# taz.de -- Essay Rechtsextremismus in Deutschland: Der Terror ist schon da
       
       > Es hagelt Ausschreitungen mit Ansage: Die rechte Szene setzt wieder auf
       > eine Politik der Gewalt. Die ist weder neu noch war sie unvorhersehbar.
       
 (IMG) Bild: Auch hier wirkt der rechte Terror
       
       Plötzlich sind die Warner da. „Wo Gebäude brennen“, sagt Berlins
       CDU-Innensenator Frank Henkel, „brennen irgendwann auch Menschen.“ Die
       Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt mahnt, es drohe ein „neuer
       rechter Terrorismus à la NSU“. Und selbst die Deutsche Polizeigewerkschaft
       – deren Zunft bei den NSU-Ermittlungen alles Mögliche hinter der Mordserie
       vermutete, aber keine neonazistischen Täter – warnt, dass auf die
       derzeitige „konzeptlose“ Flüchtlingspolitik „im Ergebnis Gewalt,
       Extremismus und auch Rechtsterrorismus folgen werden“. Es muss also ernst
       sein.
       
       Und es ist ernst.
       
       [1][Es sind die Bilder von Heidenau], die mit einem Schlag wieder einen
       lange gemiedenen Terminus in die deutsche Öffentlichkeit schleudern: Müssen
       wir von einem „rechten Terrorismus“ reden? Randalierende Rechtsextreme vor
       einer Asylunterkunft, die aus Baustellenzäunen Barrikaden errichten, Böller
       zünden, Steine werfen und Beamte verletzen. Es sind auch die Bilder von
       verkohlten Resten angezündeter Flüchtlingsunterkünfte. Oder es ist das
       Entsetzen über zwei Rechtsextreme, die auf Flüchtlingskinder urinierten.
       
       Von einer neuen Qualität rechter Gewalt ist die Rede. Nur: Es stimmt in
       gleich mehrfacher Hinsicht nicht. Die Gewalt ist weder neu noch war sie
       unvorhersehbar.
       
       Die Belagerung einer Asylunterkunft, die Böller, das Bier, die „Wir sind
       das Volk“-Rufe: all das erinnert beklemmend an die Ereignisse Anfang der
       90er in Hoyerswerda und Rostock. Auch damals waren die Ausschreitungen nur
       die schaurige Spitze von täglichen Angriffen auf Flüchtlingsunterkünfte.
       Ganze 2.033 Attacken zählte die Polizei allein 1992, im Jahr des
       Rostock-Pogroms.
       
       In den letzten Jahren schien der Spuk wieder eingefangen. Die rechtsextreme
       Szene versuchte sich vielerorts an einer „seriösen Radikalität“, gab sich
       ein bürgerliches Mäntelchen und versuchte, die eigene Propaganda über
       Parlamente und Kundgebungen zu streuen. Mit stetem Gegenprotest und
       Sitzblockaden vermasselten DemonstrantInnen Neonazi-Aufmärsche. Die NPD,
       lange stärkste Kraft der Szene, zerlegte sich und flog selbst in ihrem
       Kernland Sachsen aus dem Landtag. Politische Erfolge: gleich null.
       
       Und nun Heidenau und Folgeorte (Salzhemmendorf, Aue und andere).
       
       ## Der Kampf um die Straße
       
       Für die rechtsextreme Szene dürfte das Wochenende ein Brandbeschleuniger
       sein, wie es ihn seit Jahren nicht gab. Heidenau war für sie mehr als eine
       Straßenschlacht. Es war ein Fanal: Es geht wieder was.
       
