# taz.de -- Kolumne Linkspartei politischer Streik: Streik gegen Akw-Laufzeiten?
       
       > Rhetorische Altlast oder Markenkern der Linkspartei: Sag, Ernst – wie
       > hältst du es mit dem politischen Streik?
       
 (IMG) Bild: Bis zu zwei Drittel der Delegierten könnten gegen die neue Führung stimmen.
       
       Die Partei Die Linke will - der politische Betrachter liest es mit
       Zustimmung - endlich ihre Programmdebatte führen. Dabei sollte sie
       unbedingt ein Problem klären, von dem nicht klar ist, ob es ein ernsthaftes
       Anliegen oder lediglich eine rhetorische Altlast darstellt: Es geht um die
       angeblich zum Markenkern der Partei gehörende Forderung nach der
       Möglichkeit politischer Streiks. Eben weil dieses Thema
       verfassungstheoretisch und politikwissenschaftlich von großem Interesse
       ist, seien daher einige Fragen gestellt, die insbesondere der gesetzte
       Westvorsitzende, der Gewerkschafter Klaus Ernst, zu beantworten hätte.
       
       Was ist überhaupt - im Unterschied zu einem Streik im Rahmen des
       Tarifrechts - ein "politischer" Streik? Sollte darunter etwa ein
       Generalstreik für den Fall gemeint sein, dass die Bundeswehr gegen die
       Bundesregierung putscht und damit die verfassungsmäßige Ordnung außer Kraft
       setzt, müsste man nicht weiter diskutieren: Ein solcher Streik wäre völlig
       legitim und sogar legal.
       
       Schließt man diesen an den Haaren herbeigezogenen, spektakulären Fall aber
       aus, so könnte man sich jedoch auch vorstellen, dass zum Beispiel
       gewerkschaftlich organisierte, ökologisch sensibilisierte Angehörige des
       öffentlichen Dienstes gegen vom Bundestag beschlossene Gesetze streiken,
       weil sie gegen die Verlängerung der Laufzeiten bei Atomkraftwerken sind.
       Für diesen Fall wären die Verhandlungspartner wohl die jeweilige
       Gewerkschaftsführung hier und die Bundesregierung dort. Wären vor Beginn
       eines solchen Streiks entsprechende Regularien einzuhalten? Was wäre mit
       Urabstimmung, Friedenspflicht und Schlichtung? Im Tarifrecht steht
       bekanntermaßen das Postulat der "Waffengleichheit". Würde im politischen
       Streik auch die Möglichkeit der politischen Aussperrung legitimiert? Gibt
       es beim politischen Streik nichts zu verhandeln?
       
       Oder liegt man gar völlig falsch, so man das Recht des politischen Streiks
       analog zum Tarifrecht modelliert? Oder wenn man überhaupt daran denkt, zu
       verrechtlichen, was eine Bekundung politischen Unmuts ist und wie der
       zivile Ungehorsam seine Grenzen nur beim Versammlungs- und Strafrecht
       findet? Wird die Partei Die Linke, die ja eine verfassungstreue Partei ist,
       in ihr Programm schreiben: "Wir unterstützen die Möglichkeit politischer
       Streiks. Dazu werden wir eine Grundgesetzänderung auf den Weg bringen"?
       
       Auch weitere verfassungspolitische Fragen wären zu klären: Denn die nach
       wie vor geltende repräsentative Demokratie mit ihren vom ganzen Volk
       gewählten, nur ihrem Gewissen verantwortlichen Abgeordneten würde durch
       derartige politische Streiks, die ja nur von einem Teil des Volkes getragen
       werden, aufgehoben; der legale und legitime Gesetzgeber, der deutsche
       Bundestag, unter Druck gesetzt - die freie Ausübung des Mandats erheblich
       eingeschränkt. Welche Form von Demokratie wünscht, wer politische Streiks
       fordert?
       
       Etwa die des anarchosyndikalistischen Theoretikers Georges Sorel? Sorel,
       ein Feind der parlamentarischen Demokratie, beschwor das Mittel des
       Generalstreiks und war sich durchaus dessen bewusst, dass es sich dabei nur
       um einen Mythos handelt, um eine große, imaginäre Erzählung, die, wie er
       hoffte, unterdrückte emotionale, revolutionäre Kräfte freisetzt. Geht es
       der Linkspartei darum?
       
       Das sind Fragen, die nicht an jenen Teil der Partei Die Linke zu stellen
       sind, der sich aus der PDS rekrutiert - und sei es auch nur deshalb, weil
       der Erfahrungsraum der DDR im Hinblick auf Streiks (sieht man vom 17. Juni
       1953 ab) doch sehr eingeschränkt war. Nein, es sind dies Fragen, die
       durchaus ernsthaft jenem Teil der Partei gelten, der aus den Gewerkschaften
       und der WASG kommt. Schließlich dürfte es nur wenige politische Kräfte
       geben, die mit den Feinheiten des Arbeits- und des Streikrechts so vertraut
       sind wie sie.
       
       Man sollte dies nicht als einen Streit um des Kaisers Bart abtun.
       Schließlich geht es bei dieser symbolischen Debatte um sehr viel. Am
       programmatischen Status des politischen Streiks wird sich entscheiden, ob
       Die Linke den Weg einer ernsthaften, regierungsfähigen und
       verantwortungsbereiten kleineren Volkspartei gehen oder sich für die
       Sackgasse eines fruchtlosen Linkspopulismus entscheiden will.
       
       Oder geht es beim politischen Streik um bloße demagogische Maulhuberei zum
       Zweck der öffentlichen Selbstberauschung? Der gesetzte Westvorsitzende der
       Partei möge sich doch vor seiner Wahl im Mai zum Thema äußern: Herr Ernst,
       bitte erklären Sie sich!
       
       2 Feb 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Micha Brumlik
       
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