# taz.de -- Gärtner-Tipps für Hauptstädter: Möhren im Wind
       
       > Urbanes Gärtnern - halb Trend, halb Hype. Die Soziologin und
       > Gartenbegeisterte Elisabeth Meyer-Renschhausen hat reale Erfahrung damit
       > und gibt sie in Buchform weiter.
       
 (IMG) Bild: Das Schönste am Gärtnern sind dann doch - die Pausen.
       
       Möhren sind empfindliche Gewächse, Landwirtinnen und erfahrene Hobbygärtner
       wissen das. Das Wurzelgemüse leidet bisweilen unter der sogenannten
       Karottenfliege, weshalb windige Lagen von Vorteil sind - da werden die
       Viecher nämlich weggepustet. Typische Anfängerfehler sind dagegen, die
       Pflanzen zu früh aus dem Boden zu ziehen oder aber zu dicht stehen zu
       lassen. Merke: Gezieltes Ausdünnen des Beetes garantiert dicke Rüben.
       
       Solcherlei lernt man bei der Lektüre des kleinen Ratgebers "Die
       Hauptstadtgärtner", mit dem Elisabeth Meyer-Renschhausen, Berliner
       Soziologin und Gartenbegeisterte, eine "Anleitung zum Urban Gardening"
       geben will. Dabei hängen ihre Tipps zum Anbau von Kohlrabi, Salat, Bohnen,
       Auberginen oder eben Möhren nicht, nun ja, in der Luft: Sie wurzeln in der
       langjährigen Erfahrung der Autorin mit dem Anbau auf öffentlichen Flächen,
       insbesondere dem Tempelhofer Feld.
       
       Hier, in direkter Nachbarschaft zum Neuköllner Schillerkiez, wachsen all
       diese leckeren Dinge im Gemeinschaftsgarten des Vereins Allmende-Kontor.
       Allerdings nicht im potenziell belasteten Boden selbst, sondern in
       Hochbeeten, die die NutzerInnen aus alten Brettern zusammengezimmert und
       mit Bioerde gefüllt haben. Im Jahr 2011 wurde zum ersten Mal gesät,
       gepflanzt und geerntet. Meyer-Renschhausen, die auch die "Interkulturellen
       Gärten" im Gleisdreick-Park miterfunden hat, war von Beginn an dabei.
       
       ## Am Anfang waren Samenbomben
       
       Deshalb beschränkt sie sich in ihrem Buch auch nicht auf die Praxistipps
       (wobei von der Schichtung des Substrats in den Kastenbeeten über die Wahl
       der passenden Samen bis hin zur Pflege der Gemüse-, Salat-, Kräuter- und
       Getreidesorten nichts Wesentliches fehlt). Sie schildert auch die
       Entstehung des Allmende-Kontors, das aus einer Kooperation der
       "Arbeitsgruppe Kleinstlandwirtschaft" mit der Initiative "Squat Tempelhof"
       hervorging. Angefangen hat das schon 2009, mit Samenbomben, die über den
       damals noch lückenlosen Zaun flogen.
       
       Was folgte, als der Garten endlich Gestalt annahm, bringt
       Meyer-Renschhausen immer noch ins Schwärmen: Von einer "Art neuer
       Verheißung" schreibt sie und lädt den aktualisierten Allmende-Gedanken
       reichlich utopisch auf: "Wie können wir uns gesund ernähren, ohne unsere
       Lebensgrundlagen zu zerstören? Rote Bete vom Tempelhofer Feld statt
       Erdbeeren aus der Ferne - das könnte die Lösung sein."
       
       Nüchtern betrachtet dürfte sich das Gärtnern auf der Weite des einstigen
       Flughafens weniger zur Selbstversorgung der Millionenstadt eignen als zum
       Einüben kollektiver Praktiken. Dass Konflikte nicht ausbleiben, wenn sich
       hunderte Naturbegeisterte auf einem knappen Hektar austoben, schildert die
       Autorin nämlich auch - ebenso wie die Formen, die zur Bewältigung dieser
       Konflikte immer wieder neu gefunden werden müssen. Eine "unglaubliche
       Portion Zeit, Geld und Durchhaltevermögen" seien nötig, um einen Community
       Garden zu einer funktionierenden Gemeinschaft zu machen.
       
       Aber Urban Gardening kann man ja auch mit ein paar Freunden in der
       Laubenkolonie betreiben. Insofern lohnt die Lektüre des hübsch gemachten
       Büchleins auch für Menschen ohne Street Credibility. Und wer seine Pflanzen
       nicht mit der Allgemeinheit teilt, hat zwar weniger Gesellschaft, muss aber
       auch nicht um den Lohn seiner Arbeit fürchten. So wie die Früchte der
       beiden Pfirsichbäumchen, die im Gemeinschaftsgarten des Allmende-Kontors
       gedeihen (obwohl sie im Gegensatz zu Möhren keinen Wind mögen). Das leckere
       Obst, weiß Meyer-Renschhausens aus Erfahrung, ist "grundsätzlich immer"
       verschwunden, bevor es zu Ende reifen kann.
       
       21 May 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Claudius Prößer
       
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