       Entsprechend bejubelt die Szene die Randale. „Wir sind begeistert“,
       kommentierten Teilnehmer kraftstrotzend im Internet. „Patrioten zeigten dem
       System, was sie von der Asylindustrie halten.“ An anderer Stelle heißt es
       euphorisch: „Der Volkszorn erwacht.“ Heidenau sei „erst der Anfang“. Dass
       dieser auf roher Gewalt gründet, wird nicht geleugnet – es wird gefeiert.
       „Es gibt noch Leute, die kämpfen und Deutschland noch nicht aufgegeben
       haben.“
       
       Der Kampf, den sie meinen, ist ein ideologischer Klassiker des
       Rechtsextremismus: der „Kampf um die Straße“. Die Aneignung öffentlicher
       Räume, in denen die Neonazis Kontrolle und Macht haben, um Gegner
       einzuschüchtern und eigener Propaganda Platz zu schaffen. In jüngster Zeit
       kam dazu ein selbst ernannter Verteidigungskampf: gegen eine vermeintliche
       „Überfremdung“ durch Asylbewerber, für den Erhalt des „deutschen Volkes“.
       
       Heidenau war in diesem Kampf ein lang ersehnter Erfolgsmoment. Und ein
       Dammbruch. Denn mit den über Stunden ausgetragenen Krawallen verlässt die
       rechtsextreme Szene endgültig ihren ohnehin wohlfeilen Plan der „seriösen
       Radikalität“ und legt ihre taktische Zurückhaltung ab. Dabei war die Gewalt
       nie weg.
       
       Schon seit Jahren steigt die Zahl der Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte:
       58 waren es 2013, 162 im vergangenen Jahr. In diesem Jahr registrierte die
       Polizei allein im ersten Halbjahr mehr als 150 Attacken, unabhängige
       Initiativen kommen auf noch weit mehr. Hinter den Zahlen verbergen sich
       eingeworfene Scheiben, Brandsätze, Schüsse, auch auf bewohnte Unterkünfte.
       Auch hier ist der Damm längst gebrochen: Nichts scheint mehr zu kriminell,
       das Zündeln als vertretbarer „Widerstand“ etabliert.
       
       ## Offene Militanz
       
       Daneben trat zuletzt auch offene Militanz. In Köln randalieren rechte
       Hooligans, [2][in Weimar attackierte die NPD-Jugend Gewerkschafter], vor
       einer Dresdner Flüchtlingszeltstadt warfen Neonazis Flaschen und Böller.
       514 rassistische Gewalttaten von Neonazis gab es offiziell im letzten Jahr
       – so viele wie seit Jahren nicht.
       
       Dass sich die Vorfälle nun erneut häufen, liegt auch an Pegida und AfD,
       deren Saat nun aufgeht. Blieben die Parolen der NPD noch vielerorts
       isoliert, so trugen in Dresden Tausende Ressentiments gegen Flüchtlinge auf
       die Straße, und die sächsischen Wähler belohnten einen Anti-Asyl-Wahlkampf
       der AfD mit Landtagsmandaten. Die etablierte Politik sprach von „ernst zu
       nehmenden Sorgen“ und nicht davon, dass Grenzen überschritten wurden,
       selbst als Redner das Grundrecht auf Asyl infrage stellten. Der Nährboden
       war geschaffen.
       
       Nun folgen die Taten.
       
       In Heidenau waren sie gut vorbereitet. „Leute, heute alle zu Praktiker“,
       rief die lokale Anti-Asyl-Initiative „Heidenau – Hört zu“ im Vorfeld im
       Internet auf. „Heidenau lässt sich das nicht bieten.“ Gemeint war die
       Ankunft von Flüchtlingen in dem zur Unterkunft umfunktionierten Baumarkt.
       Aus dem benachbarten Freital, in dem Rassisten auch schon Böller vor eine
       Asylunterkunft warfen, organisierte eine selbst ernannte „Bürgerwehr“ eine
       gemeinsame Anfahrt, Treffpunkt Aral-Tankstelle. Aus Dresden reisten rechte
       Hooligans an. Die Randalierer brachten paketweise Böller mit, lokale Rechte
       reihten sich ein. Als alles vorbei war, triumphierte die Gruppe „Widerstand
       Freital“ im Internet: „Wir haben den reibungslosen Ablauf gestört. Und
       genau das war unser Ziel.“
       
