# taz.de -- Typisch deutsche Gutmenschen: „Man darf auch komisch sein“​
       
       > In der Komödie „Wir sind keine Barbaren!“ setzt sich Regisseur Murat
       > Yeginer mit Vorurteilen in einer Gesellschaft auseinander, die sich für
       > weltoffen hält.
       
 (IMG) Bild: Eine Frage der Vorurteile: Im Winterhuder Fährhaus wird die Hautfarbe thematisiert.
       
       taz: Herr Yeginer, Philipp Löhles Komödie „Wir sind keine Barbaren!“ setzt
       sich mit den Vorurteilen gegenüber Fremden in einer Gesellschaft
       auseinander, die sich für tolerant und weltoffen hält. 
       
       Murat Yeginer: Es geht um ein ganz normales Paar, das man gut im Hamburger
       Stadtteil Winterhude ansiedeln könnte: Gut verdienend, er ist
       Elektroingenieur, sie vegane Köchin, alles ist wunderbar. Es ziehen neue
       Nachbarn ein, man lernt sich kennen, fühlt sich als Gleichgesinnte. Eines
       Abends klopft es bei einem der beiden Ehepaare an die Tür. Es ist ein
       Schwarzer, sie lassen ihn in ihre Wohnung.
       
       Und dann? 
       
       Er übernachtet dort. Das benachbarte Ehepaar ist überrascht. Nach und nach
       kommen die Vorbehalte auf den Tisch: Du kannst doch nicht einen Wildfremden
       hier aufnehmen! Dann passiert die Katastrophe: Die Ehefrau ist, so scheint
       es, mit dem Gast abgehauen. Schließlich wird sie tot aufgefunden, im Wald
       verscharrt. Man nimmt sofort an, der Schwarze sei es gewesen. Alle
       Vorurteile, die man so hat, tauchen dann auf. Er wird verurteilt, aber dann
       nimmt die Geschichte eine unerwartete Wendung.
       
       Löhle schreibt mit viel Humor. Aber ist die Komödie eine angemessene Form
       für Gesellschaftskritik? 
       
       Die große Stärke des Stückes ist, dass Philipp Löhle gesellschaftliche
       Gedanken aneinander gekettet hat und diese Worthülsen, die wir alle
       benutzen, plötzlich so geballt daherkommen, dass man merkt, was für eine
       Gefährlichkeit in ihnen steckt. Natürlich muss man das über die
       Überspitzung machen, über Satire, über das komödiantische Element. Ich
       treibe die Absurdität dieser ganzen Thematik auf die Spitze. Aber ich achte
       auch darauf, dass es nicht überhand nimmt.
       
       Das Stück ist kritisiert worden, weil es allzu leichtfertig und
       boulevardesk mit einem ernsten Thema umgehe. 
       
       Da kann ich als Migrant sagen: Das ist typisch deutsch. Wenn ich versucht
       habe, die Integrationsproblematik mit Humor zu nehmen, hat mir die Presse
       oft vorgeworfen, dass das Thema dafür doch viel zu ernst sei. Dann sage
       ich: Ich lebe das jeden Tag. Jeden Morgen, wenn ich zum Bäcker gehe und er
       mich nicht kennt, zögert er für einen Moment und fragt sich: Hoffentlich
       spricht der meine Sprache. Damit kann man doch nur mit Humor umgehen. Ich
       suche deshalb immer Stoffe, die damit leichtfertiger umgehen.
       
       Das Stück unterscheidet sich von der ungebrochenen Leichtigkeit klassischer
       Boulevardstoffe. Soll den Zuschauern das Lachen im Hals stecken bleiben? 
       
       Ich denke, das wird es. Die Leute werden sich schon fragen: Wo sind wir
       denn hier eigentlich gelandet? Ich hoffe, dass wir es hinbekommen, dass sie
       immer wieder in die Falle tappen und sich fragen: Ist es eine Komödie? Was
       ist es?
       
       Soll sich das Publikum erwischt fühlen? 
       
