# taz.de -- Politische Kultur in der Ukraine: Beleidigungen und fliegende Gläser
       
       > Bei einer Sitzung kommt es zu einem handfesten Streit zwischen dem
       > Gouverneur von Odessa Michail Saakaschwili und Innenminister Arsen
       > Awakow.
       
 (IMG) Bild: Ein aufgebrachter Abgeordneter versucht Regierungschef Arsenij Jazenjuk aus dem Parlament zu befördern.
       
       Kiew taz | Fast einen ganzen Tag hatte der ukrainische Präsident
       geschwiegen, bevor er sich am Mittwoch in dem Streit zwischen den beiden
       Männern, die nach ihm die mächtigsten Politiker der Ukraine sind,
       positionierte. „Kränkungen und Beleidigungen mit einem xenophoben
       Hintergrund sind im Nationalen Reformrat nicht hinnehmbar. Insbesondere,
       wenn sie die nationale Würde eines Menschen angreifen, seinen Patriotismus
       infrage stellen und ihn gar auffordern, ‚aus dem Land zu verschwinden‘ “
       heißt es in der Erklärung von Petro Poroschenko.
       
       Am Montag war es im Nationalen Reformrat zu einem Eklat zwischen
       Innenminister Arsen Awakow und Odessas Gouverneur Michail Saakaschwili
       gekommen. Nachdem Saakaschwili die Korruption staatlicher Unternehmen
       angeprangert und Premierminister Arsenij Jazenjuk als einen der Drahtzieher
       namentlich genannt hatte, war Arsen Awakow, einem Weggefährten des
       Premiers, der Kragen geplatzt. Wutentbrannt warf er ein Glas Wasser nach
       dem Gouverneur.
       
       In dem folgenden Wortgefecht beschimpften Jazenjuk und Awakow Saakaschwili
       als „Gastspielreisenden“ und forderten den Georgier, der die ukrainische
       Staatsbürgerschaft besitzt, auf, aus dem Lande zu verschwinden. Er sei
       genauso wie Jazenjuk Ukrainer, wehrte sich Saakaschwili. „Doch im Gegensatz
       zu Jazenjuk habe ich nicht das Land ausgeplündert“ zitiert der Abgeordnete
       Sergej Leschenko den Gouverneur von Odessa. Der Präsident schloss darauf
       die Sitzung.
       
       Auf seiner Facebook-Seite rechtfertigte Awakow sein Verhalten. Saakaschwili
       habe ihn beleidigt. Dies habe in ihm den Impuls ausgelöst, diesen zu
       schlagen. Doch er habe ihn nur mit Wasser bespritzt.
       
       ## Koruptionsvorwürfe
       
       Gleichzeitig beschuldigt Innenminister Awakow den Gouverneur von Odessa
       ebenfalls der Korruption. Zur Erhärtung des Vorwurfs veröffentlichte das
       Innenministerium ein Video, das Saakaschwili angeblich in einem Gespräch
       mit dem russischen Oligarchen Dmitri Masepin, dem Besitzer des Konzerns
       „Uralchim“, zeigt.
       
       Saakaschwilis Reaktion folgte prompt. Das Video sei eine „Fälschung“, so
       der Gouverneur. „Ja, ich habe in letzter Zeit zugenommen“, redete er sich
       auf einer Pressekonferenz am Dienstagabend in Rage. „Aber sehen Sie sich
       mal den Bauch von diesem Mann auf dem Video an und vergleichen Sie ihn mit
       meinem.“ Sein Hals sei klar erkennbar, die Figur auf dem Video aber sei
       halslos. Es sei eine Schande, so Saakaschwili, dass das Innenministerium
       mit gefälschten Beweismitteln arbeite.
       
       Am Mittwochmittag veröffentlichte Awakow auf Facebook ein Video der Sitzung
       des Reformrates. Dieses war kurz darauf auf dem Nachrichtenportal Ukrainska
       Pravda zu besichtigen.
       
       Für den ukrainischen Politologen Viktor Neboschenko geht es in dem Konflikt
       um mehr als um Korruptionsvorwürfe. Saakaschwili habe Innenminister Awakow
       auch die Finanzierung von Privatarmeen vorgeworfen. Und dies sei
       schwerwiegender als jeder Korruptionsvorwurf. In der Dritten Welt sei ein
       derartiger Vorwurf an einen Innenminister gleichbedeutend mit dem Vorwurf
       eines geplanten Umsturzes. Hinter den Auseinandersetzungen um das
       Wasserglas steckten mehr als nur persönliche Kränkungen und verletzte
       Eitelkeiten.
       
