# taz.de -- Buch über Helmut Schmidt: Der Verführte und die 68er
       
       > Der Altkanzler war ein Gestalter der Bundesrepublik. In seiner
       > Verstocktheit war er aber auch ein typischer Repräsentant der
       > Kriegsgeneration.
       
 (IMG) Bild: Juli 1943: Helmut Schmidt mit Ehefrau Loki.
       
       Zeitlebens prägte und beschämte die Verstrickung in die Verbrechen des
       Nationalsozialismus den Menschen und Politiker Helmut Schmidt. Daraus
       machte Schmidt, geboren 1918, kein Hehl, wie auch die nächste Woche nun
       vorgezogen erscheinende Schmidt-Biografie Gunter Hofmanns betont. Hofmanns
       Buch „Helmut Schmidt – Soldat, Kanzler, Ikone“ erzählt von der
       Aufrichtigkeit, mit der Schmidt sich 1945 der SPD zuwandte und eine
       antifaschistische Position bezog.
       
       Wie viele andere Schmidt-Biografen würdigt Hofmann die Verdienste eines
       tüchtigen Mannes, der aus der Mitte der Gesellschaft stammte und mit denen
       sich viele der Kriegsgeneration identifizieren konnten.
       
       Schmidt kam aus einfachen Verhältnissen. Sein Vater war überaus streng,
       züchtigte den Sohn. Doch glaubte er auch an den Aufstieg durch Bildung und
       schickte seinen Sohn in Hamburg auf die eher antiautoritär orientierte
       Lichtwark-Reformschule. Im Zuge der Gleichschaltung nach 1933 wurden auch
       hier die antifaschistischen Lehrkräfte und jüdischen Schüler entfernt.
       Schmidt hingegen machte sein Abitur 1937 und wurde im selben Jahr zur
       Wehrmacht eingezogen.
       
       Laut Hofmann und anderen Biografen ahnte Schmidt nichts vom heraufziehenden
       Krieg. Doch er sollte fortan acht Jahre Soldat und Offizier bleiben. 1941
       diente er an der Ostfront, hatte aber Glück, da er als Ausbilder bald nach
       Berlin zurückbeordert wurde. Rückblickend bezeichnete er sich als loyalen,
       pflichtbewussten Patrioten, der die Nazis nicht mochte, aber doch Hitler –
       zumindest am Anfang des Krieges – auch bewunderte. Er schrieb dies später
       seinem jugendlichen Alter, dem autoritären („unpolitischen“) Elternhaus
       sowie den Verführungskünsten der NS-Propagandisten zu.
       
       ## Holocaust? Nichts mitbekommen
       
       Die Widersprüchlichkeit einer Person, die neben Willy Brandt und Herbert
       Wehner maßgeblich an der Modernisierung der SPD, der Etablierung einer
       Demokratie in der Bundesrepublik, an Westbindung und Ostaussöhnung
       beteiligt war, macht Hofmanns Biografie eindrücklich deutlich. Eines
       Menschen, der vor 1945 in Kontakt mit dem Widerstand kam und sich nicht für
       ihn entscheiden mochte, auch wenn er sich zu einer jungen Frau wie Cato
       Bontjes van Beek hingezogen fühlte, die als Antifaschistin 1943 in
       Berlin-Plötzensee hingerichtet wurde. Aber auch eines Menschen, der in Ton
       und Ausstrahlung paradigmatisch die schneidig-verstockte
       Väter-Kriegsgeneration repräsentierte, gegen die die 68er so heftig
       rebellierten, ja unausweichlich rebellieren mussten.
       
       Zu Hause, in den deutschen Stuben, sprach man im Allgemeinen zumeist wenig
       über den „Scheißkrieg“ (Schmidt). Und im Besonderen noch weniger über den
       Holocaust und den Vernichtungskrieg, den die deutschen Männer, die deutsche
       Wehrmacht zusammen mit den Verbänden der SS in ganz Osteuropa führten. Und
       wovon Helmut Schmidt als Soldat ebenso wie seine Kameraden, wie er stets
       behauptete, nichts mitbekamen.
       
