# taz.de -- Debatte um Google Street View: Muss die ganze Welt sichtbar sein?
       
       > Die menschliche Faszination für Panoramabilder ist älter als der erste
       > Computer. Die Debatte um den Google-Dienst Street View braucht längere
       > Belichtungszeiten.
       
 (IMG) Bild: Juristisch sieht es so aus, dass Google wohl weiterhin seine Bilder online stellen darf.
       
       Der Widerstand gegen den Google-Dienst Street View, der systematisch die
       Welt fotografisch erfasst, artikuliert sich längst nicht mehr allein in
       Expertenrunden über Datenschutz. Kürzlich wurden in Oldenburg an einem
       geparkten Street-View-Auto die Kabel der neun Kameras durchgetrennt, und in
       Österreich bewaffnete sich ein Rentner mit einer Spitzhacke, um sich gegen
       die Aufnahme seines Gartens zu wehren.
       
       Google hat einen schweren Stand in Deutschland. Das Unternehmen aus
       Mountain View, Kalifornien, begann 2007, systematisch amerikanische Städte
       zu fotografieren. Mittlerweile sind die 360-Grad-Panoramaaufnahmen für
       Nordamerika, Kanada, Australien, Japan, Mexiko-Stadt und weite Teile
       Europas verfügbar. Beim Sammeln der Daten geht Google nach derselben
       Methode vor wie bereits bei der Digitalisierung von Büchern: erst mal
       machen und sich dann um die Rechtslage kümmern.
       
       Juristisch sieht es so aus, dass Google weiterhin fotografieren und die
       Bilder unter bestimmten Voraussetzungen online stellen darf. Die Klage der
       Besitzerin eines Kölner Wohnhauses gegen die Veröffentlichung der Bilder
       ihres Objekts wurde vom Landgericht Köln mit der Begründung abgelehnt, man
       könne auf dem virtuellen Streifzug durch die Straße weniger Informationen
       einholen als während eines Spaziergangs durch die Gegend.
       
       Auch gegen den Vorwurf des Verstoßes gegen das allgemeine
       Persönlichkeitsrecht ist das Unternehmen theoretisch abgesichert. Durch
       Unkenntlichmachung abgebildeter Personen mittels Verpixelung der Gesichter
       erfüllt es die Kriterien des Gesetzes - fast. Doch ist eine Person nur an
       ihrem Gesicht identifizierbar? Sind nicht auch der Kontext, die Kleidung,
       Accessoires oder auch das Auto, in dem man sitzt, kennzeichnend? Diese
       Lücke übergeht Google souverän.
       
       Für die um ihre Privatsphäre besonders besorgten Deutschen hat der Konzern
       eine Erklärung ins Netz gestellt. Darin ist eine ziemlich schwache
       Argumentation für die uneingeschränkte Verbreitung der Fotos zu finden:
       "Straßenbilder mit Passanten werden zulässigerweise angefertigt und
       veröffentlicht, seitdem es die Fotografie gibt, und sind heute
       allgegenwärtig in Zeitungen, dem Fernsehen und dem Internet." Jedem, der
       professionell Fotos macht und veröffentlicht, dürfte jedoch klar sein, was
       erlaubt ist und unter welchen Voraussetzungen er juristisch belangt werden
       kann.
       
       In all den Debatten um Datenschutz wird gern vergessen, dass städtische
       Panoramadarstellungen nichts Neues sind und sich in steter medialer
       Transformation befinden. Und die Faszination der Menschen für die mediale
       Abbildung der Welt als Umschau oder Allschau, was das Wort Panorama
       übersetzt bedeutet, ist tief verwurzelt. Nach der Installation des ersten
       gemalten Panoramas in einem eigens dafür errichteten Gebäude 1793 in London
       avancierte diese Art der Inszenierung des natürlichen Blicks gegen
       Eintrittsgeld schnell zum ersten Massenmedium.
       
       Nach der Erfindung der Fotografie und des Films wurden die mittlerweile vom
       Publikum nicht mehr stark frequentierten, gemalten Panoramen Anfang des 19.
       Jahrhunderts in Panoramen umgewandelt, in denen Fotografien und Filme
       gezeigt wurden. Die sehr kostenaufwendigen Panoramabauten wurden so
       kurzfristig wieder attraktiv gemacht. Längerfristig konnten fotografische
       und kinematografische Panoramen mit projizierten Bildern jedoch nicht an
       den Erfolg ihrer gemalten Vorläufer anknüpfen.
       
