# taz.de -- Auf der Flucht: Der Speicher eines Lebens
       
       > Was macht eine syrische Band, wenn ihre Mitglieder fluchtbedingt in
       > verschiedenen Ländern leben? Sie proben online.
       
 (IMG) Bild: Flüchtlinge nach dem Überqueren der Grenze von Griechenland nach Mazedonien
       
       Alexandria taz | Tarek Suweidan ist mit seiner Frau und seinen Kindern aus
       Syrien in die ägyptische Hafenstadt Alexandria geflüchtet. Wie viele andere
       in seiner Lage besitzt er ein teures Smartphone, mit dem er in die Tiefen
       Internets tauchen kann. Selbst wenn ein Flüchtling nichts außer einer
       Plastiktüte bei sich hat, gehört ein teures Handy fast immer zu seiner
       Ausstattung. Es ist der wichtigste Besitz, und das nicht nur, weil es per
       GPS-Daten die Fluchtroute anzeigt.
       
       Suweidan hält sein Smartphone fest umklammert, während er erklärt, was
       dieses Telefon für ihn bedeutet. „Das ist mein Lebensapparat“, sagt er.
       „Diejenigen, die fragen, wie Flüchtlinge so teure Apparate haben können,
       verstehen nicht, dass wir uns das manchmal in Syrien sogar von unserem
       Essen abgespart haben“, erklärt er.
       
       „Das Smartphone ist das Wichtigste. Wenn du von irgendwo schnell fliehen
       musst, dieses Gerät hast du immer in der Tasche. Du kannst nicht alle deine
       Fotoalben und Dokumente mitnehmen. Das ist der einzige Gefährte, den du
       dabei hast.“ Je größer die Speicherkapazität, je moderner, umso besser.
       
       „Das ist wie ein zweites Haus in deiner Tasche“, erläutert Suweian. Er habe
       das Gerät sicherlich nicht, weil er damit angeben wolle. „Wir spielen keine
       Games oder um Playstation damit“. Tareks Credo: „Neben Pass und Geld, ist
       das Handy das wichtigste, was ein Flüchtling mitnimmt“.
       
       ## Über Kontinente verstreute Familien
       
       Mit dem Smartphone kann er kostenlos oder billig übers Internet mit seiner
       Familie Kontakt halten. „Meine Familie ist in Syrien. Viele von ihnen leben
       in dem vom Regime kontrollierten Gebiet, andere im Rebellengebiet, ein
       anderer Teil lebt im Flüchtlingslager in Jordanien, wieder andere sind über
       Meer nach Europa geflohen“, beschreibt er seine Situation, die für
       syrischen Familien nicht ungewöhnlich ist. Oft ist sie über mindestens drei
       Kontinente zerstreut.
       
       Wenn Tarek morgens aufwacht, greift er als allererstes zu seinem
       Smartphone, um sich zu versichern, ob bei der Familie und den Freunden
       alles in Ordnung ist. „Wenn sie online sind, bin ich beruhigt. Wenn nicht,
       dann mache ich mir Sorgen und frage bei andern Freunden und Bekannten nach.
       Das mache ich, ehe ich ein Tasse Kaffee trinke oder mir mein Gesicht
       wasche“, sagt er. Das wiederholt er alle paar Stunden. Es gehört zu seinem
       festen Smartphone-Flüchtlings-Ritual. Einer seiner Freunde war eines Tages
       nicht mehr online, erzählt er. Erst viel später erfuhr er, dass er vom
       Regime festgenommen worden war.
       
       ## Das Smartphone als Transportmittel
       
       Aber das Handy dient Tarek nicht nur dazu, mit seiner Familie zu
       telefonieren. Es ist auch der Speicher seines Lebens vor der Flucht. „Mit
       dem Handy kann ich alles transportieren, meine Geschichte, meine Fotos,
       meine Musik, alle wichtigen Dokumente sind darauf. Die Kindheit- Schul-
       oder Universitätserinnerungen“, beschreibt er.
       
       Tarek ist Musiker und hat einst in der südsyrischen Stadt Deraa eine Band
       geleitet. Stolz zeigt auf seinem Smartphone seine Musik- und
       Videoclip-Archive. Dutzende der Auftritte in Syrien hat er dort
       abgespeichert. Die haben ihm Mitglieder der Band per Whatsapp zukommen
       lassen. Tarek hatte bei seiner Flucht eine externe Festplatte dabei, auf
       der seine gesamte Musik gespeichert war, die ihm aber an einem Flughafen
       abgenommen worden war. Wo und von wem, will er nicht erzählen.
       
       ## Virtuelle Probe einer Musikgruppe
       
       Dann zeigt er eine ganze besondere Anwendung seines Smartphones und
       verabredet sich mit einigen Bandmitgliedern zur Probe via dem
       [1][Internettelefondienst Viber], ein kostenloser Dienst zum Chatten und
       Telefonieren. „Meist benutzen wir Viber, weil das Regime Skype
       kontrolliert“, erklärt er. Das sei allgemeines syrisches Flüchtlingswissen.
       Per Videoschaltung erscheinen auf seinem Display einige Minuten später
       mehrere Mitglieder seiner arabischen Musikgruppe mit dem Namen „Dream Band“
       im syrischen Deraa. Zur Probe haben sie sich sogar in Schale geworfen. Dann
       beginnt Tarek mit dem ersten Vers, in dem er klagt, dass er seine Freunde
       im Exil vermisst, die darauf warten, bis sie an der Reihe sind, zu singen.
       So geht es eine ganze Weile musikalisch hin und her.
       
       Das Video ist verzerrt, der Lautsprecher knarzt. Tarek hält sein Smartphone
       vor sein Gesicht und lächelt. Für einen kurzen Moment fühlt er sich, dank
       Smartphone, als sitze er da mit seiner Band in diesem Garten mit dem
       Jasminbusch im Hintergrund, im syrischen Deraa. Tarek verabschiedet sich
       von seiner Band und legt sein Smartphone vor sich auf den Tisch. „Dieses
       Gerät“, zitiert er den syrischen Poeten Nizar Qabbani, „das ist der Schatz
       meines Lebens“.
       
       1 Oct 2015
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.viber.com/de/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Karim El-Gawhary
       
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