizei. 
       
       Zum Selbstschutz, ja – wenn jemand wirklich aggressiv ist. Das ist ja auch
       völlig in Ordnung. Aber es ist immer besser, wenn psychiatrisches
       Fachpersonal sich um die Menschen kümmert. Polizisten sind da schnell
       überfordert. Neulich hat ein Beamter in Bremen fünf Schüsse durch eine
       Wohnungstür gefeuert. Mir ist nicht wohl dabei.
       
       Zum Ende des Jahres will die Gesundheitsdeputation einen Zwischenbericht
       über den ausgesetzten Nachtdienst diskutieren. Was erwarten Sie sich davon? 
       
       Wenn wir Psychiatrieerfahrene es schaffen, öffentlich Druck zu machen,
       denke ich, dass wir bis dahin noch was erreichen können. Ein ehemaliger
       Patient sammelt gerade Unterschriften gegen die Kürzung und will auch
       klagen. Den unterstützen wir natürlich. Und es ist ja auch die Rede von
       zukünftigen Angeboten in den Stadtteilen. Aber ob das was wird,weiß ich
       nicht. Wir sind schließlich an keinem dieser Reformprozesse beteiligt.
       
       Nicht? Es steht doch in jedem Konzeptpapier, dass Psychiatrieerfahrene in
       die Reform eingebunden werden sollen. 
       
       In wichtige Entscheidungen bisher gar nicht. Wir sollten in die Umarbeitung
       des Psychische-Krankheitengesetzes eingebunden werden. Das musste an die
       UN-Behindertenrechtskonventionen angepasst werden. Wir haben den damaligen
       Gesundheitssenator Hermann Schulte-Sasse auch angeschrieben. Der Brief soll
       wohl beim Psychiatriereferenten gelandet sein, aber wir haben seit über
       einem Jahr keine Antwort bekommen.
       
       In der Öffentlichkeit sieht das aber anders aus: Bei den „Psychiatrie
       2.0“-Veranstaltungen oder bei der „Woche der Seelischen Gesundheit“ sind
       doch immer Psychiatrieerfahrene auch an prominenter Stelle vertreten. 
       
       Da werden ja auch keine Entscheidungen getroffen.
       
       Im Koalitionsvertrag hat sich Rot-Grün geeinigt, an der Ambulantisierung
       festzuhalten – also weniger Klinikbetten und mehr Betreuung draußen. Ist
       das der richtige Weg? 
       
       Ambulante Behandlung ist meist besser, ja. Außer wenn das familiäre Umfeld
       Teil des Problems ist, oder man Stress mit Mitbewohnern hat. Dann kann ein
       Ortswechsel helfen. Das Ziel ist richtig. Im Moment werden Betten aber im
       Eiltempo abgebaut und sich danach gefragt, wo die Leute nun hin sollen.
       Stattdessen sollte man sich eher darum kümmern, dass nicht so viele
       unnötigerweise eingewiesen werden.
       
       Weiß man das denn vorher? 
       
       Bei manchen ist von Anfang an völlig unklar, warum sie hier sind. Da
       schreibt einer einen bösen Brief an einen Richter – einen satirischen
       Brief. Der Richter versteht das falsch und der Schreiber landet in der
       Psychiatrie.
       
       Das ist nun aber übertrieben... 
       
       Nein, das ist so passiert. Der Richter hat tatsächlich die Einweisung
       veranlasst. Der Mensch wirkte ganz normal, war halt nur ein bisschen böse
       gegen die Obrigkeit. Die haben ihm eine Betreuung gegeben und
       Zwangsmedikation beantragt. Er hat diese so genannte Medizin zwar doch
       freiwillig genommen, musste aber einige Monate in der geschlossen
       Psychiatrie absitzen.
       
       Das klingt nach den 1960ern: „Einer flog über das Kuckucksnest“ 
       
       Das war letztes Jahr.
       
       Probleme sehen auch viele Pflegekräfte, Ärzte und Politiker. Warum passiert
       trotzdem zu wenig? Liegt das wieder mal am Geld? 
       
       Nicht nur: Geld für die Psychiatrie ist eigentlich genug da. Wir
       produzieren ja Überschüsse. Nur verschwindet das dann in anderen Bereichen,
       die Minus machen.
       
       Und warum dann? 
       
       In Bremen haben Leute über die Psychiatrie zu entscheiden, die eigentlich
       wenig Ahnung davon haben. Der neue Chefarzt, Professor Reimer, ist
       Suchtmediziner und muss sich jetzt erstmal gründlich einarbeiten. Und die
       Geschäftsführerin hat gerade bei einer Veranstaltung Anfang des Jahres
       zugegeben, dass sie von Psychiatrie keine Ahnung hat. Aber solche Leute
       entscheiden darüber. Gespräche mit Fachleute sind wichtig – auch in der
       Klinik. Wir haben zu wenig Psychologen. Denen ist schon vor Jahren aus
       Kostengründen gekündigt worden. Ärzte hat man vielleicht noch genug, aber
       auch beim Pflegepersonal ist es dünn. Das steht auch schwarz auf weiß in
       der Personalverordnung, aber die wird einfach nicht eingehalten.
       
       23 Mar 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jan-Paul Koopmann
       
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