# taz.de -- Medien in NRW: Die Macht der Blogger
       
       > Ministerpräsident Jürgen Rüttgers hat vor der Wahl mit Affären zu
       > kämpfen. Dennoch fasst ihn die etablierte Regionalpresse eher sanft an.
       > Internetportale übernehmen die Recherche.
       
 (IMG) Bild: Bitte keine Kritik an der NRW-CDU: "Schlechtreden" finden Generalsekretär Andreas Krautscheid und seine Parteifreunde doof.
       
       BOCHUM taz | Alfons Pieper ist seit 35 Jahren Journalist. Er war unter
       anderem stellvertretender Chefredakteur der Westdeutschen Allgemeinen
       Zeitung (WAZ). Seit vier Monaten betreibt der 69-jährige Rentner den Blog
       "Wir in NRW". Ein Büro hat er nicht, nur ein kleines Arbeitszimmer in
       seinem Reihenhaus in Bonn. "Unsere Betriebskosten liegen bei rund 20 Euro
       im Monat", sagt er. Vielleicht war Pieper publizistisch noch nie so
       einflussreich wie im Moment.
       
       Pieper ist ein Journalist alter Schule, der sein Handwerk auf mechanischen
       Schreibmaschinen gelernt hat. Sein Blog kann womöglich die Wahl am Sonntag
       mitentscheiden.
       
       Denn seit Monaten versorgt ein CDU-Mann, der bis 2006 in Rüttgers engstem
       Umfeld agierte, Internetportale wie "Wir in NRW" oder "Ruhrbarone" mit
       peinlichen Mails. So enthüllte "Wir in NRW", dass die Landtagspräsidentin
       Regina van Dinther (CDU) jahrelang keine Mitgliedsbeiträge an ihre Partei
       gezahlt hatte. Auch die jüngste Affäre kam durch eine Veröffentlichung in
       "Wir in NRW" ins Rollen.
       
       Die CDU hat 2005 eine scheinbar unabhängige Wählerinitative finanziert -
       und damit offenbar gegen das Parteiengesetz verstoßen. Dem Image des selbst
       ernannten Arbeiterführers und Johannes-Rau-Wiedergängers Jürgen Rüttgers
       als sozialer Landesvater hat der nicht abreißende Strom von Affären
       empfindlich geschadet. Rüttgers Popularitätswerte sinken seit Wochen.
       
       Es schreibt der Tiger 
       
       Kein Wunder, dass die CDU in Düsseldorf über den Einfluss der Blogs
       schäumt. Generalsekretär Andreas Krautscheid hat sogar das
       Landeskriminalamt eingeschaltet, um den Informationsfluss zu stoppen.
       Vergebens. Die Quelle sprudelt weiter. Es gibt, so Pieper, "mehr als einen
       Informanten." Offenbar wurden in internen Machtkämpfen mehrere CDU-Leute
       kaltgestellt, die nun eine Rechnung mit Rüttgers begleichen.
       
       Krautscheid hat kürzlich versucht, Journalisten einzuimpfen, dass "Wir in
       NRW" bloß ein Instrument der SPD sei, die eine Schmutzkampagne gegen
       Ministerpräsident Rüttgers inszeniere. Anstatt unseriöse, anonyme
       Blogbeiträge zu übernehmen, sollten die Zeitungen zwischen Rhein und Ruhr
       lieber bei ihm nachfragen.
       
       Allerdings verkennt Krautscheid, dass "Wir in NRW" und das investigative
       Blog "Ruhrbarone" nichts erfunden haben, sondern nur veröffentlichen, was
       aus der CDU selbst stammt. In "Wir in NRW" schreiben fünf Autoren unter
       Kurt Tucholsky entlehnten Pseudonymen wie Theobald Tiger und Peter Panter.
       
       Alfons Pieper rechtfertigt diese Tarnung mit praktischen Gründen. Es
       handele sich um gestandene Journalisten, deren Arbeitgeber "nicht erlauben,
       dass sie nach Dienst für das Blog schreiben". Von der WAZ, so Pieper, "ist
       niemand dabei". Das ist dem früheren Parlamentskorrespondenten der WAZ
       wichtig. So soll der Eindruck vermieden werden, dass "Wir in NRW" ein
       Anti-WAZ- oder Anti-Rüttgers-Blog ist.
       
