# taz.de -- Zwei Comics, ein Thema: Shitstorm im Weltall
       
       > Unendliche Weiten: ein Blick auf die Comics „Weltraumkrümel“ von Craig
       > Thompson und Ferdinand Lutz’ „Q-R-T Der neue Nachbar“.
       
 (IMG) Bild: Beide Comics verzichten auf übliche Science-Fiction-Klischees.
       
       Ein heller Schweif nähert sich der Erde. Dann landet eine kleine Raumkapsel
       unsanft auf einer Wiese. Das Alien, das ihr entsteigt, wirkt wenig
       angsteinflößend. Es ist ein kleiner blonder Junge, nur ein dickes,
       antennenhaft abstehendes Haar könnte ein Indiz für die Herkunft aus einer
       fernen Galaxie sein. Der kleine Q-R-T stammt vom Planeten RZZZ, dessen
       Bewohner ein Leben lang Kinder bleiben. Sein Freund und stummer Begleiter
       ist Flummi, ein Gestaltwandler, der sich meist als Hündchen ausgibt und
       Q-R-T mithilfe seiner Verwandlungskunst aus mancher Patsche helfen kann.
       
       Der 1987 geborene deutsche Comiczeichner Ferdinand Lutz hat seine Serie
       „Q-R-T“ für die Jugendzeitschrift Dein Spiegel konzipiert. Erstaunlich
       stilsicher und leichtfüßig gelingt ihm eine warmherzige Hommage an das
       Science-Fiction-Genre. Der kleine Außerirdische, der gerne inkognito
       bleiben möchte, landet ausgerechnet in einem Mietshaus, wo neugierige
       Nachbarn lauern. Lutz legt Wert auf pointierte Charakterisierungen seiner
       schrulligen Figuren, die zusammen eine illustre Hausgemeinschaft ergeben.
       In einfachen, ausdrucksstarken Zeichnungen erzählt er angenehm unaufgeregt
       von den alltäglichen und von Situationskomik geprägten Erlebnissen Q-R-Ts
       auf der Erde.
       
       Demgegenüber ist die – ebenfalls im Kindercomic-Programm des Berliner
       Reprodukt Verlags erscheinende – Graphic Novel „Weltraumkrümel“ ein wildes
       Abenteuer. Allein schon zeichnerisch: jedes größere Bild hat
       Wimmelbildcharakter. Beim ersten Lesen ist es fast unmöglich, jedes Detail
       aufzunehmen, das der Zeichner Craig Thompson in seine Panels gepackt hat.
       
       Der 1975 geborene US-Amerikaner ist durch seine zeichnerisch wie
       erzählerisch komplexen Graphic Novels für Erwachsene, „Blankets“ (2003) und
       „Habibi“ (2011), bekannt geworden. 1999 hatte er aber bereits mit seinem
       Debüt „Mach´s gut, Chunky Rice“ eine fantasievolle Comicgeschichte für
       Kinder vorgelegt. Heldin ist nun bei „Weltraumkrümel“ das an Pippi
       Langstrumpf erinnernde, jedoch lilahaarige Schulmädchen Violett, das in
       einer hierarchisch geordneten Welt lebt. Menschen und Aliens leben auf
       Raumstationen und -schiffen, „gesunde“ Planeten sucht man vergeblich.
       
       ## Das galaktische Gleichgewicht ist aus den Fugen geraten
       
       Die Galaxie ist komplett vermüllt. Ihr Vater Gar ist „Holzfäller“, was
       bedeutet, dass er grüne, im All schwebende Kothaufen aufsammeln muss, die
       den Menschen als Treibstoff und Energieträger dienen. Als Gar eines Tages
       verschwindet und zudem die ganze Galaxie von riesigen Weltraum-Walen
       bedroht wird – den Erzeugern des Energie-Kots –, begibt sich Violett auf
       die Suche nach ihrem Vater und findet neue Freunde, die sie unterstützen.
       
