# taz.de -- Schusswechsel in Korea: Auge um Auge, Zahn um Zahn
       
       > An der Grenze zwischen dem Norden und dem Süden kommt es zum ersten
       > bewaffneten Konflikt seit 2010. Pjöngjang stellt Seoul ein Ultimatum.
       
 (IMG) Bild: Stoßen im Norden auf wenig Gegenliebe: südkoreanische Lautsprecheranlagen.
       
       Wien taz | Nordkoreas „oberster Führer“ Kim Jong Un hat am
       Freitagnachmittag seine Grenztruppen in volle Kriegsbereitschaft versetzt -
       genau einen Tag, nachdem es zwischen Artillerieeinheiten der beiden Koreas
       zu einem Schusswechsel gekommen war. Zudem hat Nordkorea dem Süden ein
       Ultimatum gestellt: Sollten die an der Grenze aufgestellten
       Lautsprecheranlagen, mit denen das südkoreanische Militär Anti-Propaganda
       in Richtung Pjöngjang sendet, bis zum Samstag um fünf Uhr nicht abgebaut
       sein, würden weitere Angriffe folgen.
       
       Tatsächlich ist Kim Jong Un ein wahres Genie auf dem Feld der Public
       Relations: In zielsicherer Regelmäßigkeit feuert er rhetorische Raketen
       gegen seine „imperialistischen“ Feinde. Dutzende Male drohte er bereits,
       Südkorea einem „Meer aus Feuer“ gleich zu machen – wohl wissend, dass ihm
       die mediale Aufmerksamkeit rund um den Globus sicher ist. Und genau diese
       ist für Nordkoreas Machtdemonstrationen eine ungemein wertvolle Währung.
       
       Dieses Mal jedoch folgte den verbalen Beschüssen ein ungewöhnlich heftiges
       Feuergefecht – der erste bewaffnete Konflikt seit 2010. Bereits am 4.
       August haben bei einer Landminenexplosion im Grenzgebiet zwei
       südkoreanische Soldaten ihre Beine verloren. Obwohl ein hochrangiger
       Militär aus dem Süden unmittelbar nach dem Vorfall eine Mitschuld
       Nordkoreas ausgeschlossen hatte, kam eine darauf folgende UN-Untersuchung
       zum gegenteiligen Ergebnis.
       
       Als Vergeltung hat Südkorea zum ersten Mal seit 2004 wieder riesige
       Lautsprecheranlagen aufgestellt, die in einer Art psychologischer
       Kriegsführung den Norden mit Nachrichtensendungen, Erfahrungsberichten
       nordkoreanischer Dissidenten und südkoreanicher Popmusik beschallen. Am
       Donnerstag schoss Nordkorea mehrere Raketen in Richtung Lautsprecher ab,
       der Süden wiederum schlug mit Maschinengewehrsalven zurück. Das Schema ist
       offensichtlich: Auge um Auge, Zahn um Zahn.
       
       ## Kriegsausbruch denkbar unwahrscheinlich
       
       Auch wenn das südkoreanische Verteidigungsministerium bereits angekündigt
       hat, dem Ultimatum aus Pjöngjang nicht nachgeben zu wollen, wäre ein
       Kriegsausbruch ein denkbar unwahrscheinliches Szenario. Tatsächlich deutet
       vieles daraufhin, dass Nordkoreas Provokationen kühl kalkuliert sind.
       
       Zum einen sind bei dem Feuergefecht weder Soldaten verletzt, noch die
       Lautsprecheranlagen getroffen wurden, was auf Warnschüsse schließen lässt.
       Zudem befindet sich derzeit eine europäische Friedensdelegation mitsamt
       einer slowenischen Rockband in Pjöngjang.
       
       Ebenso wird in der nordkoreanischen Hauptstadt gerade ein internationales
       Fußballjugendturnier abgehalten, bei dem auch Teenager aus dem Süden
       eingeladen sind. Auch das ist eine Taktik des Nordens: seine Drohungen
       balanciert es immer mit gleichzeitigen Versöhnungsgesten aus – um deren
       Nutzen zu erhöhen.
       
       Nicht zuletzt könnten ausgerechnet die am Montag begonnenen,
       amerikanisch-südkoreanischen Militärübungen für eine Deeskalation sorgen.
       Schließlich ist die Militärpräsenz auf der koreanischen Halbinsel derzeit
       so hoch wie nie – und der Zeitpunkt für eine Auseinandersetzung aus Sicht
       des Nordens denkbar ungünstig.
       
       Wenn die Welt nun auf das Ultimatum am Samstag schaut, stellt sich allein
       schon eine ganz banale Frage: Am 15. August hat Pjöngjang anlässlich der
       Feierlichkeiten zum 70. Befreiungstages von den japanischen Besatzern seine
       Zeitzone um eine halbe Stunde zurückgesetzt. Wann also läuft das Ultimatum
       denn genau ab?
       
       21 Aug 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Fabian Kretschmer
       
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