# taz.de -- Opern-Skandal in Hannover: Deutschtümelnde Klischees
       
       > Gegen Kay Voges’ Umgang mit dem „Freischütz“ laufen CDU-Lokalpolitiker
       > Sturm. Gegenwartsbezug bewahrt die Inszenierung vor Beliebigkeit.
       
 (IMG) Bild: Wider die Nationaloper: Von Kay Voges durfte man eine Abrechnung mit Pegida, brennenden Flüchtlingsheimen und NSU erwarten.
       
       HANNOVER taz | Heißa, was für ein Opernskandal in Hannover. Die Dirigentin
       hält während der Premiere ein Schild hoch mit der Aufschrift: „Ich
       distanziere mich von dieser Szene.“ Zuschauer rufen „aufhören“, empören
       sich schließlich mit Buhrufen, bösen Einträgen ins Theatergästebuch und
       Pöbeleien im Internet. CDU-Lokalpolitiker laufen gleich mal kulturpolitisch
       Amok. In einer Pressmitteilung heißt es, „ein unsäglicher Kulturverlust zu
       Gunsten vermeintlich wichtiger Dekonstruktion“ müsse doch den
       Kulturdezernenten zum Eingreifen veranlassen. Zensur? Herrlich, diese
       Aufregung.
       
       Wunderbar fürs Theater, denn nichts bringt bundesweit so schnell, so
       kostengünstig so viel Aufmerksamkeit wie ein vermeintlicher Skandal. Da
       freut sich die Staatsoper Hannover, denn die letzten skandalisierten
       Aufführungen waren die von Calixto Bieito und liegen schon über zehn Jahre
       zurück. Da kommt Dortmunds Schauspielchef Kay Voges gerade recht zur
       Bescherungszeit. Der Kritikerliebling grätscht mit seinem „Freischütz“
       (nach Carl Maria von Weber) in einen öden Dezemberspielplan und bietet den
       einzigen Gegenpol zu einer seit 50 Jahren vor sich hinstaubenden „Hänsel
       und Gretel“-Inszenierung.
       
       Die Trostlosigkeit dieses aktuellen Hannoveraner Opernangebots könnte
       böswillig als „symptomatisch für den Verfall eines ganzen Hauses“
       bezeichnet werden, aber die CDU bezieht die Formulierung einzig auf den
       „Freischütz“. Und verkennt dabei, dass Theater zeitgenössische
       Inszenierungskunst ist. Wer sich nur für längst niedergeschriebene Worte
       und Noten interessiert, kann diese daheim lesen und hören. Live darüber den
       Diskurs anregen, das soll das Bühnengeschehen.
       
       Und wenn als Animator Kay Voges fungiert, weiß jeder Besucher nach ein paar
       Rechercheklicks im Internet, dass der Regisseur seinen eigenen Zugriff
       deutlich und dabei Theater, Live-Video und Film in einer
       Multimediaperformance vereinen wird. Wider die Nationaloper. Das kurz nach
       Ende des Dreißigjährigen Krieges angesiedelte, 1821 uraufgeführte Werk sei,
       so Dramaturg Klaus Angermann, „mit den entsprechenden Attributen des
       deutschen Waldes, biedermeierlicher Idylle und schwarzer Schauerromantik zu
       einem Denkmal deutscher Identität und deutscher Kultur geworden“.
       
       Deswegen wolle Voges derartiges Nationalpathos hinterfragen, das „heute bei
       denjenigen zunehmend Anklang findet, die auf ihren Veranstaltungen mit
       verklärtem Blick auf ein Tausendjähriges Reich auch schon mal die erste
       Strophe des Deutschlandliedes anstimmen und den Begriff im Sinne einer
       Abgrenzung von allem Fremden und dem Ideal einer geschlossenen Gesellschaft
       okkupieren.“
       
       ## In Opernhäusern seit Jahrzehnten Konsens
       
       Dass Voges also eine Abrechnung mit deutschtümelnden Klischees versucht,
       mit Pegida, brennenden Flüchtlingsheimen, NSU, Fußball-Hooligans etc.,
       scheint der Wirklichkeit geschuldet – und ist auf deutschen Opernbühnen
       seit Jahrzehnten Konsens. Gerade durch solche Zugriffe (ob gelungen oder
       nicht) beweist das Theater, dass es Vorlagen nicht „ins Niveaulose und
       Beliebige“ zieht, was die CDU nun gerade von Voges behauptet.
       
       In Bremen hatte 2013 übrigens Sebastian Baumgarten mit dem „Freischütz“
       gezeigt, wie das Gedankengut des Stückpersonals für Kolonialismus und
       Faschismus nutzbar gemacht werden konnte. Kein Skandal. 2009 ging es in
       Osnabrücks „Freischütz“ um Kriegserfahrungen. Die NOZ erinnert sich an die
       Arbeit von Lorenzo Fioroni, die den Jäger Max zum „traumatisierten
       Afghanistan-Heimkehrer“ gemacht und die Wolfsschluchtszene als
       Ego-Shooter-Spiel in seinem Kopf angesiedelt habe.
       
       Den Empörten in Hannover sei zugerufen: Wer den „Freischütz“ einmal in
       einer CDU-Version sehen möchte, die zur Vorlage also nichts zu sagen hat
       und sich in Zeiten zurückträumt, die es nie gab, der sollte die
       Spielzeitplanungen des Staatstheaters Oldenburg im Blick behalten. Dort
       werden solche Repertoirehits gern mal frei von Zusatzstoffen als
       Publikumshits auf die Bühne gebracht.
       
       In Hannover geben derweil viele Opernfans ihre „Freischütz“-Karten zurück,
       bestätigt die Staatsoper. In gleichem Maße ziehe aber auch der Vorverkauf
       an.
       
       19 Dec 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jens Fischer
       
       ## TAGS
       
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