       Was als skurrile Sozialstudie beginnt – die Familie gehört der sympathisch
       gezeichneten Unterschicht an, wobei Violetts Mutter Cera die Chance erhält,
       als Assistentin eines dekadenten Modedesigners aufzusteigen –, wandelt sich
       allmählich zur Öko-Metapher. Nicht die Wale sind die eigentliche Gefahr.
       Durch die Ausbeutung von Ressourcen und die Überheblichkeit der
       Wissenschaft gerät das galaktische Gleichgewicht aus den Fugen. Der Müll
       und die Kothaufen, die das All und die Comicbilder zuwuchern, ergeben
       plötzlich Sinn. Thompsons Bilder sind oft überladen, durch ständige
       Perspektivwechsel und immer überdrehtere, dynamisch eingesetzte
       Seitenlayouts drohen die Leser fast abgehängt zu werden, jedoch kriegt der
       Zeichner die Kurve und überrascht durch seine witzigen und visuellen
       Einfälle.
       
       Thompson erschafft dabei ein ganzes Kabinett an skurrilen Charakteren: etwa
       der kleine, jähzornige Gernegroß Zacchäus von der Spezies der „Lumpkins“
       oder sein charakterlicher Gegenpol Elliot, ein hochgebildetes, versnobbtes,
       aber auch höchst sensibles Küken.
       
       Passend zu den Figuren werden die Zeichenstile wild gemixt: Violett und
       ihre Eltern sind eher konventionell im Semi-Funny-Stil gezeichnet, Elliot
       als anthropomorphes Tier mit ängstlichen großen Augen, während Zacchäus wie
       eine Cartoonfigur aus frühen US-Trickfilmen aus einer simplen Erdnuss-Form
       heraus konstruiert extrem dynamisch wirkt. Kinder ab etwa 10 Jahren werden
       „Weltraumkrümel“ mindestens zweimal lesen wollen.
       
       Beide Comics verzichten auf übliche Science-Fiction-Klischees und bieten
       (trotz mancher allzu irdischen Einfälle: Q-R-T liebt Computerspiele, Elliot
       kennt die Bibel) jungen Lesern Anregungen für einen neuen Blick auf den
       eigenen Planeten.
       
       18 Dec 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ralph Trommer
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Comic
 (DIR) Weltraum
 (DIR) Science-Fiction
 (DIR) Tschechien
 (DIR) Comic
 (DIR) Berlin Kultur
 (DIR) Marvel Comics
 (DIR) Comic
 (DIR) Graphic Novel
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Kolumne Kulturbeutel: Der Lebenslauf der Lokomotive
       
       Sportlerdasein zu Zeiten der sozialistischen Tschechoslowakei: Eine Graphic
       Novel schaut auf das Leben des legendären Läufers Emil Zátopek.
       
 (DIR) Comic-Zeichner übers Erwachsenwerden: „Ich begebe mich an düstere Plätze“
       
       Acht Jahre alt zu sein, ist nicht immer leicht – Craig Thompson weiß das.
       Nach abgründigen Storys bringt er mit „Weltraumkrümel“ nun einen
       Kinder-Comic raus.
       
 (DIR) Die Berliner Comicbibliothek Renate: Mehr Comics, als man essen kann
       
       Die Renate ist in Deutschland einzigartig. Hier kommen Sammlertrieb,
       Bildungsauftrag, DIY-Begeisterung und der alte Berlin-Mitte-Geist zusammen.
       
 (DIR) Superheldinnen im Comic: Die Welt braucht sie
       
       Comic-Trash und radikaler Relaunch: „Elektra“ als Ninja-Auftragskillerin
       und eine neue muslimische „Ms. Marvel“ – es besteht Anlass zum Jubeln.
       
 (DIR) Graphic-Novel mit St.Pauli-Kolorit: Zeitsprung mit Zeichenstift
       
       „Rohrkrepierer“ heißt die neue Graphic Novel von Isabel Kreitz. Sie erzählt
       von der Nachkriegszeit im Hafenstadtteil St. Pauli
       
 (DIR) Comics der Weltklasse: Das Spiel des Überlebens
       
       Zeina Abirached besucht in Bremen eine kleine Schau ihrer Graphic Novels in
       Schwarz-Weiß. In deren Zentrum lauern, unsichtbar, der Krieg und das
       Grauen.