# taz.de -- Flüchtling hilft Flüchtlingen in Dresden: Niemand, den man fürchten muss
       
       > Edress Barekzai ist Afghane und arbeitet in Dresden bei der Caritas. Als
       > Flüchtlingssozialarbeiter hilft er anderen Neuankömmlingen.
       
 (IMG) Bild: Edress Barekzai gehört zu den 4.861 Dresdner Asylbewerbern, gegen die die Pegida-Anhänger auf die Straße gehen
       
       DRESDEN taz | Die violett gemusterten Vorhänge sind noch verschlossen. Die
       Uhr, die wie eine Moschee aussieht und im einzigen Schrank der Wohnung
       steht, zeigt neun Uhr vormittags. Ein verwahrloster Plattenbau, notdürftig
       saniert, aber mitten im Zentrum Dresdens. Edress Barekzai lebt gern hier,
       sagt er. Auch, weil er nach über zwei Jahren endlich ein Zimmer für sich
       alleine hat. In einer Wohnung, die er nur mit seiner Mutter teilt.
       
       Er sitzt im Wohnzimmer und beantwortet Arbeitsmails auf dem Laptop. Vor 28
       Jahren wurde er in Kabul geboren. In Afghanistan. Ein drahtiger Typ mit
       braunen Augen und einem melancholischen Blick, der ihn älter wirken lässt.
       Fast die Hälfte seines Lebens verbrachte er in Pakistan, absolvierte dort
       sein Wirtschaftsstudium. In seiner Heimat folgten auf den Krieg die
       Taliban. Durch sie verlor er seinen Vater, die Familie verteilte sich über
       drei Kontinente. Weil er mit der Nato kooperierte, erhielt er Drohungen und
       floh schließlich mit seiner fast 70-jährigen Mutter. Sechs Monate später
       landeten die beiden in einem Dresdner Asylbewerberheim. Das war im Dezember
       2012. Noch vor Pegida.
       
       Erst knapp zwei Jahre später formierte sich die heute als
       rechtspopulistisch geltende Bewegung. Jeden Montag laufen ihre Anhänger
       seitdem durch die Dresdner Innenstadt und protestieren gegen etwas, das sie
       so gut wie nicht kennen: Muslime, wie Barekzai einer ist und von denen in
       Dresden bisher nur etwa 2.000 leben.
       
       Edress Barekzai weiß, dass es in der sächsischen Hauptstadt einige Bürger
       gibt, die sich Sorgen machen. Wegen ihm und seinesgleichen. Auf dem Weg zur
       Arbeit erklärt er deshalb die drei Dinge, die er Neuankömmlingen zuerst
       mitgibt. „Die Sprache und die Kultur müsst ihr erlernen, einen Job finden
       und Sport machen. Ihr dürft nicht nur Karten spielen, trinken und bis um
       ein Uhr mittags schlafen.“ Aktiv sein sollen sie. So wie er. Um denen, die
       sich fürchten, so wenige Gründe wie möglich zu liefern, wütend zu sein.
       
       ## Mit der Fluchtgeschichte auf die Bühne
       
       Es ist kurz nach zehn Uhr. Barekzai fährt mit der Straßenbahn zu einem
       Übergangswohnheim für Asylbewerber. Die Menschen in der Bahn nehmen ihn
       wahr, sehen kurz von der Zeitung auf oder schauen länger. Es ist keine
       Feindseligkeit. Vielleicht ist es Irritation, vielleicht Neugier. Barekzai
       kennt das auch anders.
       
       „Es gab schon öfter böse Blicke“, sagt er. „Alte Menschen schrien mich an,
       Frauen zeigten mir ihren Mittelfinger.“ Ob das Menschen sind, die montags
       durch die Stadt spazieren, ist für ihn letztlich egal. „Die tragen ja keine
       Pullover oder Jacken, wo draufsteht, ob sie Pegida-Mitläufer oder Nazis
       sind.“ Er lacht kurz.
       
       „Ich denke, was Pegida macht, ist Unsinn. Sie sind gegen alle Flüchtlinge,
       weil die Probleme machen. Für sie sind wir alle gleich schlecht.“ Er würde
       gern diskutieren, würde versuchen, zu erklären, davon überzeugen, dass man
       sich vor ihm nicht fürchten muss. Doch bisher ist er noch mit niemandem ins
       Gespräch gekommen.
       
       Im Februar 2014 erzählte er seine Fluchtgeschichte im Theater. Dort wurde
       er zu einem Odysseus, der über Litauen nach Deutschland kam und in Dresden
       strandete. Acht Monate vor der Pegida-Gründung war das. Langsam öffnete
       sich der schüchterne Afghane, lachte wieder, rauchte und trank auch mal ein
       Glas Alkohol mit seinen neuen Kollegen. Um Geld zu verdienen, arbeitete er
       an der Garderobe des Staatsschauspiels. Es vergingen zweieinhalb Jahre, in
       denen er darauf hoffte, einen Asyltitel zu bekommen. Bis August 2015 liefen
       alle seine Bemühungen um einen Ausbildungsplatz ins Leere.
       
