# taz.de -- Aktion gegen Hartz-IV-Sanktionen: Und wenn der Bescheid kommt? Egal
       
       > Nicht aufgepasst, Geld weg: Jobcenter verhängen schnell Sanktionen. Eine
       > Initiative will Betroffenen helfen – und animiert zu Ungehorsam.
       
 (IMG) Bild: Eines der Gesichter des Hartz-IV-Widerstands: Michael Bohmeyer
       
       Berlin taz | Sanktioniert vom Jobcenter? Das geht schneller, als man denkt:
       Wer als Hartz-IV-EmpfängerIn einen angebotenen Job ablehnt, dem können
       leicht die Bezüge gekürzt werden, mitunter um 30 Prozent. Dann bekommt etwa
       eine alleinstehende Person statt der 404 Euro, die ihr monatlich zustehen,
       nur noch 282,80 Euro.
       
       Dahinter stecke häufig Willkür der Behörden, meint Michael Bohmeyer, 31. Er
       ist Gründer des [1][Berliner Sozialprojekts „Mein Grundeinkommen“, das seit
       einem Jahr über Crowdfunding Geld sammelt] und mittlerweile 25 Frauen und
       Männer mit monatlich 1.000 Euro unterstützt. Hinzu komme „eine große
       Unkenntnis“ bei den SachbearbeiterInnen, die Hartz IV bewilligen, weiß Inge
       Hannemann.
       
       Die 47-jährige Hamburgerin hat jahrelang in Jobcentern gearbeitet und wurde
       2013 als „Hartz-IV-Rebellin“ bekannt, als sie sich zunächst intern und
       später öffentlich gegen die Sanktionierungspraxis der Jobcenter stellte.
       Jährlich gebe es bis zu 1.000 Änderungen bei den Vorschriften und
       Ausführungsbestimmungen zu Hartz IV, sagt Hannemann: „Die können die
       Jobcenter-MitarbeiterInnen gar nicht alle nachlesen.“ Fortbildungen für
       JobvermittlerInnen? Gibt es nur „beschränkt“, sagt Hannemann. Leidtragende
       sind die Hartz-IV-BezieherInnen, die sich nur selten gegen Sanktionen
       wehren.
       
       Bohmeyer findet das unerträglich. „Viele der Sanktionen sind willkürlich
       und rechtswidrig“, sagt er. So darf die Grundsicherung nicht gekürzt
       werden, wenn ein Termin im Jobcenter ordnungsgemäß abgesagt wurde, etwa
       wegen Krankheit. „Das wird häufig aber trotzdem gemacht“, sagt Bohmeyer.
       Dagegen will er jetzt vorgehen , mit einer raffinierten Methode: Bohmeyer
       setzt auf die Mittel des Internetzeitalters: Crowdfunding und
       Solidargemeinschaft. Sein Projekt nennt er „Sanktionsfrei“, am Dienstag
       will er es der Öffentlichkeit vorstellen. Als prominente Unterstützerin hat
       Bohmeyer Inge Hannemann gewonnen, mittlerweile Symbolfigur im Kampf gegen
       Hartz IV und seit einem Jahr für die Linkspartei in der Hamburger
       Bürgerschaft.
       
       ## Crowdfunding gegen Sanktionen
       
       Bohmeyer und Hannemann wollen einen Fonds gründen, in den jede und jeder
       einzahlen kann, freiwillig und so viel und so oft, wie jede und jeder kann.
       Mit dem zusammenkommenden Geld sollen jene Hartz-IV-EmpfängerInnen
       finanziell unterstützt werden, denen Kürzungen ihrer Bezüge drohen.
       
       Die sollen rund 109 Euro pro Monat bekommen. So viel mache laut Hannemann
       eine durchschnittliche Sanktionssumme aus. „In der Regel begehren die
       Betroffenen gegen die Sanktionen nicht auf“, sagt Bohmeyer: „Sie fürchten,
       dass sie dann noch weniger Geld bekommen.“
       
       Müssen sie diese Angst nicht mehr haben, weil sie aus dem
       „Sanktionsfrei“-Fonds Geld bekommen, könnten sie sich auf eine Klage gegen
       das Jobcenter konzentrieren und müssten sich „nicht jeder bescheuerten
       Maßnahme beugen“, so Bohmeyer.
       
       ## Beihilfe zum Sozialbetrug?
       
       Juristisch keine ganz einfache Konstruktion. Hartz-IV-EmpfängerInnen sind
       gesetzlich verpflichtet, dem Jobcenter alle Einkünfte und Geldgeschenke zu
       melden, die Einnahmen werden mit dem Sozialgeld verrechnet. Ansonsten
       begehen sie „Sozialbetrug“, sagt Daniel Schwarz, Anwalt für Sozialrecht in
       Berlin. Angenommen, das Bündnis würde das Geld den EmpfängerInnen in bar
       geben und ihnen auch noch raten, das „Geschenk“ zu verheimlichen, würde es
       „Beihilfe zum Sozialbetrug leisten“. Damit würde „Sanktionsfrei“ illegal
       arbeiten.
       
       Laut Jurist Schwarz gibt es aber eine rechtlich saubere Lösung: Das Bündnis
       könnte sogenannte zweckgerichtete zinslose Darlehen vergeben, die
       zurückgezahlt werden müssen. „Das darf auf Hartz IV nicht angerechnet
       werden, weil es ja wieder zurückgezahlt werden muss“, sagt Schwarz: „Aber
       das nimmt den Betroffenen den Druck.“
       
       Gegen in ihren Augen ungerechtfertigte Sanktionen legen nur etwa 5 Prozent
       der Hartz-IV-BezieherInnen Widerspruch ein. „Manchmal geht es um 20 Euro,
       die das Amt zurückfordert“, sagt Hannemann: „Für das Amt ein Klacks, für
       die Betroffenen eine Katastrophe.“ Aus ihrer Zeit als Arbeitsvermittlerin
       erinnere sie sich an Kurse wie „Wie sanktioniere ich richtig“, in denen die
       JobvermittlerInnen lernten, wie sie Hartz-IV-BezieherInnen am besten unter
       Druck setzten.
       
       Das Bündnis rechnet laut Hannemann mit bis zu 100.000 Betroffenen, die bei
       „Sanktionsfrei“ im Laufe der nächsten Jahre um Hilfe bitten könnten. Von
       den derzeit eingereichten Widersprüchen sind rund 40 Prozent erfolgreich,
       listet das Berliner Arbeitslosenzentrum in einer Statistik auf. „Wenn sich
       mehr Menschen als bisher trauen würden, gegen das Jobcenter zu klagen,
       würde die Sanktionierungspraxis in Gefahr geraten“, sagt Bohmeyer.
       
       8 Feb 2016
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://sanktionsfrei.de/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Simone Schmollack
       
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