# taz.de -- Bruce Sterling auf der Transmediale: Die Erde stagniert im Notstand
       
       > Ist Atemporalität unsere Gegenwart? Auf der Transmediale blickte der
       > US-amerikanische Sci-Fi-Autor Bruce Sterling skeptisch in die Zukunft.
       
 (IMG) Bild: Laser-Projektion zur Transmediale in Berlin.
       
       BERLIN taz | Hoffnung, erfährt man in Spinozas "Ethik", ist "eine
       unbeständige Freude, die der Idee einer zukünftigen oder vergangenen Sache
       entsprungen ist, über deren Ausgang wir in bestimmter Hinsicht im
       Ungewissen sind". Da das Eintreffen der gewünschten Sache unsicher bleibt,
       solange man hofft, gibt es demnach keine Hoffnung ohne Furcht. Wer auf
       etwas hofft, fürchtet immer auch, dass es ganz anders kommen könnte. Für
       Spinoza ist Hoffnung daher ein Ausdruck von Unfreiheit.
       
       Hoffnung, so muss man ergänzen, erfordert zwangsläufig einen
       Zukunftshorizont, auf den man seine Erwartungen richten kann. Was aber,
       wenn die Zukunft überhaupt keine Rolle mehr spielt? "Wir nähern uns einer
       Zeit, in der unsere Zukunftsperspektive zunehmend bedeutungslos wird",
       prognostizierte der Science-Fiction-Autor Bruce Sterling am Samstag auf
       einem Panel des elften Jahrgangs der Transmediale im Berliner Haus der
       Kulturen der Welt. "Atemporality - a Cultural Speed Control" lautete die
       Vortragsrunde, zu der Cyberpunk-Begründer Sterling als Keynote-Speaker
       geladen war. Diese Runde war als theoretisches Kernstück des Festivals
       gedacht, in dem das diesjährige Motto "Futurity now!" - "Zukünftigkeit
       jetzt!" zu sich finden sollte.
       
       Ob Sterling, der auch als Professor an der privaten European Graduate
       School in Saas-Fee lehrt, bei seinen Ausführungen an Spinoza dachte, ist
       ungewiss. "Ich hasse es, auf Philosophie zurückzugreifen", gestand er
       "schließlich bin ich Schriftsteller. Aber ich vermute, wir haben keine
       andere Wahl." Die von Sterling zunächst vorgebrachte Klage, dass die
       Zukunft auch nicht mehr das ist, was sie einmal war, bekommt man derzeit
       allenthalben zu hören. Ob in Politik, Wirtschaft oder auf
       gesellschaftlicher Ebene, die Zukunft hat sich als Fortschrittsperspektive
       allmählich verabschiedet. Für Sterling ist dies kein Grund zur Freude. Um
       uns herum entsteht immer größeres Chaos, Staaten fallen auseinander, der
       Kopenhagen-Gipfel ist auch gescheitert, und Wirtschaftskrisen gehören
       ohnehin zum Alltag. Wir leben, so Sterling, in einem Jahrzehnt der
       Notfallrettung.
       
       Ein sozialer Aspekt dieser Entwicklung zeigt sich im Web 2.0. Wie sich dies
       auf intellektuelle Prozesse auswirkt, illustrierte Sterling mit einer
       Anekdote des Physikers Richard Feynman. Dessen Strategie zur Lösung
       theoretischer Fragen lautete: "1. Schreib das Problem auf. 2. Denk ganz
       scharf nach. 3. Schreib die Lösung auf." Dieser akademische Scherz hat für
       Sterling eine weitere, "atemporale" Pointe. Angenommen, Feynman lebte in
       einem sozialen Netzwerk. Dann würde er im ersten Schritt nicht mehr das
       Problem auf Papier festhalten, sondern in einer Suchmaschine nachschauen,
       ob schon jemand anderes das Problem gelöst hat. Anschließend könnte er es
       bloggen, twittern, ein Video ins Netz stellen und dergleichen mehr. Er käme
       im zweiten Schritt zum Ergebnis, dass die Maschinen das Problem irrelevant
       gemacht haben.
       
       Verzweifeln wollte Sterling angesichts seines Netzkulturpessimismus dennoch
       nicht. Vielmehr brauche man Atemporalität wie den Agnostizismus, als eine
       Art skeptischer Haltung gegenüber der Geschichte. Überdies eröffne
       Atemporalität neue künstlerische Möglichkeiten wie in der Generative Art
       der Computerkunst. Ähnlich wie in Spinozas Hoffnungskritik riet Sterling
       dazu, die Ehrfurcht gegenüber der Zukunft ebenso abzulegen wie die
       Verehrung der Geschichte. Beide müssten stattdessen aus derselben
       nüchternen wissenschaftlichen Perspektive betrachtet werden.
       
       Sterlings praktische Empfehlungen hingegen kamen leicht absurd daher. So
       schwärmte er von der Idee persönlicher Museen - man könne zum Beispiel die
       eigenen vier Wände nach dem Vorbild früherer Perioden gestalten. Wer sich
       für Weltraumflüge interessiere, solle sich einen Astronautenanzug
       überziehen. Wenn er nur wenig später den Slogan "Zukünftigkeit jetzt!" mit
       der Forderung "Lass mich erwachsen werden" übersetzte, musste man sich
       ernsthaft fragen, welche Form des Erwachsenseins Sterling da genau
       vorschwebte. Immerhin machte er seine Vorstellung von Atemporalität nicht
       über die nahe Zukunft hinaus geltend. Sie sei lediglich eine
       Geschichtsphilosophie mit eingebautem Verfallsdatum. Mögen irgendwann
       andere historische Konstellationen mit ihren kontigenten Bedingungen
       kommen. Bis dahin sei sie jedenfalls da, die Zukünftigkeit.
       
       8 Feb 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tim Caspar Boehme
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Fleisch
 (DIR) Science-Fiction
       
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