# taz.de -- Comic-Zeichner übers Erwachsenwerden: „Ich begebe mich an düstere Plätze“
       
       > Acht Jahre alt zu sein, ist nicht immer leicht – Craig Thompson weiß das.
       > Nach abgründigen Storys bringt er mit „Weltraumkrümel“ nun einen
       > Kinder-Comic raus.
       
 (IMG) Bild: Fast alle Figuren sind entzückend und ätzend zugleich: das Kinder-Comic „Weltraumkrümel“
       
       taz: Herr Thompson, bisher richtete sich Ihr Werk an ein erwachsenes
       Publikum. Wie kommt es, dass Sie nun mit „Weltraumkrümel“ ein erstes
       Comicbuch für Kinder geschrieben haben? 
       
       Craig Thompson: Ich bin gerade vierzig Jahre alt geworden und wurde von
       einer Art Midlife-Krise erfasst. Ich begann alles zu hinterfragen, auch
       warum ich überhaupt Comics mache. Und da erinnerte ich mich, dass ich mich
       bereits als etwa Achtjähriger in das Medium verliebt hatte. So kam das
       Bedürfnis, dieser Altersstufe etwas zurückzugeben, nachdem ich – wie viele
       Cartoonisten meiner Generation – zwanzig Jahre lang versucht habe zu
       beweisen, dass Comics eben nicht nur für Kinder sind.
       
       In Stil und Genre sind all Ihre Werke sehr unterschiedlich. Bestimmte
       Themen tauchen aber immer wieder auf, wie die Flucht vor einer Realität,
       die von Buch zu Buch härter wird. Oder? 
       
       Als Kind zeichnete ich hauptsächlich, um der öden Realität zu entfliehen:
       dieser immerwährenden Montagsstimmung, diesem dem Willen der Erwachsenen
       Ausgesetztsein, den Bullies an der Schule. Ich flüchtete mich in selbst
       erschaffene Fantasiewelten. Ich bin nun mal in einer sehr unkommunikativen
       Familie aufgewachsen. Wenn überhaupt geredet wurde, dann nie über Gefühle
       oder Ideen. Mir wurde nicht beigebracht, mich verbal auszudrücken, und so
       blieben Comics lange mein einziges Sprachrohr.
       
       Und heute? 
       
       Mit dem Älterwerden hat sich das verschoben. Nun flüchte ich nicht mehr vor
       der Realität, sondern konfrontiere sie. Zeichnerisch begebe ich mich an
       düstere Plätze, bringe sie ans Licht. Nicht um sie zu beurteilen, sondern
       eher um sie zu untersuchen, begreifen und hoffentlich zum Teil bewältigen
       zu können.
       
       In Ihrer Autobiografie „Blankets“ aus dem Jahr 2003 erzählen Sie, wie Sie
       in einer christlich-fundamentalistisch geprägten Familie im Wisconsin der
       1990er Jahre aufgewachsen sind. Hatten Sie keine Angst, man würde negativ
       über Sie urteilen? 
       
       Darüber habe ich keinen einzigen Gedanken verloren, als ich an dem Buch
       gearbeitet habe. Ich war dermaßen in meiner eigenen Welt versunken.
       Eigentlich dachte ich, niemand würde es je lesen.
       
       Und prompt landete es auf der „Best-Comic-Liste“ des Time Magazine und
       wurde in 14 Sprachen übersetzt. 
       
       Das war alles Neuland für mich. Joe Sacco, den ich damals kennenlernte,
       riet mir, einen Agenten zu suchen, der mir dann zum Glück tatsächlich half,
       den ganzen Business- und Medien-Wirbel vom kreativen Prozess zu trennen.
       Dass „Blankets“ unvorhergesehen offenbar universelle Themen anschlug und so
       erfolgreich wurde, ermöglichte mir immerhin, um die Welt zu reisen. 2012
       folgte dann, nach dem Erscheinen von „Habibi“, eine Einladung nach
       Jordanien. Dort traf ich auf syrische Flüchtlinge, die eine Woche zuvor aus
       ihrer Heimat fliehen mussten und nun vor mir mit einem Exemplar von
       „Habibi“ unterm Arm standen. Das hat mich völlig umgehauen.
       
       Was hat ihnen an Ihrer Geschichte über das gemeinsame Erbe von Christentum
       und Islam gefallen? 
       
       Sie fanden meine Herangehensweise ehrfürchtig dem Islam gegenüber und haben
       „Habibi“ als eine Hommage auf die Schönheit der islamisch-ornamentalen
       Kunst begriffen. Sie haben sich auch sehr gefreut, dass ich ein paar
       Geschichten aus Tausendundeiner Nacht, mit denen sie aufgewachsen waren,
       umgesetzt habe. Negative Kritik kam lustigerweise hauptsächlich von weißen
       US-Akademikern, die das Buch als zu orientalistisch oder als Hohn auf die
       islamische Kultur anprangerten.
       
       Wurde „Habibi“ eigentlich ins Arabische übersetzt? 
       
