# taz.de -- Finanzsenator Nußbaum und die Kliniksanierung: Der Lack ist ab
       
       > Nach dem Kompromiss zur Charité steht der parteilose Finanzsenator als
       > Verlierer da. Von seinen groß angekündigten Sparplänen ist wenig
       > geblieben. Was ist von Ulrich Nußbaum noch zu erwarten?
       
 (IMG) Bild: Berlins Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos)
       
       "Kraftvoll" ist eines seiner Lieblingsworte. "Kraftvoll" müsse man dieses
       oder jenes tun, sagt Finanzsenator Ulrich Nußbaum immer wieder, seit er vor
       etwas mehr als einem Jahr aus Bremerhaven nach Berlin kam. Kraftvoll aber
       redet er bloß - meint nicht nur die Opposition im Abgeordnetenhaus. Dass
       Nußbaum sich jetzt im Streit um die Charité-Sanierung nicht hat durchsetzen
       können, gilt vielen dafür als jüngster Beweis.
       
       Mit vielen Vorschusslorbeeren war der 53-Jährige, der in Bremen von 2003
       bis 2007 schon einmal Finanzsenator war, in seinen neuen Job gestartet.
       Sozialdemokraten und Linkspartei waren ihres Finanzsenators Thilo Sarrazin
       (SPD) längst überdrüssig geworden, der mit immer neuen Sprüchen und kruden
       Thesen für schlechte Schlagzeilen sorgte. Als Nußbaum, vermögender
       Fischhändler, im Frühjahr 2009 im Bentley in Berlin vorfuhr und sich bei
       den Koalitionsfraktionen vorstellte, überschlug sich die Linkspartei fast
       vor Lob: Sympathisch, offen und angenehm sei er.
       
       Bei der SPD-Fraktion witzelten weibliche Abgeordnete, der gut aussehende
       Nußbaum, eine Mischung aus Hansi Hinterseer und Pierre Brice in jungen
       Jahren, mache nun Klaus Wowereit als Senatsschönling Konkurrenz. Ein Jahr
       später ist die Begeisterung verflogen. In der SPD sind nicht wenige sauer
       darüber, dass Nußbaum öfter ohne Absprache vorpreschte. Das ist auch bei
       der Linkspartei zu hören.
       
       Nußbaum brauchte nicht lange, sich Feinde zu machen. Er war im Mai 2009
       kaum im Amt, als er im Charité-Streit Jürgen Zöllner runterredete, seinen
       SPD-Kollegen vom Bildungs- und Wissenschaftsressort - noch so einer, der
       2006 als vermeintlicher "Supersenator" nach Berlin kam, dieses Etikett aber
       längst verloren hat. Zöllner könne nicht rechnen, tönte Nußbaum sinngemäß
       und schlug bald vor, auf einen Charité-Standort zu verzichten. Jetzt aber
       bleiben gegen den Willen des Finanzsenators alle Kliniken erhalten.
       
       Im Oktober stellte Nußbaum die geplante Sanierung des ICC in Frage, doch
       auch über ein halbes Jahr später gibt es keine Entscheidung für oder gegen
       einen Abriss. Bisher folgenlos blieben auch seine Überlegungen, der
       Deutschen Bahn die krisengeschüttelte S-Bahn abzukaufen. Das schaffe alles
       nur Unruhe und lasse die Koalition schlecht aussehen, wenn nichts Konkretes
       dabei herauskomme, heißt es.
       
       Kritiker Nußbaums müssen wider Willen sogar nachträglich dessen
       umstrittenen Vorgänger Sarrazin loben: Der habe über eine neue Baustelle
       zumindest erst koalitionsintern geredet. Nußbaum aber gehe sofort in die
       Öffentlichkeit, "dabei stecken dahinter noch gar keine politischen
       Verabredungen", heißt es bei der Linkspartei.
       
       Was Nußbaums größter Vorteil ist, ist zugleich sein größter Nachteil: Er
       kommt von außen, ist ohne Verflechtungen und Verpflichtungen in Berlin,
       aber eben auch ohne Unterstützung und eigene Hausmacht. Er lebt allein vom
       ungewissen Rückhalt durch Wowereit, der ihn nach Berlin holte.
       
       Nußbaum hat zwar eine Nähe zur SPD, wie sich in Diskussionen über
       Kita-Plätze und Bildung im Allgemeinen immer wieder zeigt. Er hat aber
       nicht ohne Grund weiterhin kein Parteibuch. Nußbaum erinnert gern an sein
       früheres, derzeit ruhendes Leben als Fischunternehmer in Bremerhaven, zieht
       oft Vergleiche mit der Privatwirtschaft und pflegt bewusst einen
       parteifernen Stil.
       
