# taz.de -- Debütroman über Nachhaltigkeit: Auf grün getrimmt
       
       > Karl Wolfgang Flender versucht, den politischen Roman upzudaten: Doch
       > „Greenwash, Inc.“ ist zu eindimensional und entwicklungsarm.
       
 (IMG) Bild: Hauptsache die Kulisse stimmt: Fischskulpturen hergestellt aus recycelten Pastikflaschen.
       
       Der Begriff der Nachhaltigkeit ist das Zauberwort der Gegenwart. Wer gut
       handeln will, muss nachhaltig handeln, selbst wenn er oder sie keinen
       genauen Begriff davon hat, was das im Einzelfall bedeuten kann. Also bedarf
       es rhetorischer und visueller Hilfestellungen, um den
       Nachhaltigkeitsbegriff mit Inhalt, mit Substanz zu füllen, was wiederum
       dazu führt, dass am Ende alles nachhaltig sein kann, vom T-Shirt über die
       Babywindel und das Mineralwasser bis hin zur Stromerzeugung.
       
       Thomas Hessel, der Ich-Erzähler von Karl Wolfgang Flenders Debütroman, ist
       einer, der, wie er selbst es wohl ausdrücken würde, das Wording zum
       biologisch guten Gewissen liefert, dazu noch die Bilder, die Stimmungen,
       die Gefühle. Ein Gesamtpaket, das dem Verbraucher suggerieren soll: Was du
       tust, fühlt sich nicht nur gut an, es ist auch moralisch richtig. Hessel
       ist ein junger und ungemein motivierter Mitarbeiter einer Agentur namens
       Mars & Jung, deren Geschäft das Greenwashing ist. Hessel und seine Kollegen
       erarbeiten Konzepte, um ihren Kunden ein verantwortungsvolles, ökologisch
       korrektes Image zu verpassen. Und er kennt dabei keine Grenzen.
       
       Thomas Hessel ist ein Bruder im Geiste von Bret Easton Ellis’ Patrick
       Bateman und Christian Krachts namenlosen Ich-Erzähler aus dem epochalen
       Roman „Faserland“. Allerdings fehlt Hessel sowohl das dämonische Potenzial
       (Bateman) als auch die Grandezza der Kracht-Figur. Er ist, anders lässt es
       sich nicht sagen, ein zynisches, aber auch larmoyantes, blasiertes und rein
       oberflächlich funktionierendes Arschloch.
       
       Die Frage ist, was ein junger Gegenwartsautor rund 20 Jahre nach Ellis und
       Kracht mit einer derartigen Figur noch anzufangen in der Lage ist, das in
       puncto Erkenntniswert über die großen Rollenvorbilder hinausgehen könnte.
       Um im Jargon des Romans selbst zu bleiben: Welche neuen Moves lässt Flender
       seinen Hessel machen? Die Antwort verweist auf das Kernproblem des Romans:
       gar keine.
       
       Der Hessel-Charakter ist fix und fertig, in dem Augenblick, in dem er zum
       ersten Mal auftritt, auf der ersten Seite, in einem Reisebus, der ihn
       zusammen mit einer Gruppe von Journalisten vom Flughafen einer
       brasilianischen Großstadt zum Hotel und später weiter zum Hauptschauplatz
       der Reise, einem Dorf im Regenwald, bringen soll. Das Champagnerglas in der
       Hand, die Sonnenbrille auf der Nase, die Verachtung, mit dern Hessel die
       billigen Anzüge seiner Mitreisenden betrachtet – alles da.
       
       ## Zu flach und banal
       
       Sicher, im Verlauf des Romans werden Weltekel, Narzissmus und die
       Angewidertheit gegenüber dem vermeintlichen Pöbel auf Gegenwartsniveau
       geupdatet; fit hält man sich beispielsweise mit Hilfe einer App, die mit
       der der Freundin gekoppelt wird. An kleinen überraschenden Einfällen
       mangelt es Karl Wolfgang Flender, der in Hildesheim Literarisches Schreiben
       studiert hat, ganz bestimmt nicht.
       
       „Greenwash, Inc.“ krankt nicht in den Details, sondern an einem
       grundsätzlichen Konstruktionsfehler: Weil Flender, entgegen aller
       Behauptungen des Klappentextes, seinem Protagonisten keinerlei Entwicklung
       zukommen lässt, muss er diesen eindimensionalen Antihelden in einem
       Kraftakt der Kulissenschieberei von einem Schauplatz zum nächsten schicken,
       wo Hessel dann seine Flachheit aufs Neue unter Beweis stellen muss. Das
       geht rund 200 Seiten ganz gut und auch durchaus unterhaltsam und rasant;
       danach fällt dieser Roman in sich zusammen.
       
       Zunächst also Brasilien, wo Hessel und sein Partner eine Schauspielerin
       engagieren, die den Einsatz eines Agenturkunden gegen die Brandrodung des
       Regenwaldes als Erfolgsmodell personifizieren soll. Weiter geht es in
       Indien, Stichwort: Billigkleiderherstellung, menschenwürdige
       Arbeitsbedingungen; schließlich nach Afrika, wo der Elektroschrott der
       Ersten Welt ganze Landschaftsgebiete verseucht hat. Überall sind Hessel &
       Co. im Namen des Mitgefühls und der Nachhaltigkeit unterwegs, vor allem
       aber, um im Namen ihrer Klienten beruhigende Bilder zu produzieren (und die
       Konkurrenz moralisch schlecht aussehen zu lassen).
       
       Die Strukturen der Agentur selbst sind undurchschaubar, ihre Mechanismen so
       skrupellos und kalt wie jeder einzelne ihrer Akteure. Auch das ist die
       moderne Arbeitswelt. Das sind die Passagen, in denen Flender sehr nahe an
       der Gegenwart ist. In einer Kette vielfacher Täuschungen und
       Intrigengefechte ist Hessel am Ende scheinbar ein Bauernopfer – doch „auch
       wenn eine Blase platzt, es bilden sich immer wieder neue“, so der letzte
       Satz. Das ist als Quintessenz eines 400-Seiten-Romans nicht weniger banal
       als dessen Hauptfigur.
       
       24 Aug 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christoph Schröder
       
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