       ## Ein Glücksfall für die Caritas
       
       Er hatte nichts zu tun, fühlte sich unnütz. In Hamburg hätte er arbeiten
       können, aber er durfte das Bundesland nicht wechseln, weil er in einem
       laufenden Asylverfahren steckte. Weg aus Dresden kam er also nicht.
       Schließlich erfuhr er von einem Mitarbeiter des Flüchtlingsrats, dass die
       Caritas einen Sozialarbeiter suche. Jemanden, der sich ausschließlich um
       Neuankömmlinge kümmert. „Die richtige Ausbildung dafür habe ich nicht, aber
       dafür sehr viel Erfahrung, ich habe ja ein Jahr ehrenamtlich für den
       Flüchtlingsrat gearbeitet.“ Er bewarb sich.
       
       Vierter Stock einer Plattenbausiedlung. Caritas-Übergangswohnheim. Alle
       Zimmer sehen gleich aus. Bett, Kommode, Tisch, Stuhl, helles Linoleum. Im
       letzten steht die Heizung auf fünf, ein Gebetsteppich liegt gefaltet auf
       der Kommode. Es raschelt, als Barekzai sich setzt, der Stuhl ist noch in
       Folie verpackt. Sechs junge Afghanen verteilen sich auf zwei Betten. Er
       spricht Farsi zu ihnen, hält verschiedene Formulare hoch, erklärt, was sie
       bedeuten. Es fallen Wörter wie „Krankenbehandlungsschein“,
       „Leistungsbescheid“ oder „Dresden-Pass“. Sie bringen ihm Tee.
       
       Zuletzt erklärt er die Hausordnung. Alle Regeln in Bildern. Eine verbietet,
       auf die Toilette zu steigen. Bald muss er weiter, zum zweiten Hausbesuch.
       Dort rascheln auch die Betten, obwohl sie schon mit bunten Spannbettlaken
       überzogen sind. Er spricht jetzt Farsi und Pastho, weil Menschen aus
       Pakistan dabei sind. Die gleiche Prozedur, die gleichen Formulare, die
       gleichen Fragen. Wie lange dauert es? Wie können wir die Sprache lernen?
       „Viele denken, dass ich etwas für sie tun kann, ihre Antragstellung
       beschleunigen. Aber ich kann nur bei der Verständigung helfen.“
       
       Danach geht er das Stück zur Caritas-Beratungsstelle zu Fuß. Seit September
       2015 arbeitet er nun als Flüchtlingssozialarbeiter einer katholischen
       Einrichtung. Als er den Job bekam, wetterten die Pegida-Anhänger schon fast
       ein Jahr gegen Menschen wie ihn. Für die Caritas aber ist er ein
       Glücksfall, denn mit seinen Sprachkenntnissen deckt er weite Teile des
       Mittleren Ostens ab. Zudem kann er zwischen den Kulturen vermitteln.
       
       Gleich beginnt die Flüchtlingssprechstunde, die er leitet, und es ist viel
       los. Mehrere Menschen gleichzeitig treten in Barekzais Büro, machen ihre
       Angaben: Alter, Sprachkenntnisse, Schulabschluss, Beruf. Fast alle sind
       Afghanen und in den Neunzigern geboren.
       
       ## Ständig unter Verdacht
       
       Junge Männer. Sie sind Studenten, Verkäufer, Maler, Übersetzer, einer ist
       Doktorand. Stundenlang tippt Barekzai ihre Daten in eine Excel-Tabelle ein
       und füllt das immer wieder gleiche Formular für sie aus. Den
       Leistungsschein, der ihnen monatlich 325 Euro sichert. Die Klienten mögen
       ihn, weil er ihre Sprache spricht, sehen in ihm einen Freund und eine
       Bezugsperson. Sein Chef sagt, er macht seine Sache sehr gut, teilweise zu
       gut. Er müsse sich Schutzmechanismen zulegen, um arbeitsfähig zu bleiben.
       Das viele Leid aushalten ist schwer.
       
       Kurz nach 18 Uhr hat Barekzai den Gang voller Menschen abgearbeitet. Mit
       tiefen Augenringen und Kopfschmerzen beantwortet er die letzten Mails. Dazu
       hört er „My heart will go on“ von Celine Dion. „Mein Lieblingssong“,
       lächelt er müde. Um sieben schließt er sein Büro ab, kauft im Supermarkt
       ein gefrorenes Huhn fürs Abendessen und spurtet zum S-Bahnhof. Eine
       deutsche Freundin ruft an. Sie reden immer noch, als er am Hauptbahnhof
       aussteigt und ihm kurz darauf jemand die Hand schmerzhaft auf den Rücken
       dreht. Drogenrazzia.
       
       Rund 30 Polizeibeamte führen verdächtig aussehende Personen ab. Für sie
       gehört er dazu. Er muss über eine Stunde lang auf den kalten Fließen eines
       Einkaufszentrums liegen, an den Händen gefesselt, mit dem Kopf nach unten.
       Irgendwann wird er durchsucht. Sie kontrollieren sein Handy und seinen
       Laptop nach verdächtigen Nummern.
       
       Sie finden nichts außer dem mittlerweile angetauten Hühnchen. Danach
       entschuldigen sie sich bei ihm. Edress Barekzai hat sich in Deutschland
       noch nie etwas zuschulden kommen lassen. Aber viele Menschen sind besorgt.
       Deshalb scheint es seine tägliche Aufgabe zu sein, zu beweisen, dass er
       niemand ist, vor dem man sich fürchten muss.
       
       31 Jan 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Juliane Hanka
       
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