# taz.de -- Der Mensch und die Allergien: Was tun, wenn es brennt?
       
       > Wie helfen Impfungen? Welche Rolle spielt die Vererbung? Und wozu können
       > Allergien vielleicht sogar gut sein? Ein Überblick.
       
 (IMG) Bild: Wogegen rebelliert der Körper?
       
       Die Perser nannten es „Rosenschnupfen“. Dieser befiel vor mehr als 1.000
       Jahren jedoch nur wenige Menschen – während der Zeit der Rosenblüte. Heute
       sind Allergien und Asthma eine Volkskrankheit, eine Epidemie, in allen
       Industrieländern. In Deutschland wird jeder dritte Erwachsene und jedes
       vierte Kind mindestens einmal in seinem Leben von allergischen Symptomen
       wie Hautjucken, ständig laufender oder verstopfter Nase,
       Bindehautentzündung, Asthma oder Durchfall geplagt. Manche erleiden gar
       einen lebensbedrohlichen, anaphylaktischen Schock.
       
       Zwar verlaufen viele Allergien ohne Gefahr, trotzdem werden sie oft zu
       Unrecht bagatellisiert. In Untersuchungen zeigte sich etwa, dass bei
       Patienten mit Heuschnupfen die geistige Leistungsfähigkeit und das
       Langzeitlernvermögen um 30 Prozent sinken. Rund ein Drittel aller
       Betroffenen entwickelt Asthma.
       
       Die Erkrankungszahlen stiegen vor allem zwischen 1970 und 1990. Daten des
       Robert-Koch-Instituts (RKI) weisen darauf hin, dass seit gut 10 Jahren ein
       Plateau erreicht ist. Dagegen hat eine Studie der Universität Leipzig einen
       Anstieg auch in den vergangenen Jahren belegt.
       
       Auch der Berliner Arzt Jörg Kleine-Tebbe von der Deutschen Gesellschaft für
       Allergologie und klinische Immunologie (DGAKI) ist sich sicher, dass die
       Zahlen noch einmal hoch gehen werden, sobald die vielen allergiekranken
       Kinder erwachsen werden. „Wir sehen eine Ausdehnung bis in die älteren
       Jahrgangsstufen“, so der Berliner Arzt. Heute ist jeder zweite Deutsche
       atopisch, reagiert also in Hauttests auf mindestens eine Substanz
       allergisch.
       
       ## Fehlgeleitete Antworten
       
       Doch wogegen rebelliert der Körper? Beim Menschen mit Allergien sind die
       Antworten auf harmlose Substanzen, etwa Pollen, Milch- oder Weizenproteine,
       Tierhaare oder Hausstaubmilben fehlgeleitet. Eigentlich sollen so genannte
       Th1-Zellen dem Körper Gefahrlosigkeit signalisieren. Bei Allergikern wird
       die Abwehr aber dermaßen hochgefahren, dass es zu einer überschießenden
       Reaktion kommt. Es entstehen Antikörper. Sie docken an Mastzellen an, die
       bei erneutem Allergenkontakt Histamin ausschütten. Parallel dazu wird das
       betroffene Gewebe mit Entzündungsstoffen geflutet. Es kommt zu einer
       Entzündung, die Schleimhäute schwellen an und jucken.
       
       Seit Neuestem weiß man, dass Allergene aus der Erdnuss auch über die Haut
       aufgenommen werden. Es kann reichen, dass der Tischnachbar Erdnüsse
       knabbert und dabei Proteine durch die Luft wirbeln, um bei sensibilisierten
       Personen eine allergische Reaktion auszulösen. In amerikanischen Kitas und
       auf Flügen wird deshalb mittlerweile ganz auf das Knabberzeug verzichtet.
       Zwar reagieren nur ein bis drei Prozent der Bevölkerung in
       Industrienationen auf Erdnüsse, allerdings oft so stark, dass es schon zu
       Todesfällen kam.
       
       Normalerweise sollte der Körper bereits in der Kindheit Toleranzen
       entwickeln. Warum nicht alle schon mit fünf Jahren, sondern manche erst mit
       50 an einer Allergie erkranken, ist unklar.
       
       Gewiss ist, dass Vererbung eine Rolle spielt. So treten bei Kindern mit
       einem allergiekranken Familienmitglied doppelt so häufig Allergien auf.
       Zudem sind Mediziner überzeugt, dass der Lebensstil und die Umwelt von
       Bedeutung sind.
       
       ## Diagnose
       
       Während über die Ursachen von Allergien noch diskutiert wird, reagieren
       viele Menschen immer sensibler auf mögliche Symptome. Kaum eine Krankheit
       wird so oft aufgrund einer Selbstdiagnose gestellt. So glauben gemäß einer
       Berliner Studie aus dem Jahr 2012 rund 60 Prozent der Bevölkerung, dass sie
       an einer Nahrungsmittelallergie leiden. Nur fünf Prozent tun dies wirklich.
       
