# taz.de -- Hamburger Schwanenmeldungen: Zu hoch der Hals
       
       > In dieser Woche waren sie überall. Schwäne flogen gegen Brückengeländer
       > und auf Gleise. Sie rasteten in Nationalparks – eine Verschwörung?
       
 (IMG) Bild: Horrormeldung: Schwan fliegt gegen Brückengeländer.
       
       Neu schwanstein taz | Nach den pausenlosen Horrornachrichten über
       Flüchtlinge, Pegida und Putin kam plötzlich eine Meldung von dpa rein:
       „Alsterschwan fliegt gegen Brückengeländer – Notoperation. Bericht folgt um
       16 Uhr“. Dazu die Telefonnummern der Polizei und des Hamburger
       „Schwanenvaters“ Olaf Nieß, der den Pechvogel quasi gerettet hatte, denn
       kurz darauf konnte „Citynews TV“ schon berichten: „Schwerverletzter
       Alsterschwan gerettet“. Die nächste reinkommende Nachricht lautete:
       „Zugstrecke bei Lohr am Main wegen verletztem Schwan auf Gleisen gesperrt“.
       Interessant!
       
       Aber als dann noch eine weitere Meldung von dpa kam: „Schwan im Sturzflug
       stoppt Streifenwagen“ Und noch eine Meldung – diesmal aus der Oberpfalz:
       „Schwan blockiert Autobahn und legt Verkehr lahm“ (ein als
       „Schwanenflüsterer“ bekannter Polizist musste ran), da fragte die Chefin
       vom Dienst in die Redaktionsrunde: „Was ist bloß mit den Schwänen los?“
       
       Ein Kollege gab ihr daraufhin eine positive Meldung, die auch eben
       reingekommen war: „1500 Singschwäne rasten derzeit im Nationalpark“. Ein
       anderer Kollege vermutete, dass sie einfach bei dpa dem Redakteur für
       Schwanengesänge einen Tag lang freie Bahn gelassen hätten. Das mochte
       stimmen, denn es dauerte nicht lange – und dpa tickerte: „Biologe: Früher
       Zug der Zwergschwäne deutet auf harten Winter hin.“
       
       Aber halt mal: Stimmte das überhaupt? Die Meldung basierte auf eine
       „Beobachtung in St. Peter-Ording“: Dort waren gerade zwei Zwergschwäne
       zwischengelandet – „zehn Tage früher als im Vorjahr“. Warum sollten die
       zwei nicht einfach schon mal vorausgeflogen sein? Zwei sibirische
       Zwergschwäne machen doch noch keinen Winter. Und stammte die Beobachtung
       von einem der fast zweihundert „Bird-Watcher“ auf der Eider-Halbinsel? Oder
       von dem „Biologen“?
       
       Die Sache wuchs der Redaktion über den Kopf, und die Chefin vom Dienst
       sammelte alle bis dahin eingegangenen Schwan-Meldungen ein und schickte sie
       dem Schwanforscher in der Berliner taz-Zentrale: Mochte der sich doch einen
       Kopp darüber machen! Und das tat der dann auch (obwohl er sich gerade in
       Basel befand) – und zwar viel zu ausführlich, denn er hatte gerade in
       seiner Reihe „Kleiner Brehm“ ein ganzes, wenn auch dünnes Buch über Schwäne
       veröffentlicht. Aber niemand hatte ihn bisher darauf angesprochen!
       
       In Basel nun vermutete dieser verschmähte Schwanforscher zunächst: Die
       Nachrichtenflut über Schwäne, das ist kein Schwan-, sondern ein
       Medienereignis, wenn nicht gar eine Medienverschwörung. Eine
       Gleichschaltung, die das Volk zur Beruhigung mit „Fakten, Fakten, Fakten“
       über unsere nicht-menschlichen Nachbarn quasi zuscheißen will.
       
       Dafür sprach eine Meldung aus Vorpommern, wonach „Schwaneltern“ zwei
       Graugänschen großzogen. Klang das nicht verdächtig nach Propaganda? Der
       Stern veröffentlichte etwa zur gleichen Zeit eine Reportage über „Den
       Aggro-Schwan von Amsterdam“, vor dem viele Bürger Angst hätten. Die Schwäne
       leben mitten unter uns. Es sind Parkvögel geworden, über die man jedoch nur
       wenig weiß, weil man mit „halbdomestizierten Tieren“ keine steile
       Forscherkarriere machen kann.
       
       Im besonders schwanfreundlichen England ist der Höckerschwan als erste Art
       „wildlebend erloschen“, das heißt, es gibt ihn dort nur noch in
       Menschennähe. Alle englischen Schwäne gehören seit 1145 dem Königshaus, nur
       die Queen darf Schwäne essen. Die freie Stadt Hamburg maßte sich 1164
       dasselbe an, indem sie alle „Alsterschwäne“ offiziell in Schutz, das heißt
       Besitz nahm.
       
       In Basel ließ sich am darauf folgenden Tag die Theorie der
       Medienverschwörung allerdings nicht länger aufrecht erhalten – oder diese
       war umfangreicher als gedacht, denn auch TV Zürich meldete plötzlich: „Auf
       der Hardbrücke lösten zwei verirrte Schwäne einen Polizeieinsatz aus.“ Sie
       waren einfach dort sitzen geblieben und hatten sich die vorbeifahrenden
       Autos angeguckt – wie Filmaufnahmen zeigten.
       
       Und in Olten im Kanton Solothurn löste laut „blick online“ ein schwarzer
       Schwan eine öffentliche Debatte aus: Wohin damit? Man will diesen
       australischen Vogel dort nicht haben, weil er sich mit den weißen
       schweizerischen verpaaren und Mischlinge produzieren könnte. Wo man die
       schwarzen in einigen Schweizer Seen duldet, werden ihre Flügel beschnitten,
       damit sie am Standort und für sich bleiben müssen.
       
       Die Schweiz ist bekannt für ihre Rigorosität, mit der sie „invasive Arten“
       abwehrt. Für deutsche Biologen wie den Münchner Josef Reichholf ist dies
       Ausdruck von „konservativ-anthroponationalistischem Denken“. Gerade beim
       Schwan ist das jedoch gemein, denn bei ihm haben es die Natur- und
       Kulturgeschichte fertig gebracht, dass er ein „Kunstvogel“ wurde, ohne
       gezähmt und gezüchtet worden zu sein.
       
       In Landsberg an der Warthe (heute: Gorzow Wielkopolski) gibt es einen
       Stadtpark, den Gottfried Benn, der dort 1944 drei Monate lang stationiert
       war, als durchaus „herkömmlich“ eingerichtet bezeichnete, „doch ungeheuer
       auffallend, das ‚Schwanenmotiv‘, Schwäne –, das ist stilisiert!
       Widersinnig!, den Schwanenkopf so hoch über den Wasserspiegel zu legen auf
       einen Hals wie glasgeblasen! Keine Kausalität darin, reines
       Ausdrucksarrangement.“
       
       Die Schwäne sind Teil des künstlichen Intérieurs. Sie fügen sich darin ein.
       Der Kulturwissenschaftler Peter Berz sagt es so: „Es gibt Tiere, die gegen
       die Natur arbeiten.“
       
       30 Oct 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Helmut Höge
       
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