# taz.de -- 100 Tage Opposition: Gegner im Wartestand
       
       > Schwarz-Gelb macht ihnen leicht. Doch SPD, Grüne und Linke finden keinen
       > Kurs – erst recht keinen gemeinsamen. Die SPD hadert bei Hartz-IV und
       > Afghanistan.
       
 (IMG) Bild: Schatten der Vergangenheit – vor allem die SPD muss aufräumen.
       
       Immerhin, der SPD-Abgeordnete Hans-Peter Bartels ist mit seiner Fraktion
       zufrieden. "Wir treiben die Regierung vor uns her", sagt er. Als Beispiele
       für die angeblich so wirkungsvolle Oppositionsarbeit nennt Bartels, dass
       Kanzlerin Angela Merkel die Steuer-CD aus der Schweiz kaufen will. Und dass
       FDP-Vizechef Andreas Pinkwart jetzt gegen die reduzierte Hotelsteuer ist,
       die die FDP selbst durchgesetzt hat.
       
       Nüchtern betrachtet sind die Erfolge, die sich die Opposition gutschreiben
       kann, äußerst begrenzt. Nach 100 Tagen Schwarz-Gelb haben es SPD,
       Linkspartei und Grüne mit einer kuriosen Lage zu tun. Die Regierung ist
       ihre eigene Opposition - bei Steuersenkung und Kopfpauschale kämpfen FDP
       und CSU erbittert gegeneinander. Mit glänzenden Auftritten von SPD, Grünen
       oder Linken hat dies nichts zu tun.
       
       Die Gründe, warum die Opposition blass wirkt, sind aber auch hausgemacht.
       Die Linkspartei beschäftigt sich vor allem mit sich selbst. Im Bundestag
       hat sie mit Oskar Lafontaine ihren besten Rhetoriker verloren. Manche
       Linken hoffen, dass der designierte neue Parteichef Klaus Ernst Lafontaines
       Job macht. Nach der Wahl in Nordrhein-Westfalen, so das Kalkül, werden
       Sozialthemen die Agenda bestimmen. Da könnte Ernsts immer etwas überhitzte
       Gewerkschaftsrhetorik funktionieren.
       
       Die NRW-Wahl im Mai wird auch für die Grünen die entscheidende
       Weichenstellung. Viele der neueren Grünen-Abgeordneten wollen - versammelt
       hinter Fraktionschef Jürgen Trittin - an einer rot-grün-roten Alternative
       zu Schwarz-Gelb arbeiten. Die Vorlage dazu werden ihnen Merkel und ihr
       Vizekanzler Guido Westerwelle spätestens dann liefern, wenn Sozialkürzungen
       auf die Tagesordnung rücken, meinen sie.
       
       Sollte es aber in NRW eine schwarz-grüne Regierung geben, wird eine solche
       Oppositionsarbeit mit Sozialschwerpunkt für die Grünen mindestens
       schwierig. Die hinter Co-Fraktionschefin Renate Künast versammelten Realos
       haben dazu sowieso keine Lust. Sie verweisen auf die wunderbaren
       Umfragewerte, die sie dem "Kurs der grünen Eigenständigkeit" zuschreiben.
       
       Das Ergebnis dieser neuen Variante des alten grünen Flügelstreits ist, dass
       sowohl Trittin als auch Künast im Bundestag bisweilen die scharfkantigsten
       Formulierungen schwingen - oft aber gar nicht klar wird, wofür die Grünen
       eigentlich sind. So kritisierte Künast zuletzt vollmundig Merkels neue
       Afghanistanstrategie. Doch zeichnet sich bereits ab, dass demnächst sogar
       mehr Grüne dem Mandat zustimmen werden als bislang.
       