       ## Jährlich fünf Milliarden Dollar Verlust
       
       Glaubt man Saakaschwili, gehen dem Land jährlich 5 Milliarden Dollar durch
       die von der Regierung begünstigte Korruption verloren. Kritiker vermuten,
       dass der populäre Gouverneur von Odessa, dem es in seiner Amtszeit als
       Präsident von Georgien gelang, die Korruption einzudämmen, mit dem
       Korruptionsthema Premier Jazenjuk aus dem Amt vertreiben will.
       
       Der Premierminister ist angezählt. In Meinungsumfragen bewegt sich seine
       Beliebtheit zwischen 1 und 2 Prozent. Poroschenko bezieht in seiner
       jüngsten Stellungnahme Position für den Gouverneur von Odessa. Doch einen
       Vorwurf richtet auch er an Saakaschwili. „Der Kampf gegen Korruption ist
       nicht Teil eines Showgeschäfts“, so Poroschenko. Überzeugender als schöne
       Worte sei eine Zusammenarbeit mit dem Nationalen Antikorruptionsbüro. Doch
       Saakaschwili scheint daran wenig interessiert zu sein.
       
       In einer Pressekonferenz kündigte „Mischa“ am Dienstagabend für den 25.
       Dezember ein landesweites „Antikorruptionsforum“ in Kiew an. Es klingt wie
       ein Aufruf zu einer landesweiten Kundgebung. Saakaschwili scheint das Thema
       entdeckt zu haben, das ihm schon bald das Amt des Premierministers
       bescheren könnte.
       
       16 Dec 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bernhard Clasen
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Arseni Jazenjuk
 (DIR) Petro Poroschenko
 (DIR) Michail Saakaschwili
 (DIR) Ukraine
 (DIR) Ukraine
 (DIR) Ukraine
 (DIR) Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
 (DIR) Russland
 (DIR) Ukraine
 (DIR) Ukraine
 (DIR) Arseni Jazenjuk
 (DIR) Kommunalwahlen
 (DIR)  taz на русском языке
 (DIR) Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Jahrestag in der Ukraine: Totengedenken auf zweierlei Art
       
       In Odessa wird mit zwei Zeremonien an die Opfer vom 2. Mai 2014 erinnert.
       Sie starben bei Straßenschlachten oder im Gewerkschaftshaus.
       
 (DIR) Regierung in der Ukraine: Jazenjuk verliert Mehrheit
       
       Weil eine weitere Partei die Zusammenarbeit aufkündigt, bekommt der
       ukrainische Regierungschef Probleme. Neuwahlen sind möglich.
       
 (DIR) Regierungskrise in der Ukraine: Für Jazenjuk wird es eng
       
       Der Generalstaatsanwalt schmeißt hin. Und Tausende fordern in Kiew den
       Rücktritt von Premierminister Arsenij Jazenjuk und seinem Kabinett.
       
 (DIR) Russische Oppositionelle in der Ukraine: Statt Asyl droht die Auslieferung
       
       Kritiker des russischen Präsidenten Wladimir Putin, die ins Nachbarland
       fliehen, bleiben oft ohne Schutz. Denn Russland sei ein Rechtsstaat.
       
 (DIR) Ukrainisch-russische Beziehungen: Putins Mann auf Kurzbesuch in Kiew
       
       Boris Gryslow, Berater des russischen Präsidenten, bereitet Gespräche zur
       Lösung der Krise im Donbass vor – angeblich.
       
 (DIR) Kommentar Ukrainische Innenpolitik: Verhöhnung der Opfer
       
       Die Ausfälle im ukrainischen Parlament häufen sich. Dieser erschreckende
       Mangel an politischer Kultur ist ein Signal nach innen und außen.
       
 (DIR) Politische Kultur in der Ukraine: Eklat im Parlament
       
       Ein erboster Abgeordneter versucht Regierungschef Arsenij Jazenjuk aus dem
       Plenarsaal zu entfernen. Denn der müsse jetzt zurücktreten.
       
 (DIR) Kommunalwahlen in der Ukraine: Kostenlose Gräber als Wahlgeschenk
       
       Zwei Oligarchen-Kandidaten kämpfen am Sonntag um das Bürgermeisteramt in
       Dnipropetrowsk. Auch ein unabhängiger Kandidat mischt mit.
       
 (DIR) Kommentar Ukraine-Krise: Zynische Geiselname
       
       Pro-russische Kämpfer fordern Hilfswerke auf, das Gebiet Lugansk zu
       verlassen. Das bedeutet auch einen Rückschlag für die Friedensbemühungen.
       
 (DIR) Kommentar Ukrainische Sanktionen: Kiew liegt daneben
       
       Kaum hagelt es Kritik aus dem Westen, macht Staatschef Petro Poroschenko
       bei seiner Sanktionsliste einen Rückzieher. Gut so.