       Allergien werden oft mit Nahrungsmittelunverträglichkeiten verwechselt –
       wie Laktose- und Histaminintoleranz, Fruktose-Malabsorption oder der viel
       zu häufig vermuteten Glutensensitivität. Die Mechanismen sind hier jedoch
       andere, etwa Enzymdefekte. „Diese Leiden sind zwar lästig, aber nicht
       gefährlich“, sagt der Allergologe Kleine-Tebbe. Doch nur einer von drei
       Betroffenen lässt seinen Verdacht dann beim Arzt abklären.
       
       Die anderen setzen sich oft selber auf Diät. Das ist nicht risikolos, wenn
       ein Grundnahrungsmittel wie Milch oder Brot auf den Index kommt. „Wird
       Milch inklusive aller Milchprodukte weggelassen, fehlt Calcium“, sagt Imke
       Reese vom Deutschen Allergie- und Asthmabund (DAAB). Das gilt vor allem für
       den Nachwuchs. Kinderärzte berichten bereits von Kindern, die mangelernährt
       in ihrer Praxis auftauchen.
       
       Doch der Verzicht kann auch der Psyche zusetzen, sagt Reese: „Es bedeutet
       Einschränkung, Minderung der Lebensqualität und in gewisser Weise eine
       Ausgrenzung.“ Kritisch sind darum auch dubiose Allergietests zu sehen, die
       von medizinischen Labors oder Heilpraktikern durchgeführt werden, zum
       Beispiel IgG-Tests gegen Nahrungsmittel oder Kinesiologie. Der Patient
       verlässt die Praxis dann mit einer Liste vieler Lebensmittel, die zu meiden
       sind.
       
       Die Diagnose „Allergie“ kann letztlich nur ein Arzt stellen. Dabei müssen
       ein positiver IgE-Test, also eine Allergiebereitschaft, und die Reaktion
       auf das Allergen zusammenpassen. Eine allergische Reaktion im sogenannten
       Pricktest, bei dem Allergene auf die Haut aufgetragen werden, reicht nicht
       aus. Allergologe Kleine-Tebbe sieht ein prinzipielles Problem bei der
       Diagnose von Allergien: Häufig fehlt die Zeit mit dem Patienten.
       „Allergologie ist eine sprechende Medizin“, sagt Kleine-Tebbe. „Und das
       wird schlecht vergütet.“
       
       ## Therapie
       
       Steht die Diagnose, sind die Behandlungsmethoden heutzutage recht gut. Bei
       Asthma, Heuschnupfen oder Neurodermitis werden meist Kortisonpräparate
       verschrieben. „Leider haftet Kortison immer noch ein negatives Image an“,
       bedauert Kleine-Tebbe. Frei verkäufliche Antihistamine der zweiten
       Generation machen auch nicht mehr so müde wie frühere Produkte. Sie sind
       aber nicht so wirksam.
       
       Wer auf ein Lebensmittel wie etwa Hühnereier allergisch reagiert, muss
       dieses weglassen. Das ist allerdings nicht immer einfach, da die
       Zutatenliste der meisten Lebensmittel lang ist. Für lose Ware gibt es erst
       seit diesem Jahr eine gesetzliche Kennzeichnungspflicht.
       
       Zudem gibt es seit einigen Jahren die Hyposensibilisierung. Dabei bekommt
       der Patient über drei Jahre hinweg hohe Allergenmengen, um die Allergie in
       Toleranz zu verwandeln. Findet der Arzt das richtige Mittel, liegen die
       Heilungschancen für Insektengift-, Pollen- oder Hausstauballergien bei 50
       bis 80 Prozent. Zudem können Allergien nach 10 bis 20 Jahren von selbst
       verschwinden.
       
       Forscher arbeiten auch an Impfungen, die Allergien gar nicht erst entstehen
       lassen sollen. Da Kinder mit wenig Kontakt zu Krankheitserregern, etwa
       Darmparasiten, häufiger allergisch reagieren, könnten Impfstoffe diese
       Infektionen imitieren und so die Bildung von sogenannten Th1-Zellen
       begünstigen. Derzeit gibt es Studien mit Würmern, Viruspartikeln und sogar
       dem Magenkeim Helicobacter pylori. Schon in der Schwangerschaft
       eingenommen, soll so das Immunsystem des Ungeborenen gestärkt werden.
       
       Bleibt zum Schluss für Allergiker ein schwacher Trost: Aus Sicht der
       Evolutionsbiologie hatten Allergien vielleicht sogar einen Nutzen. Denn
       wenn die Allergie-Antikörper einst nicht für etwas gut gewesen wären, hätte
       die Evolution sie vermutlich im Laufe der Zeit beseitigt. Vor einigen
       Jahren wurde diskutiert, ob die Antikörper gegen Krebszellen helfen könnten
       – das hat sich bisher nicht bestätigt. Eine andere Theorie lautet: Die
       Antikörper könnten Schwangere vor Insekten- oder Schlangengiften geschützt
       haben, ohne die üblichen Abwehrmechanismen aufzufahren, die dem ungeborenen
       Kind geschadet hätten. Ob allergische Reaktionen auch heute noch gegen
       andere Leiden helfen, ist jedoch unklar.
       
       30 Sep 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kathrin Burger
       
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