# taz.de -- Abstimmung über Arbeitsniederlegung: Ein Kreuz für den Streik
       
       > Pflegekräfte der Charité entscheiden seit Dienstag über einen
       > Arbeitskampf. Es geht um mehr Personal.
       
 (IMG) Bild: Nach gescheiterten Tarifverhandlungen legten die MitarbeiterInnen der Charité die Arbeit im März 2014 nieder.
       
       „Wir haben Überlastungsanzeigen geschrieben, Gespräche geführt - jahrelang
       ging das so. Es hat nichts gebracht“, sagt die Krankenschwester, die gerade
       ihren Zettel in die Wahlurne geworfen hat. „Das hier ist jetzt die letzte
       Möglichkeit.“ Seit 36 Jahren arbeitet sie in der
       gynäkologisch-onkologischen Ambulanz der Berliner Charité.
       
       Doch so schlimm wie in den letzten fünf Jahren sei die Arbeitsbelastung
       noch nie gewesen. „Es ist unmöglich, die Arbeit so zu machen, wie ich es
       für richtig halte“, sagt sie. Deshalb hat sie auf dem Zettel, ihr Kreuz bei
       „Streik“ gemacht: „Für mich die einzige Chance, dass mehr Personal
       eingestellt wird.“
       
       Es ist Dienstagmorgen, noch hält sich der Betrieb am Wahltisch im Eingang
       der Glashalle, dem zentralen Zugang zur Mensa des Virchow-Campus Wedding,
       in Grenzen. Alle zwei bis drei Minuten kommt jemand vorbei, um seine Stimme
       abzugeben.
       
       Den großen Andrang erwarte man um 14 und 22 Uhr, wenn die Früh- und die
       Spätschicht enden, sagt einer der Wahlhelfer. Seit Ende April befinden sich
       Berlins Uniklinikum und die Gewerkschaft Verdi im Tarifkonflikt. Das
       Ungewöhnliche: Es geht dabei nicht um mehr Geld, sondern um mehr Personal
       in der Krankenpflege.
       
       ## 119 Überstunden bei einer zwei-Drittel-Stelle
       
       Unbesetzte Stellen, unzählige Überstunden, keine Pausen- die Klagen
       derjenigen, die ihre Stimme abgegeben haben, ähneln sich: „Ich haben
       momentan 119 Überstunden und das bei einer zwei-Drittel-Stelle“, sagt eine
       Krankenschwester, die auf einer Kinderstation arbeitet. Ein Pfleger
       kritisiert, dass die Charité vermehrt auf Leasingkräfte setzt, anstatt
       festes Personal einzustellen. Beide haben für Streik gestimmt.
       
       Bis zum 5. Juni sind alle in der Dienstleistungsgewerkschaft organisierten
       Charité-Beschäftigten aufgerufen, sich an der Urabstimmung über einen
       unbefristetem Arbeitskampf für mehr Personal zu beteiligen.
       
       Nach Gewerkschaftsangaben müssen sich 75 Prozent der Verdi-Mitglieder für
       die Arbeitsniederlegung aussprechen. Niemand hier an der Wahlurne zweifelt
       an diesem Morgen, dass das Quorum erreicht wird. „Der Leidensdruck auf
       allen Stationen ist enorm“, sagt ein Pfleger. „Die Leute haben es einfach
       satt.“
       
       Ende April hatte es an der Charité bereits einen zweitägigen Warnstreik
       gegeben. 500 Schwestern und Pfleger beteiligten sich, zur
       Abschlusskundgebung kamen 1.500 Leute. Die Klinikleitung musste rund 400
       Behandlungen absagen, Verdi schätzt die Kosten auf eine Million Euro pro
       Streiktag.
       
       ## Nicht mehr als fünf Patienten pro Pflegekraft
       
       Charité-Vorstandschef Karl Max Einhäupl hatte in der vergangenen Woche
       gegenüber der Morgenpost eingeräumt, Pflegekräfte würden „oft am Limit
       arbeiten“. Die Charité könne jedoch „kein Geld ausgeben, das wir von den
       Krankenkassen nicht erhalten“.
       
       Seit 2013 fordert die Gewerkschaft an der Charité einen
       „Mindestbesetzungstarifvertrag“: Eine Pflegekraft soll auf einer
       Normalstation nicht mehr als fünf Patienten betreuen, auf Intensivstationen
       zwei. Nachts soll niemand mehr allein auf einer Station eingesetzt werden.
       
       Erst vor einem Jahr hatten sich beide Seite auf eine Art Pilotversuch
       geeinigt: 80 Neueinstellungen in besonders überlasteten Bereichen sollten
       kurzfristig zu einer Entspannung der Situation beitragen. Eine paritätisch
       besetzte Kommission sollte den Einsatz dieser zusätzlichen Kräfte steuern.
       Das Projekt wird von Verdi mittlerweile als gescheitert betrachtet: Die
       vermeintlich zusätzlichen Einstellungen seien in der allgemeinen
       Personalfluktuation untergegangen und hätten keine Entlastung gebracht.
       
       Die Leitung der Charité hatte zuletzt angeboten, eine Mindestbesetzung
       lediglich auf den Intensivstationen zu vereinbaren und die sogenannten
       „Nachtdienstverbünde“ personell aufzustocken. Nach Charité-Angaben soll
       dadurch nachts ein rechnerischer Personalschlüssel von etwa 1,5
       Pflegekräften je Station erreicht werden.
       
       Der Gewerkschaft reicht das nicht aus: „Alle anderen Bereiche sollten leer
       ausgehen“, heißt es im Aufruf zur Urabstimmung. Deshalb seien jetzt die
       Mitglieder gefragt, ob sie bereit sind, „für unsere gemeinsamen Forderungen
       bis auf weiteres die Arbeit niederzulegen“.
       
       27 May 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jörn Boewe
 (DIR) Johannes Schulten
       
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