       Der drückt sich schon darin aus, wie sein Führungsteam in der
       Finanzverwaltung zusammengesetzt ist. "Multikulti" sei man da, hat er es
       mal beschrieben: ein CDU-Mann als Chef der wichtigen Haushaltsabteilung,
       eine Ostfrau als Staatssekretärin, einer mit Migrationshintergrund als
       Pressesprecher und ein Grüner als Büroleiter. Als zweiten Staatssekretär
       holte Nußbaum zudem einen Mann, der es sich in Sachsen-Anhalt lieber mit
       seinem dortigen SPD-Chef verdarb, als eine für ihn nicht vertretbare
       Finanzpolitik zu betreiben. Diese Truppe ist nicht gerade der verlängerte
       Arm der Berliner Parteizentrale in der Müllerstraße, auch wenn die erwähnte
       Ostfrau stellvertretende SPD-Landeschefin ist.
       
       Was Nußbaum sichtlich unterschätzt hat: In der Praxis entscheiden nicht
       allein Zahlen, sondern mindestens genauso sehr Strukturen, Angst um
       Wählerstimmen und Besitzstandsdenken. Der Streit über die Charité bildet
       das beispielhaft ab. Nußbaum blickte aus Unternehmersicht auf das komplexe
       System aus Kliniken, Grundversorgung und Hochschulmedizin, sah
       Doppelstrukturen und Einsparungspotenzial. Was er nicht sah, war die
       politische Symbolik, die eine Klinikschließung im Südwesten der Stadt
       hätte.
       
       Noch nicht einmal zu Beginn seiner Amtszeit 2002 konnte sich Rot-Rot dazu
       durchringen, das dortige Universitätsklinikum Benjamin Franklin zu
       schließen. Viel weniger ist das im Jahr vor der nächsten
       Abgeordnetenhauswahl angesagt. Nußbaum hat zudem das Problem, dass Rot-Rot
       derzeit zu der Erkenntnis tendiert, dass mit einem knallharten Sparkurs bei
       Wählern nicht mehr viele Punkte zu sammeln sind. Was 2006 noch Ausweis
       einer konsequenten Politik war, zieht heute nicht mehr:
       Millioneneinsparungen in sensiblen Bereichen wie sozialer Infrastruktur
       oder Bildung sind den Bürgern tagsüber schlecht zu verkaufen, wenn sie
       abends in der Tagesschau von Milliardenhilfen für Banken oder andere
       EU-Staaten hören.
       
       Es war kein Zufall, dass der Senatssprecher bei einer Pressekonferenz vor
       einigen Wochen neue Sparankündigungen des Nußbaums sofort einschränkte: Das
       sei Nußbaums Blick auf die Dinge, im Senat habe die Diskussion darüber noch
       nicht mal angefangen.
       
       Zu den wenigen konkreten Erfolgen von Nußbaum gehört, eine Frau an die
       Spitze der Berliner Verkehrsbetriebe gebracht zu haben. Damit sammelte er
       zwar Punkte bei den SPD-Frauen und weiblichen Linken-Abgeordneten - mehr
       aber nicht. Bei der Opposition stieß es immerhin auf positive Resonanz,
       dass er, anders als sein Vorgänger Sarrazin, Einblick in den umstrittenen
       Vertrag mit der Modemesse Bread & Butter gewährte und angebliche
       Verstrickungen Sarrazins beim Golfclub Wannsee untersuchen ließ.
       
       Das war es allerdings im Großen und Ganzen. Mantrahaft kann die FDP daher
       seit fast einem Jahr vom "Ankündigungssenator Nußbaum" sprechen, was auch
       Grünen-Fraktionschefin Ramona Pop unterschreiben würde. Nußbaum habe zwar
       recht, wenn er konsequent sparen wolle, sagen die Liberalen - aber dann
       müsse er auch konkrete Zahlen nennen und durchsetzen. Pop fordert statt
       vieler Worte einen klaren Kassensturz noch vor der Abgeordnetenhauswahl.
       
       Vom Koalitionspartner Linkspartei gibt es offiziell zwar nur Positives über
       Nußbaum zu hören. Er hab sich lernfähig gezeigt, nachdem er anfangs den
       öffentlich finanzierten Beschäftigungssektor ÖBS kritisierte - ein linkes
       Vorzeigeprojekt. Hinter vorgehaltener Hand aber heißt es in der Fraktion,
       dass das mit dem Ankündigungssenator gar nicht so falsch sei, dass er
       konkreter mit den Fraktionen Projekte diskutieren und Vorschläge machen
       müsse.
       
       Kraftvoll wird Nußbaum gemäß seiner Lieblingsvokabel in nächster Zeit
       beweisen müssen, dass er mehr kann, als Probleme zu benennen. Sonst bleibt
       auf Dauer an ihm haften, was die FDP ihm nach der Niederlage im
       Charité-Streit vorhält: Dass ihm jegliches politisches Gewicht im Senat
       fehle. In anderem Zusammenhang hat Nußbaum mal gesagt: "Am Ende sticht
       natürlich Ober den Unter." Das ist im Senat der entscheidende Punkt: Wenn
       Wowereit nicht will wie Nußbaum, hilft dem auch alles Kraftvolle nicht
       weiter.
       
       27 May 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Stefan Alberti
       
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