       Die interessante Frage lautet: Ist es ein Zufall, dass Blogs bei der Wahl
       in Düsseldorf erstmals über solchen Einfluss verfügen? Was sagt das über
       die Zeitungen in Nordrhein-Westfalen? Warum veröffentlichen nicht
       auflagenstarke, einflussreiche Blätter wie WAZ und Rheinische Post die
       Affären nicht?
       
       Weil es, so Pieper, "in den Zeitungen in NRW eine Neigung zur
       Hofberichterstattung gegenüber Jürgen Rüttgers gibt". Genau das sei auch
       das Motiv gewesen, seinen Blog zu gründen. Die Idee kam Pieper 2009 beim
       Kaffeetrinken mit alten Journalistenfreunden, die allesamt unzufrieden mit
       "der Rüttgers-Verehrung" (Pieper) in den Regionalzeitungen zwischen Rhein
       und Ruhr waren.
       
       Den Eindruck, dass kritischer Journalismus es in NRW schwer hat, teilen
       auch Korrespondenten überregionaler Zeitungen. "Wenn ein Text missfällt,
       ist fast üblich, dass sich der CDU- oder der Regierungssprecher direkt bei
       der Chefredaktion über die Korrespondenten beschweren", sagt ein Mitglied
       der Landespressekonferenz (lpk). Auch wenn Journalisten es nur wagen,
       Fragen zu stellen, kommt es vor, dass sich die CDU dies prompt bei der
       Chefredaktion verbittet.
       
       Wer sich unbeliebt macht, bekommt telefonisch keine Auskunft mehr -
       Antworten gibt es dann nur noch schriftlich. Das ist im
       Tageszeitungsgeschäft ein schwer wettzumachender Nachteil. "Der
       CDU-Sprecher Matthias Heidmeier und der Regierungssprecher Hans Dieter
       Wichter machen mehr oder weniger subtil Druck", sagt ein anderes Mitglied
       der Landespressekonferenz.
       
       Namentlich will kein Journalist zitiert werden, aus Furcht, ganz von den
       Informationsflüssen abgeschnitten zu werden. Warum die Rüttgers-Truppe so
       allergisch reagiert, erklärt sich ein Korrespondent eines überregionalen
       Blattes so: "Die sind von den Regionalzeitungen nur Nettigkeiten gewohnt,
       deshalb diese Überreaktion bei Kritik."
       
       Die Zeitungslandschaft in Nordrhein-Westfalen ist ein spezieller Fall. Die
       Interessen von politischer Macht und Verlagshäusern, von Staatskanzlei und
       Medienkonzernen sind ungewöhnlich eng miteinander verzahnt. Norbert
       Schneider, Direktor der Landesmedienanstalt, die die medialen
       Machtstrukturen unter die Lupe nimmt, sagt der taz: "Die Verleger sind in
       NRW - im Unterschied zu den anderen Bundesländern - eine zentrale
       politische Kraft."
       
       Eine Schlüsselrolle spielt dabei der Essener WAZ-Konzern, der früher als
       eher SPD-nah galt. Doch die stählerne Bindung an die Sozialdemokraten im
       Ruhrgebiet ist längst aufgelöst, der Verlag ist personell eng mit der CDU
       verflochten. Stephan Holthoff-Pförtner, lange eine Schlüsselfigur in der
       Konzernhierarchie, ist ein Duzfreund von Rüttgers. Geschäftsführer
       Christian Nienhaus war früher im Bundesvorstand der Jungen Union.
       
       Der frühere Kanzleramtsminister Bodo Hombach fällt als SPD-Gegenpart in der
       inneren Machtbalance der WAZ aus. Zu Rüttgers, der ihn zum Vizechef seiner
       Zukunftskommission machte, unterhält Hombach schon lange blendende
       Kontakte. In einem vom Rüttgers herausgegebenen Buch schrieb SPD-Mann
       Hombach: "Es bleibt zu hoffen, dass es Politikern wie Ministerpräsident Dr.
       Rüttgers gelingt, den Boden zu bereiten für zukunftsweisende Konzepte aus
       der Krise."
       
