# taz.de -- Debatte Israel: Mehr Geld für „gute Araber“
       
       > Israel will die arabische Minderheit mit Finanzhilfen ruhigstellen. Denn
       > nichts fürchtet die Regierung mehr als einen Aufstand im Kernland.
       
 (IMG) Bild: Verspricht die Finanzhilfe für Araber nur halbherzig: Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu.
       
       Das soziale Gefälle zwischen Juden und Arabern ist unübersehbar. Die
       arabischen Israelis – Palästinenser mit israelischem Pass – leben abseits
       der jüdischen Bevölkerung in ihren eigenen Dörfern und Städten. Sie liegen
       oft idyllisch in den Hügeln von Galiläa, sind aber im Vergleich zu den
       jüdischen Ortschaften ärmlich und wenig erschlossen. Müllhalden am
       Ortsrand, kaputte Straßen ohne Bürgersteige, marode Abwasserversorgung und
       ein katastrophal schlechter Anschluss an das öffentliche Verkehrsnetz.
       
       Nun will die israelische Regierung Abhilfe schaffen. Umgerechnet rund zwei
       Milliarden Euro sollen in den kommenden fünf Jahren aus der Staatskasse in
       Bildung, Arbeitsplätze und eine bessere Gesundheitsversorgung der
       arabischen Kommunen fließen. Offizielles Ziel ist es, die sozioökonomische
       Kluft im Land zu verringern und die arabische Minderheit wirtschaftlich
       stärker einzubinden.
       
       Nicht aus Liebe zu den Arabern handle die Regierung, unkte der
       arabisch-israelische Abgeordnete Ahmed Tibi gleich. Zu Recht. Der
       nationalkonservative Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hofft darauf, mit
       dem Geld die unzufriedenen Araber ruhigzustellen. Die Finanzhilfe ist ein
       richtiger Ansatz, aber aus fragwürdigen Motiven und dazu noch halbherzig.
       
       Die geplante Finanzspritze würde nur ein Bruchteil dessen ausmachen, was
       nötig ist, um die jahrzehntelange Vernachlässigung auszugleichen. Was den
       Plan komplett ins Absurde abgleiten lässt, ist aber, dass die finanzielle
       Unterstützung an Wohlverhalten geknüpft wird. Nur wer sich zum
       „jüdisch-demokratischen Staat Israel“ bekennt, kriegt etwas ab.
       
       ## Brotkrumen statt Gleichstellung
       
       Jeder fünfte Israeli ist palästinensischer Herkunft. Dieser 20-prozentige
       Bevölkerungsanteil lebt in einem Staat, der die Palästinenser im
       Westjordanland und im Gazastreifen unter Besatzung hält. „Wir sind nicht
       hierher hergekommen. Der Staat Israel ist zu uns gekommen“, beschreibt
       Ayman Odeh, Chef der arabischen Partei Vereinte Liste, die Sicht der
       arabischen Minderheit. Solidarität mit den Palästinensern in den besetzten
       Gebieten ist seinen Wählern wichtig. Aber die eigenen Interessen stehen für
       die meisten an erster Stelle. Odehs zentraler Auftrag lautet deshalb:
       Gleichberechtigung und Gleichstellung.
       
       Das Verhältnis der jüdischen und arabischen Bevölkerung in Israel ist
       latent immer angespannt. Doch im Moment sind die Spannungen angesichts der
       aktuellen Gewaltwelle, der sogenannten Messer-Intifada, besonders deutlich
       zu spüren. Mehr als 200 Menschen kamen bereits ums Leben – 34 wurden Opfer
       der zumeist mit Messern verübten Anschläge; rund 190 palästinensische
       Angreifer wurden von den israelischen Sicherheitskräften getötet.
       
       Empörung lösten drei Abgeordnete der Vereinten Liste aus, als sie zu den
       Familien der toten Attentäter fuhren. Der Besuch traf auf einen
       empfindlichen Nerv der von Terror erschütterten jüdischen Israelis. Er
       erregte aber auch Kritik in den eigenen Reihen: Anstatt die Palästinafrage
       in den Fokus ihrer Arbeit zu stellen, sollten sich die Politiker besser um
       ihre Wähler, Israels arabische Minderheit, kümmern, forderten viele.
       