       Nein. Auch die Jordanier, die ich kennenlernte, hatten englische Exemplare,
       vermutlich vom Schwarzmarkt. Der Band ist dort verboten, wie ich erfuhr.
       
       Wirklich? 
       
       Ja, das hat mich auch überrascht. Ich hielt Jordanien für relativ offen
       oder neutral – schon allein, weil es so viele Flüchtlinge aufnimmt. Doch zu
       der Zeit zensierte die Regierung mehr denn je. Bei einem Interview im Radio
       sah ich eine Wand voller Platten, die drei Jahre zuvor noch gespielt werden
       durften und nun allesamt verboten sind.
       
       Dann waren Sie dort vermutlich nicht auf Lesetour? 
       
       Die US-Botschaft hatte mich geholt, um drei Workshops zu leiten. Einer war
       mit syrischen Flüchtlingen, ein anderer mit den üblichen Verdächtigen:
       jordanische Hipster um die zwanzig, alle fließend englischsprachig. Zu
       Besuch kamen mehr Frauen als Männer, was mich sehr freute – genauso wie
       festzustellen, welch ein starkes Medium Comics auch dort sind.
       
       Und der dritte Workshop? 
       
       Der war mit tauben Kindern in einem Heim. Dabei half es nicht, dass ich
       meinen Namen auf Arabisch buchstabieren konnte, denn die Gebärdensprache
       benutzt ein anderes Alphabet. Aber über das Zeichnen konnten wir
       kommunizieren. So erfuhr ich, wie sehr sie ihre Familien vermissen. Das hat
       mich sehr bewegt. Und es schien mir, als hätte jede einzelne Seite von
       „Habibi“ zu diesem besonderen Moment an diesem besonderen Ort geführt.
       
       Gerade sieht es mit Völkerverständigung und Kulturaustausch in der Welt
       eher schlecht aus. 
       
       Ja. Aber auch innerhalb der USA ist die Gesellschaft mehr denn je
       gespalten. Das Thema greife ich in „Weltraumkrümel“ auf. Der Vater der
       Hauptfigur ist ein gegenüber der privilegierten Elite mit Ressentiments
       geladener Rohling. Er heißt Garnet, das bedeutet Granat, und repräsentiert
       die roten Staaten. Cerulean, der Name der Mutter, ist ein blaues Pigment.
       Als eine Art urbane, kultivierte Demokratin steht sie für die blauen
       Staaten. Bei ihrer Tochter Violet stellt sich dann die Frage, ob es eine
       Brücke zwischen beiden Welten, einen Ort der Kommunikation und der Heilung
       geben kann.
       
       In „Weltraumkrümel“ spielt auch die Umwelt eine große Rolle: Ein vom vielen
       Müll verursachter Schleim droht das Weltall zu verschlucken. Schon in
       „Habibi“ ist das Land verseucht, Wasser knapp, und in „Blankets“
       proklamiert Ihr Vater, die globale Erwärmung sei reine liberale Propaganda.
       Woher kommt Ihre Sensibilität für das Thema? 
       
       Ausgerechnet von genau der Person, die bis heute nicht an die
       Klimaveränderung glaubt: meinem Vater. Abfallwirtschaft ist eigentlich sein
       großes Thema, und als Klempner achtete er immer streng darauf, dass wir nur
       keinen Tropfen Wasser verschwendeten. Duschen durften wir nur maximal zwei
       Minuten. Das wurde mir eingehämmert, noch lange bevor ich von der
       eigentlichen Weltwasserkrise hörte.
       
       In „Weltraumkrümel“ werden widersprüchlichste Ansichten – ob über die
       Entstehung der Welt oder die Gesellschaftsordnung – gegeneinander in
       Position gebracht. Fast alle Figuren sind dabei entzückend und ätzend
       zugleich. Doch wieso kommt der Spruch: „Kunst rettet Leben“ ausgerechnet
       aus dem Mund des schnöseligen und profitorientierten Bosses von Violets
       Mutter? 
       
       Manchmal überkommen mich eben Schuldgefühle, weil ich mein Leben als
       Künstler bestreite. Das hängt natürlich mit meiner sozialen Herkunft
       zusammen. Sie müssen sich vorstellen, obgleich sie sehr arme Arbeiter
       waren, spendeten meine Eltern einmal das bisschen Geld, das sie hatten, der
       American Family Association ...
       
       Einer ultrakonservativen, homophoben Organisation, die als „hate group“
       eingestuft wird. 
       
       Genau. Sie ist auch gegen die staatliche Förderung junger Künstler. In
       diesem Umfeld bin ich aufgewachsen. Und heute noch, selbst als Erwachsener,
       überkommen mich Zweifel, wenn es um die Finanzierung von Kunst durch
       Steuergelder geht oder ob Kunst den gleichen sozialen Stellenwert wie etwa
       Müllabfuhr oder Straßenbau hat. Andererseits bin ich mir sicher, dass unser
       Geld nicht das Militär finanzieren sollte.
       
       4 Apr 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Elise Graton
       
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