       Kein Wunder, dass Hombach den konservativen Journalisten Ulrich Reitz von
       der CDU-nahen "Rheinischen Post" als Chefredakteur zur WAZ holte. Das
       Verlagshaus bestreitet selbstredend, dass Rüttgers-Freunde wie Hombach,
       Holthoff-Pförtner, Reitz oder Nienhaus die Zeitung auf CDU-Kurs getrimmt
       haben. "Politische Verdächtigungen gegen Hombach", heißt es aus dem
       Konzern, habe es immer gegeben. Aber die seien natürlich unbegründet.
       
       Doch wer die WAZ liest, dem fällt eine Schlagseite zur CDU ins Auge. Weil
       die SPD-Kandidatin Hannelore Kraft ein Bündnis mit der Linkspartei nicht
       prinzipiell ausschließen will, feuert die Zeitung aus allen Rohren. Ein
       Beispiel: Kraft, so schreibt ein Kommentator am 19. April, betreibe
       "gezielte Desorientierung" der Wähler, um mit "Trotzkisten und orthodoxen
       Kommunisten" zu paktieren, die "Stasi-Methoden" anwenden. Schöner hätte es
       auch die CDU-Pressestelle nicht sagen können.
       
       Ministerpräsident Rüttgers wird hingegen freundlich angefasst. Die ersten
       beiden Fragen im WAZ-Interview Anfang April lauteten: "Wird der Wahlkampf
       so hart und anstrengend wie nie zuvor? Und, Gipfel investigativer
       Fragetechnik: "Was machen Sie an Ostern?"
       
       Der Richtungswechsel der WAZ hat die parteipolitische Balance der großen
       meinungsbildenden Blätter im Bundesland insgesamt verändert. Das Haus
       Dumont Schauberg, das den Kölner Stadtanzeiger (Auflage knapp 340.000)
       herausgibt, gilt als FDP-nah. Die Rheinische Post (Auflage knapp 400.000)
       ist klar auf CDU-Linie, die Westdeutsche Allgemeine unter Reitz (Auflage
       400.000) ist nett zu Rüttgers.
       
       Für wie wichtig die politische Ausrichtung des WAZ-Konzerns gehalten wird ,
       verdeutlicht das Zitat eines Mannes aus der Führung der Bundes-SPD. "Wir
       werden", seufzt der Sozialdemokrat, "in Düsseldorf nie gegen die WAZ
       regieren können."
       
       Nie Rot-Rot-Grün 
       
       Aber nicht nur die neue CDU-Nähe geht auf Kosten der Pluralität. 300 von
       900 Redakteursstellen verschwanden im letzten Jahr. Lokalredaktionen wurden
       geschlossen, Redaktionen zusammengelegt. Für Nordrhein-Westfalen bedeutet
       dies, glaubt der Dortmunder Medienwissenschaftler Horst Röper, einen
       "deutlichen Verlust an Meinungsvielfalt."
       
       Weniger problematisch sieht der Blogger David Schraven mittlerweile die
       Nähe von Macht und Medien im Land. Der 39-Jährige hat die taz nrw
       mitgegründet, die zehn Jahre lang letztlich vergeblich versuchte, das
       WAZ-Monopol im Ruhrgebiet zu knacken. In dem von ihm mitbetriebenen Blog
       "Ruhrbarone" veröffentlichte er Enthüllungsgeschichten über CDU-Minister.
       Die These von der Rüttgers-Hombach-Connection hält Schraven für
       übertrieben.
       
       Schraven wechselt im Juni als Chef der Rechercheabteilung zur WAZ, dem
       einstigen Hauptgegner. "Die WAZ will sich verändern, sonst würden die mich
       nicht holen" sagt er. Und: "Schon komisch, dass die 300 Leute entlassen und
       mich einstellen". Er will, so sagt er, "gute Geschichten machen". Er
       versteht sich nicht als Meinungsmacher. Politisch ist für ihn nur eins
       klar: "Rot-Rot-Grün darf es nicht geben, weil die Linkspartei keine
       demokratisch Partei ist". Damit rennt er bei seinem neuen Chef Ulrich Reitz
       auf jeden Fall offene Türen ein.
       
       6 May 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Stefan Reinecke
 (DIR) Stefan Reinecke
       
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