       In der Afghanistanfrage zeigt sich auch die ganze Misere der SPD. Nachdem
       Merkel am Mittwoch vergangener Woche im Bundestag ihre Afghanistanstrategie
       erklärt hatte, eilte Sigmar Gabriel schwungvoll ans Rednerpult - nicht
       Frank-Walter Steinmeier, der Exaußenminister und Fraktionschef. Davor, so
       ein SPD-Mann, hatte es zwischen beiden "heftigen Abstimmungsbedarf" um ein
       konkretes Abzugsdatum gegeben. Die SPD kann als Oppositionspartei nicht
       einfach Ja und Amen zu Merkels Plänen sagen. Aber sie kann auch nicht
       rebellieren. Denn dies ist noch immer ihr Einsatz: Ein SPD-Kanzler hat die
       Bundeswehr an den Hindukusch geschickt.
       
       Gabriel glückte dieser Spagat im Bundestag recht gut. Er wehrte sich heftig
       dagegen, UN-mandatierte Interventionen "Krieg" zu nennen, und versuchte es
       mit einer dialektischen Figur: Um den weiteren Einsatz der Bundeswehr
       rechtfertigen zu können, müsse man 2011 mit dem Abzug beginnen. Also:
       dableiben, um abzuziehen - und abziehen, um dazubleiben.
       
       Doch dann überzog Gabriel den Bogen. Er warf der Union vor, 2001 gegen den
       Afghanistan-Einsatz gestimmt zu haben. Das ist höchstens halb richtig. Denn
       die Union hat 2001 für den Isaf-Einsatz gestimmt und sich bei der
       Abstimmung über das Mandat für den Antiterrorkampf "Enduring Freedom"
       enthalten. Um "Enduring Freedom" geht es aber schon lange nicht mehr. Diese
       Volte nährte das Misstrauen gegen Gabriel, der auch in der SPD lange im Ruf
       stand, ebenso talentiert wie unberechenbar zu sein.
       
       Gabriel, so Hans-Peter Bartels über seinen Parteichef, sei ein
       "Kick-and-rush-Politiker". Beim Kick-and-rush schießt man den Fußball hoch
       und weit nach vorne. Der Vorteil: Der Gegner gerät unter Druck. Der
       Nachteil: Man fängt sich schnell einen Konter.
       
       Hinter der Frage, ob Gabriel, der neue Chef, oder Steinmeier, der
       Kanzlerkandidat von gestern, in der SPD das Sagen hat, steht mehr als das
       übliche Machtgerangel. Es geht darum, ob die SPD sich, wie Steinmeier es
       will, an die Agenda-Politik fesselt oder, wie Gabriel es will, diese Stück
       für Stück entsorgt. Weit schärfer als bei den Grünen muss die SPD sich
       fragen: Will sie ihre Altlasten loswerden, und wenn ja bis wann? Eilig hat
       sie es dabei jedenfalls nicht. Der nächste Parteitag ist erst im September.
       Und manche Genossen meinen, dass die SPD die Revision von Hartz IV und der
       Rente mit 67 noch bis 2012 vor sich herschieben kann.
       
       Klar ist bislang, dass Rot-Rot-Grün auch in der Opposition noch viel
       trennt. Der Linksparteistratege Dietmar Bartsch sieht auf absehbare Zeit
       keine "Ablösungsperspektive" der Merkel-Regierung durch Rot-Rot-Grün. Auch
       linke Grüne gruselt es vor Gewerkschaftspatriarchen wie Ernst - ebenso wie
       vor den linkslinken Theoretikerinnen wie Sahra Wagenknecht.
       
       Bei den rot-rot-grünen Debatten-Zirkeln, die sich zuletzt gründeten, fällt
       auf: Es sind nur linke Sozialdemokraten dabei - Netzwerker und Seeheimer
       fehlen. In den Bereich des Denkbaren rückt Rot-Rot-Grün erst, wenn in der
       SPD auch der Steinmeier-Flügel an solchen Debatten teilnimmt. Für die
       Grünen müssten mehr als nur zwei bis drei gemäßigte Jungrealos dabei sein.
       Und bei der Linkspartei dürften nur noch ein paar "Verrat!" rufen.
       
       4 Feb 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) U. Winkelmann
 (DIR) S. Reinecke
       
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