       ## Der Unmut wächst
       
       Die rechtsgerichtete Koalition, die seit einem Jahr regiert, macht es der
       arabischen Bevölkerung nicht leicht, sich als Teil Israels zu fühlen. Als
       gleichberechtigte Bürger sieht Regierungschef Netanjahu sie wohl kaum, wenn
       er im Wahlkampf Israels Rechte zu mobilisieren versucht, indem er vor
       arabischen „Horden“ warnt.
       
       In diesen Tagen erhitzt außerdem eine Rechtsreform die Gemüter, die dem
       israelischen Parlament die Möglichkeit geben würde, staatskritische
       Abgeordnete zu suspendieren. Betroffen wären vor allem arabische
       Abgeordnete – das Gesetz zielt auf die Vereinte Liste. Zuvor schon strich
       die Kulturministerin Subventionen für ein Theater, das sich weigerte, in
       den Siedlungen im Westjordanland aufzutreten. Erziehungsminister Naftali
       Bennett hat ein Schulbuch eingezogen, weil es darin um die Liebe zwischen
       einer Jüdin und einem Araber geht.
       
       Der Unmut wächst in den Reihen der Minderheit, die sich mehr und mehr an
       den Rand der Gesellschaft gedrängt fühlt. Lebensstandard und
       Gewaltbereitschaft stehen, das weiß der Wirtschaftsexperte Netanjahu
       natürlich, im direkten Zusammenhang. Deshalb schwebte ihm auch ein
       „Wirtschaftsfrieden“ mit den Palästinensern vor, als er die Regierung vor
       sieben Jahren übernahm. Die Palästinenser sollten spüren, dass sich die
       Abkehr von der Gewalt lohnt.
       
       Ähnlich ist auch der Fünfjahresplan für die arabische Minderheit als
       Präventivmaßnahme zu verstehen. Es gilt zu verhindern, dass sich die
       Gewaltwelle palästinensischer Attentäter ausweitet und die arabischen
       Israelis mitzieht. Doch der Preis ist hoch, und Netanjahu muss auch seine
       rechtsgerichteten Koalitionspartner davon überzeugen, dass die Investition
       sich lohnt. In trockenen Tüchern ist das Paket deshalb noch nicht.
       
       ## Geld als Mittel der Kontrolle
       
       Unklar bleibt auch, an welche Bedingungen genau die Regierung die Hilfe
       knüpfen will. Was braucht es, um ein „guter Araber“ zu sein? Dass die Latte
       sehr hoch hängen wird, haben Regierungsmitglieder bereits durchblicken
       lassen. Im Gespräch ist ein Ersatzdienst für das Militär, denn Araber
       werden nicht zur Armee eingezogen. Außerdem sollen die Kommunen den Bau von
       Privathäusern ohne Baugenehmigung unterbinden. Doch wo sollen sie wohnen?
       Seit Staatsgründung seien 700 neue Ortschaften für jüdische Israelis
       gegründet worden, klagt Parteichef Odeh, aber nur vier für Beduinen im
       Negev.
       
       Die geplanten Bedingungen bestätigen die Pessimisten, die ohnehin nichts
       Gutes vom Kabinett Netanjahu erwarten. „Ich halte mich an die Gesetze und
       stelle für niemanden eine Gefahr dar“, schreibt die arabisch-israelische
       Publizistin Rita Khoury. „Ich muss euch nicht beweisen, dass ich eine gute
       Araberin bin.“ Die Regierungsentscheidung über mehr Finanzhilfe für den
       arabischen Sektor hätte ein Schritt in die richtige Richtung sein können.
       Doch das Geld soll hier nur als Mittel der politischen Kontrolle eingesetzt
       werden. Besonders schlau ist das nicht, denn Gleichstellung ist die
       Grundvoraussetzung für ein friedliches Miteinander.
       
       19 Mar 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Susanne Knaul
       
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