       Erst gegen Ende von Schmidts aktiver politischer Laufbahn sickerte ab 1984
       langsam durch, dass sein Vater, das uneheliche Kind, großväterlicherseits
       selbst jüdischer Abstammung war. Dass die Schmidts dies nach 1933 geheim
       hielten und verbargen, ist nur zu verständlich. Dass er sich aber in der
       Bundesrepublik so lange über diese Geschichte ausschwieg und auch darauf
       beharrte, die Gräuel des Holocausts erst nachträglich erfahren zu haben,
       hielt ihm sogar seine Tochter später vor. Der Geschichte mit dem jüdischen
       Vorfahren verlieh Schmidt mit steigendem Alter größere Autorität. Doch
       warum hatte sich der „eiserne Kanzler“ nicht schon früher dazu bekannt?
       
       Fürchtete er wie Herbert Frahm, der seinen Decknamen Willy Brandt aus der
       Zeit des Widerstands in der Bundesrepublik als bürgerlichen Namen behielt,
       als Vaterlandsverräter verleumdet zu werden? Oder ebenfalls untauglich für
       die Mitte der Wählerschichten zu werden wie Herbert Wehner, der Exilant,
       Untergrundkämpfer und geläuterte Kommunist? Man weiß es nicht. Der
       Staatsmann Schmidt schwieg sich über solche „privaten“ Dinge – wie seine
       traumatisierte Generation in der Regel – eher aus.
       
       Hofmanns Biografie zeigt, wie mutig Schmidt Brandt gegen die fortwährenden
       Denunziationen in Schutz nahm und verteidigte. Aber auch wie befangen
       Schmidt blieb, sofern es um seine eigene Geschichte ging. Und das, obwohl
       er sich aufrichtig nach 1945 vor den Verbrechen Nazideutschlands ekelte und
       davon politisch glaubwürdig häufig distanzierte.
       
       Er blieb wohl für immer beschämt, befangen, verstrickt. Und reagierte wohl
       auch deshalb so unerbittlich auf die Neue Linke der Bundesrepublik, der
       Dank Reeducation und Auschwitzprozessen in den 1960er Jahren die Augen ob
       der Monstrosität der im Namen Deutschlands begangenen Verbrechen geöffnet
       wurden. Und die zumindest teilweise in den kompletten Ausstand gegen die im
       Wirtschaftswunder schwelgende, aber über den Faschismus schweigende
       Elterngeneration trat.
       
       Wer Schmidt heute in den Nachrufen für seine Standfestigkeit gegenüber dem
       Terror der RAF 1977 feiert, sollte nicht vergessen, dass auch die damalige
       Sozialdemokratie polarisierend wirkte und Verantwortung an seiner
       Entstehung trägt. „Nehmen wir die Demonstranten wie eine Leberwurst, nicht
       wahr, dann müssen wir in die Mitte hineinstechen, damit sie an den Enden
       auseinanderplatzt“ – solchermaßen erklärte Berlins Polizeipräsident Erich
       Duensing seine Polizeitaktik für den 2. Juni 1967.
       
       Ganze 400 protestierende Studenten galt es beim Besuch des Schahs von
       Persien in Schach zu halten. Duensing schickte seine „Füchse“, zivile
       Polzeigreifer und -schläger, viele von ihnen NS-sozialisiert. Der Polizist
       Karl-Heinz Kurras erschoss an diesem Tag den Pazifisten Benno Ohnesorg,
       aller Wahrscheinlichkeit nach vorsätzlich. Kurras wurde dafür nie
       verurteilt, später sogar noch zum Polizeiobermeister befördert.
       
       1968 erreichte die Hetze des Boulevards eine solche Schärfe, dass sich ein
       Neonazi ermächtigt fühlen konnte, Rudi Dutschke, dem Anführer des Berliner
       SDS, in den Kopf zu schießen. Die Gewalt steckte in der Mitte dieser noch
       stark von Nazismus und Krieg geprägten Gesellschaft, in der sich auch ein
       soldatisch wirkender Demokrat wie Helmut Schmidt befand. Cool war das
       damals nicht. Auch wenn sich der Rauch der Geschichte im Laufe der Jahre
       hinter dem Nebel seiner Mentholzigaretten zu verziehen begann.
       
       Schmidt grollte jedoch bis zuletzt jenen, die ihn aus der Neuen Linken und
       den Grünen kritisierten. Hatte er nicht alles für den Wiederaufbau und ein
       antifaschistisches Deutschland getan?
       
       13 Nov 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Fanizadeh
       
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