       Der Film verdrängte Anfang des 20. Jahrhunderts die Panoramabauten als
       massenmediale Attraktion, wobei in Panoramafilmen diese ältere Form der
       Umgebungsdarstellung weiter existierte. Nachdem die Kamera Anfang des 20.
       Jahrhunderts in Bewegung versetzt worden war, entstand eine Reihe von
       Panoramafilmen; Urheber waren die Brüder Lumière, Edison und die American
       Mutoscope and Biograph Company. Interessant ist auch die Betrachtung der
       Produktionsweise der Filme.
       
       Wie im Falle von Street View wurde die Kamera an einem Vehikel angebracht -
       an einem Pferdegespann, einem Automobil oder gar einem Boot. Filme, die
       ausschließlich aus handlungsfreien, panoramatischen Darstellungen - meist
       urbaner Räume - bestanden, traten schon bald in den Hintergrund, blieben
       als Panoramaaufnahmen jedoch ein wiederkehrendes Motiv in Spielfilmen. In
       dieser Zeit kam auch der Schwenk auf, englisch Pan - er wurde ein fester
       Bestandteil der Kameratechnik.
       
       Mit dem Aufkommen des Internets erlebte das Panorama eine Renaissance, und
       Panoramaaufnahmen sind häufig auf touristischen Webangeboten und im Bereich
       der Produktwerbung zu finden. Auch im Bereich der Datenvisualisierung wird
       mit Rundpanoramen experimentiert, wie im Zentrum für Kunst- und
       Medientechnologie in Karlsruhe. Der dortige Panoramascreen wurde im Rahmen
       der Forschung an immersiven Umgebungen entwickelt und bietet die
       Möglichkeit für künstlerische und wissenschaftliche 360-Grad-Projektionen.
       
       Google versucht in seiner Erklärung seine neue Technologie mit einem alten
       Ausdrucksmittel zu vergleichen, wenn es sich auf die Fotografie beruft.
       Diese Referenz ist so lange stimmig, wie es darum geht, dass in Panoramen
       immer auch Menschen abgebildet wurden. Es muss jedoch ein entscheidender
       Unterschied zwischen dem Panorama als Kunstwerk und Street View gemacht
       werden.
       
       Während es sich bei Ersterem um ein einzelnes Werk handelt, das einem
       relativ kleinen, zahlenden Publikum meist nur für kurze Zeit zugänglich
       war, hat es sich Google zur Aufgabe gemacht, aus der ganzen Welt ein
       Panorama zu machen, das rund um die Uhr kostenlos und für jeden, der über
       einen Internetzugang verfügt, abrufbar ist. Daher ist es wohl kaum
       verwunderlich, dass aus der Zeit der frühen Panoramafilme keine Proteste
       wie jetzt gegen Google Street View bekannt sind.
       
       Bei aller Dringlichkeit muss man zu dem Schluss kommen, dass die Art und
       Weise, in der die Diskussion öffentlich geführt wird, häufig jeder
       fachlichen Grundlage entbehrt. Allzu oft geraten völlig unterschiedliche
       Themenkomplexe wie die Wirkung von sozialen Netzwerken, die Veränderung der
       Kommunikation durch Nachrichtendienste wie Twitter und eben die Bedrohung
       der Privatsphäre durch Google Street View durcheinander.
       
       So diskutieren beispielsweise in einer Sendung von Maybrit Illner die
       Bundesministerin für Verbraucherschutz Ilse Aigner (CSU),
       FAZ-Feuilletonchef Frank Schirrmacher, Kay Oberbeck von Google und
       Constanze Kurz vom Chaos Computerclub unter dem wirren Titel "Ausgespäht
       und abgezockt im Internet?" gänzlich undifferenziert über Facebook,
       Kinderpornos und Street View. In der munteren Gesprächsrunde wurde außer
       Acht gelassen, dass Inhalte, die bewusst ins Netz gestellt werden, und
       Aufnahmen, denen man sich nicht entziehen kann, nicht vergleichbar sind.
       
       Anstatt immer wieder Schreckenszenarien à la Orwell und Big Brother zu
       entwerfen, wäre es dienlicher, wenn PolitikerInnen, BürgerInnen und
       WissenschaftlerInnen Lösungen für die konkreten Probleme, die aus neuen
       Technologien resultieren, erarbeiten würden. Da Software immer weiter in
       unser tägliches Leben eingreift, ist es dringend notwendig, dass die
       Politik mit IT-Experten wie denen vom Chaos Computer Clubs
       zusammenarbeitet. Doch diese Zusammenarbeit ist für die Parteien
       gefährlich, müssten sie sich doch den unangenehmen Vorwürfen bezüglich des
       staatlichen Umgangs mit den Daten der Bürger stellen.
       
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       20 Apr 2010
       
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       den Aufstand.