       Das ist so ein Punkt, an dem es moralisierend wird. Das möchte ich aber
       nicht. Ich möchte nicht sagen: Ich als Gutmensch zeige euch ein Stück und
       erwische euch. Aber ich möchte schon, dass man über das Stück nachdenkt und
       mit der thematisierten Problematik vielleicht anders umgeht.
       
       „Gutmensch“ ist einer der Kampfbegriffe von Bewegungen wie Pegida aus
       Dresden und ihren lokalen Ablegern. Was verstehen Sie darunter? 
       
       Ich habe meiner Gutmenschin im Stück, der veganen Köchin, gesagt: Spiele es
       unbedingt überheblich, spiele es belehrend, nicht als Pilgerin auf dem Weg
       nach Santiago de Compostela. Der Gutmensch ist einer, der politisch korrekt
       ist.
       
       Vermittelt das Stück denn eigentlich gar keine Moral? 
       
       Philipp Löhle gibt da keine Richtung vor. Er zeigt nur, wie der Gedanke,
       den man hat, daneben liegen kann, wie man etwas absolut fehlinterpretieren
       kann. Es läuft nur über Fehlinterpretationen. Alles wird immer
       interpretiert und interpretiert, so wie wir es gewohnt sind. Ich kann mich
       damit sehr gut identifizieren. Zu sagen, jetzt müssen wir den Leuten die
       Moral der ganzen Geschichte zeigen, ist sehr deutsch.
       
       Der Mann, der bei einem der beiden Ehepaare klopft und um Unterkunft
       bittet, taucht selbst auf der Bühne nicht auf. Wieso nicht? 
       
       Weil es eben unsere Assoziationen sind, die ihm ein Aussehen geben. Die
       eine sagt: ebenholzartig, groß, gut gewachsen. Die andere sieht die
       angesprochenen Narben im Rücken und sagt: Das ist ja furchtbar. Der eine
       Ehemann sagt: Mister 30 Zentimeter.
       
       Im Gegensatz zum Löhle-Text ist einer der Ehemänner bei ihnen selbst
       schwarz. 
       
       Ich habe mir diese Freiheit gegönnt. Er ist aber auch der einzige, der mit
       einem richtigen Hamburger Slang spricht, ein echter Hamburger Jung eben.
       Und er ist die einzige Figur, die am Schluss in der Schwebe ist, sich dann
       aber doch vom Volk vereinnahmen lässt. Auch der Chor, der das deutsche Volk
       darstellt, ist bei uns nicht nur weiß. Auch da sind Dunkelhäutige dabei,
       die sagen: Wir sind deutsch, wir sind anders als die. Die Grenze besteht
       nicht nur zwischen Flüchtlingen und „reinen Deutschen“, auch Migranten, die
       schon länger hier sind, haben diese Vorurteile.
       
       Premiere: 26.8., 19.30 Uhr, Komödie Winterhuder Fährhaus, Hudtwalckerstraße
       1, Hamburg. Weitere Aufführungen bis 25.10.
       
       21 Aug 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Robert Matthies
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Theater
 (DIR) Migration
 (DIR) Migration
 (DIR) Heckler und Koch
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Theaterstück in Göttingen: So viel Spaß macht Integrieren
       
       Abdul Abassi hat mit Komödienautor Philipp Löhle seine eigene Flucht- und
       Migrationsgeschichte dramatisiert. Die „Bombe“ zündet, aber zeitverzögert.
       
 (DIR) Migration im Volkstheater: „Gutes Theater ist uneitel“
       
       In „Plattdüütsch för Anfängers“ macht der zukünftige
       Ohnsorg-Theater-Spielleiter Murat Yeginer Migration auf dem platten Land
       zum Thema.
       
 (DIR) Uraufführung am Schauspiel Stuttgart: I kill people with a gun
       
       Am Schauspiel Stuttgart erzählen Schauspieler und Kinder die erfolgreiche
       Geschichte eines schwäbischen Waffenherstellers.