       Der Exzess war also geplant – und er war strategisch. Man wolle nicht mehr
       „im Kreis spazieren, bis einem schwindlig wird“, verkündete jüngst schon
       der sächsische NPD-Chef. Auch wenn sich seine Partei nun pflichtschuldig
       von den Krawallen distanziert: Sie war es, die in den Vortagen dort
       Kundgebungen gegen die Unterkunft anmeldete und die Stimmung aufschaukelte.
       „Heidenau muss jetzt zusammenstehen“, verlautete der örtliche NPD-Mann,
       „nur so verhindern wir das Erstaufnahmelager“. Die Aufrufe waren
       unmissverständlich. Am Ende bedurfte es nur noch der „Vollstrecker“.
       
       ## Das Ziel ist Einschüchterung
       
       Die rechte Szene ist wieder bei einer Politik der Gewalt angekommen. Zu
       mühselig scheint der parlamentarische Weg geworden, zu wenig
       erfolgversprechend, wie die kriselnde NPD beweist. Randale dagegen verheißt
       sofortige Wirkung – Brandanschläge tun es umso mehr. Als im bayrischen
       Vorra gleich drei Asylunterkünfte niederbrannten, begrüßte das die
       rechtsextreme Splitterpartei „Der III. Weg“ unverhohlen: „Mit den perfiden
       Asyl- und Überfremdungsplänen ist dank dem Feuerchen in ihrer Ortschaft
       erst einmal Schluss.“
       
       Was ist das, wenn nicht Terror? Mögen hinter den Zündeleien verschiedene
       Täter stecken – in Escheburg war es ein Finanzbeamter, in Zossen ist ein
       NPD-Mann verdächtigt –, die Brandstifter eint eine Ideologie, aus der
       heraus sie handeln: Rassismus. Sie eint die Opfer: Asylsuchende. Und sie
       eint ein Ziel: Einschüchterung und die Durchsetzung des eigenen Willens.
       Koste es, was es wolle. Das kann man Terror nennen.
       
       Und der nächste Schritt ist schon gemacht. [3][Erst im Mai nahmen
       Spezialeinheiten der Polizei die „Oldschool Society“ hoch], eine Gruppe
       Rechtsextremer, die nach Ansicht der Ermittler konkrete Anschläge auf
       Asylunterkünfte und Moscheen plante und dafür illegale Pyrotechnik hortete.
       Auch diese Gruppe traf sich in Sachsen: in Frohburg und Borna. Die
       Bundesanwaltschaft ermittelt wegen des Verdachts einer terroristischen
       Vereinigung. Die vier Köpfe der Gruppe sitzen bis heute in Haft. Der
       Rechtsterrorismus ist also längst da.
       
       Endlich reagiert auch die hohe Politik. Der Bundesjustizminister fordert,
       „die Straße nicht den Hetzern und den Rechtsextremen zu überlassen“. Von
       „Pack“, das eingesperrt gehöre, sprach der Vizekanzler. Der
       Bundesinnenminister versprach die „gesamte Härte des Rechtsstaats“. Allein:
       Festnahmen gab es in Heidenau bisher zwei. Und auch fast alle
       Asylheimzündler blieben bislang ungeschoren.
       
       Nach dem Brand in Nauen in dieser Woche kündigte Brandenburgs
       SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke „Null-Toleranz“ an. Eine Nacht später
       warf ein Mann einen Brandsatz in eine Leipziger Unterkunft, in Parchim
       drangen zwei Betrunkene mit einem Messer in ein Heim ein. Und zum
       Heidenau-Krawall veröffentlichte der „Widerstand Freital“ noch am
       Donnerstag die Parole: „Heidenau als bundesweites Vorbild. Deutschland
       erwacht!“
       
       Eingeschüchtert klingt anders. Es klingt nach Unheil.
       
       29 Aug 2015
       
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