# taz.de -- Frankreichs Flüchtlingspolitik: Calais als Symptom der Malaise
       
       > Präsident François Hollande unterstützt die EU-Quoten-Pläne. Doch die
       > Flüchtlingspolitik seines Landes ist wenig menschenfreundlich.
       
 (IMG) Bild: Wenig Hoffnung in Frankrech: ein Flüchtling in einem Camp nahe Calais.
       
       Paris taz | Auf einer eigens einberaumten Pressekonferenz beschwor
       Staatspräsident François Hollande erneut Frankreichs Tradition der Aufnahme
       von Verfolgten. Er erinnerte an die Integration der Menschen, die am Ende
       des Spanischen Bürgerkriegs und während der Franco-Diktatur aus dem
       südlichen Nachbarland sowie als Boat People aus Indochina geflohen waren.
       Das Asylrecht ist in der französischen Verfassung verankert, darum werde
       sein Land nicht zögern, in den kommenden zwei Jahren 24.031 Flüchtlinge
       aufzunehmen, wie von der EU-Kommission vorgesehen, so Hollande.
       
       Der französische Innenminister Bernard Cazeneuve drängte indes, gemeinsam
       mit seinem deutschen Amtskollegen, die anderen Mitgliedstaaten, den ihnen
       von der EU zugedachten Anteil an Flüchtlingen aufzunehmen. Hollande möchte
       aus dieser Quote sogar einen permanenten und „obligatorischen Mechanismus“
       machen.
       
       Wie das praktisch organisiert werden soll, ließ der Präsident offen. Auch
       er weiß, dass die für die Asylsuchenden vorgesehenen Infrastrukturen seit
       Jahren notorisch überlastet sind. Jedes Jahr beantragen rund 65.000
       Personen in Frankreich den Flüchtlingsstatus. Von diesen Asylgesuchen,
       deren Bearbeitung durch die zuständige Behörde für Flüchtlinge und
       Heimatlose (OFPRA) in der Regel mehr als ein Jahr dauert, erhalten weniger
       als ein Viertel eine positive Antwort.
       
       Während dieser langen Wartefrist dürfen die Asylbewerber nicht arbeiten.
       Sie hätten theoretisch ein Anrecht auf eine Unterkunft und ein Taschengeld.
       In Wirklichkeit müssen sie meistens selbst schauen, wie sie sich
       durchschlagen. Das ist einer der Gründe, warum etwa die in Calais am
       Ärmelkanal gestrandeten Menschen aus Afrika und dem Nahen Osten um jeden
       Preis nach Großbritannien wollen, wo sie darauf hoffen können, viel
       schneller als Flüchtlinge anerkannt zu werden und Arbeit zu finden, ob mit
       oder ohne Papieren.
       
       ## Lange Wartezeiten, ungewisser Ausgang
       
       Man könnte fast vermuten, dass Frankreich in zynischer Weise gar kein
       Interesse daran hat, etwas an seiner abschreckenden Asyl-Prozedur zu
       ändern. Obwohl die französische Regierung regelmäßig die Menschen in den
       Zelt- und Hüttenlagern von Calais über ihre Rechte zur Einreichung eines
       Asylantrags informieren lässt, machen die wenigsten davon Gebrauch, weil
       ihnen der Ausgang zu ungewiss und die Wartezeit zu lange vorkommt.
       
       Das bestätigen dort vor allem Sudanesen wie Abdallah Ibrahim, der
       resigniert erklärt: „Ich liebe Frankreich, aber Frankreich liebt mich
       nicht.“ Etwas leichter als seine Landsleute hätten es die Eritreer bei den
       französischen Behörden, meint er. Von den 1.616 Personen, die seit
       Jahresbeginn in Calais ein Gesuch eingereicht haben, wurden angeblich knapp
       tausend anderswo untergebracht. Die anderen blieben notgedrungen in ihren
       Zelten oder Hütten im „Dschungel“, wie das offiziell geduldete Camp bei
       Calais heißt.
       
       Wie schizophren die französische Flüchtlingspolitik manchmal sein kann,
       bewies am Sonntag in Saint-Ouen bei Paris die polizeiliche Räumung eines
       illegal errichteten Camps von Obdachlosen, unter denen sich laut der NGO
       „Droit au logement“ zahlreiche syrische Flüchtlingsfamilien befinden
       sollen.
       
       ## Meinungswandel in der Bevölkerung
       
       Mit Beschämung haben viele französische Fernsehzuschauer die Bilder aus
       München gesehen, als die eintreffenden Flüchtlinge herzlich begrüßt wurden.
       In den Umfragen ist seither ein deutlicher Meinungswandel erkennbar. Noch
       vor einer Woche waren 56 Prozent aller Befragten gegen die Aufnahme neuer
       Flüchtlinge, doch unter dem Eindruck der Reportagen aus Deutschland, Ungarn
       und der Türkei wäre nun angeblich eine knappe Mehrheit von 53 Prozent
       dafür. Aber wie sollen in dieser Situation gesättigter Infrastrukturen und
       überbelegter Notunterkünfte jetzt zusätzliche Flüchtlinge aus Syrien, dem
       Irak und Afghanistan aufgenommen werden?
       
