# taz.de -- Südafrikanisches Tanztheater: Da muss noch was kaputtgehen
       
       > Voller beeindruckender Performer und viel zu schnell: Mit Kollegen aus
       > Südafrika zeigt die Choreografin Constanza Macras „On Fire“ in Berlin.
       
 (IMG) Bild: Hoffentlich geht da nicht noch was kaputt.
       
       Das letzte Mal, als Fana Tshabala, Tänzer und Choreograf aus Südafrika,
       nach Berlin kommen wollte, um mit Constanza Macras zu arbeiten, hatte er
       kein Visum bekommen. Jetzt, bei der Europapremiere des in Johannesburg
       uraufgeführten Stücks „On Fire“ im Berliner Gorki-Theater, ist er zum Glück
       da. Zu Regen und Donner-grummeln betritt er mit sehr präzisen, funktional
       wirkenden Bewegungen die Bühne. Ein Öffnen, ein Schließen, ein
       Sich-Verengen. Dann verstärkte Geräusche, ein Flattern, wie von einem
       Falter hinter Glas. Vielleicht ist das schon ein Bild.
       
       Constanza Macras hat sich für ihre Zusammenarbeit mit acht südafrikanischen
       Performer*innen sowie vier weiteren internationalen Tänzer*innen ihrer
       Companie DorkyPark Begriffe wie Tradition, Erbe und Rituale vorgenommen.
       Aber wo fängt man an mit so einem Thema? Beim Erfahrungsclash der
       internationalen Gruppe, bei den Ahnen, beim Kolonialismus, bei Schwarz und
       Weiß, bei Mann und Frau?
       
       All das ist präsent bei Constanza Macras, ohne dass sich „On Fire“ damit in
       die Reihe der Aufklärungsstücke einordnen ließe, die in den letzten Jahren
       Konjunktur hatten und in denen Schwarze Schwarze repräsentieren mussten und
       Weiße Weiße, und Schwarze Weißen irgendwie klar machen müssen, was sie
       falsch machen und wer sie selbst eigentlich wirklich sind. Diese Umkehrung
       der Oberlehrerrolle muss vielleicht sein, aber künstlerisch nutzt sie sich
       als voraussehbare Auge-um-Auge-Didaktik schnell ab.
       
       Bei Macras gibt es auch scharfe Konturen, scharfe Kolonialismus- und
       Neokolonialismuskritik, aber ohne solche klaren repräsentativen
       Trennlinien. Wenn sich der Tänzer im angedeuteten Bild tatsächlich selbst
       in ein Laborglas verschraubt hat, dann könnte das für das Prinzip in „On
       Fire“ stehen: Alle auf der Bühne sind zunächst einmal Kulturhybriden. Sie
       versuchen sich in Duos gegenseitig in Formen zu biegen, sind mal sperrig,
       mal fügsam, aber gerinnen nie zu fester Form. Wer sich in Traditionen
       verorten will, muss ins Reagenzglas. Und weil auf Macras’ Bühnen die
       Zentrifugalkraft vorherrscht, wird das imaginäre Glas auch schnell wieder
       zerschlagen. Der Falter, der herauskommt, wird dann aber schlicht
       abgewickelt, verpackt in den Papiertanzteppich, auf dem er gerade noch
       seinen Fabelwesentanz getanzt hat.
       
       Sicher steckt hinter solchen Bildern jedoch nicht nur Identitätssymbolik,
       denn „On Fire“ ist gleichzeitig auch eine Art Essay auf einen
       Schöpfungsmythos, der mit einem Funken beginnt und in kleinen Episoden
       erzählerisch und bildlich eingeflochten wird. Idiomatisch scheint er eher
       im südafrikanischen Kontext verankert zu sein, aber die Komponenten sind
       bekannt: Innerhalb einer hierarchischen (Gewalten-)Ordnung wird Leben
       geschaffen, der Mensch, bestehend aus Mann und Frau, leistet den Göttern
       Gesellschaft, damit es denen nicht langweilig wird.
       
       ## Der Mythos und die Soap
       
       Leider choreografiert Constanza Macras hier mal wieder so schnell, wie sie
       spricht. Mythos wechselt sich mit fingiertem Soap-Storyboard ab,
       fotoessayistisch inspirierte tableaux vivants mit Subjekttheorie,
       Kolonialismuszitate mit Neokolonialismuspraxis, Schamanismus mit
       Kapitalismus, durchzogen von Urban-, Contact-, Ballett- und
       Ritualtanzversatzstücken. Macras letztes, fast kontemplativ poetisches
       Stück „Ghosts“ an der Schaubühne in Berlin, das sie mit Artisten aus China
       entwickelt hatte, hatte schon die Hoffnung geweckt, dass sich am Tempo was
       ändert.
       
       Aber im Gegenteil: heftiger Rückschlag. Unter dieser Geschwindigkeit leidet
       auch das weitere Material, das an sich eine große Kraft hat. An erster
       Stelle sind das die Bilder von Ayana V. Jackson und Dean Hutton, die in
       Porträt- und Gruppenaufnahmen mit absurden Attributen und Konstellationen
       das Muster von ethnografischen, kategorisierenden Fotografien zitieren.
       Speer wird zu Tennisschläger, der Halsschmuck zum vergoldeten Autoreifen.
       
       Diese Perspektive, die den Porträtierten zwingt, zum Repräsentanten eines
       Kulturbegriffs zu werden, legt nicht nur offen, wie Fotografie in der
       Ästhetik kolonialen Denkens funktioniert, sondern wie dieses Denken selbst
       funktioniert. In der Postkolonialismustheorie, etwa bei Achille Mbembe,
       wird treffend von den „Verfahren des Fabulierens“ gesprochen. Der
       europäische Diskurs stelle erfundene Tatsachen als real, sicher und exakt
       dar, sodass seine fingierte Objektivität auf einem zutiefst von Fantasien
       geprägten Verhältnis zur Wirklichkeit gründe.
       
       Diese Falltüren zwischen Fantasie und Wirklichkeit gehen bei Macras ständig
       auf und zu, zu schnell, aber mit so viel Schwung, dass zum Schluss noch
       etwas kaputtgehen muss. Ein Tänzer mit einem Golf- und einer mit einem
       Tennisschläger holen aus, zielen auf eine Serientasse. So leicht lässt sich
       kein zementiertes Erbe zerhauen, aber schön wäre es.
       
       1 Oct 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Astrid Kaminski
       
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