       Premierminister Manuel Valls appelliert an den guten Willen und die
       Solidarität der 36.000 französischen Kommunen. 600 Bürgermeister fanden
       sich zu einer ersten Orientierung ein, bei der ihnen die Regierung 1.000
       Euro pro Flüchtling in Aussicht stellte, zusätzlich zu der von der EU
       versprochenen Summe. Gleichzeitig unterstützt Hollande die
       wiedereingeführten deutschen Kontrollen an der Grenze zu Österreich. Er
       betont, die EU müsse bei der Verteidigung ihrer äußeren Grenzen
       unnachgiebig sein.
       
       16 Sep 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Rudolf Balmer
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Flucht
 (DIR) Flüchtlinge
 (DIR) Schwerpunkt Frankreich
 (DIR) Calais
 (DIR) Francois Hollande
 (DIR) Schwerpunkt Flucht
 (DIR) Schwerpunkt Frankreich
 (DIR) Schwerpunkt Flucht
 (DIR) Calais
 (DIR) Schwerpunkt Flucht
 (DIR) Calais
 (DIR) Schwerpunkt Frankreich
 (DIR) Bulgarien
 (DIR) Flüchtlinge
 (DIR) Ungarn
 (DIR) Schwerpunkt Flucht
 (DIR) EU-Innenminister
 (DIR) Schwerpunkt Flucht
 (DIR) Flüchtlinge
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Flüchtlinge in Calais: Vom „Dschungel“ auf die Fähre
       
       Tausende Flüchtlinge sitzen in der französischen Hafenstadt fest. Während
       einer Kundgebung gelingt es einigen, aus Protest eine Fähre zu stürmen.
       
 (DIR) Flüchtlinge im „Jungle“ von Calais: Zwischen Schlamm und Tränengas
       
       Der politische und polizeiliche Druck auf die Bewohner des Camps an der
       Kanalküste ist unerträglich. Die Furcht vor einer Räumung wächst.
       
 (DIR) Flüchtlinge in Calais: Zusammenstöße mit der Polizei
       
       Migranten blockierten eine Fahrbahn und wollten sich in Lastwagen
       verstecken. Eingreifende Polizisten wurden mit Steinen angegriffen.
       
 (DIR) Die Flüchtlinge von Calais: Der Jungle wächst
       
       Aus den Flüchtlingslagern bei Calais ist längst ein eigenständiges Dorf
       geworden. Doch das könnte sich ändern. Ein Containercamp soll entstehen.
       
 (DIR) Kommentar Europas Flüchtlingspolitik: Menschen sind stärker als Zäune
       
       Für viele Flüchtlinge geht es ums nackte Überleben. Sie haben alles
       verloren und lassen sich von keiner Schikane aufhalten.
       
 (DIR) Urteil in Frankreich: Wasserstellen für Flüchtlinge in Calais
       
       Ein französisches Gericht hat bessere Zustände in einem Flüchtlingslager in
       Calais angeordnet. Sollten die Behörden dem nicht nachkommen, drohen
       Geldstrafen.
       
 (DIR) Flüchtlinge in Frankreich: Entmietung im Morgengrauen
       
       Die Polizei räumt eine Mittelschule in Paris, die Flüchtlinge besetzt
       hatten. Für die 1.300 Personen soll es angeblich Ersatzunterkünfte geben.
       
 (DIR) Vorfall bei Grenzübertritt: Bulgaren erschießen Flüchtling
       
       Wegen „illegaler“ Übertritte feuerten bulgarische Grenzer auf Flüchtlinge –
       ein Mann starb. Ein Toter wurde auch im Eurotunnel gefunden.
       
 (DIR) Flüchtlinge in Osteuropa: Auch Kroatien macht zu
       
       Kroatien will nun doch keine Flüchtlinge nach Slowenien reisen lassen. Auch
       eine weitere Aufnahme von Menschen sei nicht möglich.
       
 (DIR) Flüchtlinge zwischen Serbien und Ungarn: Ungarn setzt Wasserwerfer ein
       
       An der serbisch-ungarischen Grenze eskaliert die Lage. Dutzende Flüchtlinge
       haben die Grenze überschritten. Die Polizei geht gewaltsam gegen sie vor.
       
 (DIR) Architekt über Flüchtlingswohnungen: „Integrieren, nicht abschotten“
       
       Parkhäuser und Lastkähne: Architekturprofessor Jörg Friedrich plant
       Unterkünfte, in denen etwa Flüchtlinge und Studenten zusammen leben
       könnten.
       
 (DIR) Treffen der EU-Innenminister: Erst abschotten, dann helfen
       
       Die Europaminister beraten über die Flüchtlingspolitik. Nach einer Einigung
       sieht es allerdings nicht aus. Und Merkel sitzt auf der Anklagebank.
       
 (DIR) Frankreichs Premier im Flüchtlingslager: Valls als Grenzwächter in Calais
       
       Beim Besuch in einem Aufnahmezentrum gibt sich Manuel Valls standfest und
       humanitär zugleich. Um den „Dschungel“ macht er aber einen Bogen.
       
 (DIR) Flüchtlingskrise am Eurotunnel: Gemeinsames Kommando in Calais
       
       Französische und britische Regierung errichten am Ärmelkanal ein
       Kontrollzentrum. Die Bürgermeisterin von Calais verlangt derweil eine
       Entschädigung.
       
 (DIR) Flüchtlingslager bei Calais: Eine Schule im „Dschungel“
       
       Seit Kurzem gibt es im Flüchtlingslager bei Calais ein Symbol der Hoffnung.
       Ein Bewohner hat aus Zeltplanen eine kleine Schule errichtet.