# taz.de -- Rot-Grün in NRW: Die Kraft der Minderheit
       
       > Sozialdemokraten und Grüne planen Minderheitsregierung. Schon Mitte Juli
       > will sich SPD-Chefin Hannelore Kraft zur Ministerpräsidentin wählen
       > lassen.
       
 (IMG) Bild: Hannelore Kraft (SPD) und Sylvia Löhrmann (Grüne)
       
       Der Machtpoker in Nordrhein-Westfalen geht in die nächste Runde: Gemeinsam
       mit den Grünen will SPD-Chefin Hannelore Kraft jetzt doch eine
       Minderheitsregierung bilden. Das teilte die Vorsitzende der
       SPD-Landtagsfraktion gemeinsam mit der grünen Fraktionschefin Sylvia
       Löhrmann am Donnerstag völlig überraschend mit.
       
       Offiziell begründen die Sozialdemokraten ihren Kurswechsel mit der
       Aufkündigung der geschäftsführenden schwarz-gelben Landesregierung des
       Christdemokraten Jürgen Rüttgers durch den FDP-Landesvorsitzenden Andreas
       Pinkwart. "Der Koalitionsvertrag der letzten Legislaturperiode ist
       abgearbeitet", hatte Pinkwart in der Westdeutschen Allgemeinen getönt - und
       angekündigt, die FDP werde nun im Landtag auf eigene Rechnung für
       "Mehrheitsentscheidungen im Interesse des Landes werben". "Damit ist eine
       handlungsfähige Regierung in Düsseldorf nicht mehr gegeben", sagte Kraft -
       Rüttgers könne sich im 181 Sitze zählenden Landtag nur noch auf die 67
       Abgeordneten der CDU stützen. Von einem Auszug der FDP-Minister aus der
       Regierung Rüttgers sprach Pinkwart selbst allerdings nicht.
       
       In Nordrhein-Westfalen gilt Krafts Argumentation deshalb als vorgeschoben.
       Selbst in der Bundesspitze der SPD hatte der Kurs der Landesvorsitzenden
       für Irritationen gesorgt: Für eine rot-grüne Minderheitsregierung gebe es
       "sehr gute Argumente", mahnte etwa der parlamentarische Geschäftsführer der
       SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann. Spätestens mit den nach der
       Sommerpause anstehenden Entscheidungen des Bundesrats werde Kraft eine
       "kluge Entscheidung treffen" müssen. Nach taz-Informationen sollen deshalb
       verschiedene Mitglieder des Bundesvorstands ihren Druck auf Kraft erhöht
       haben: "Wir brauchen weniger Taktik, müssen mehr riskieren", sagt etwa der
       Kölner SPD-Bundestagsabgeordnete Karl Lauterbach. "Die Bürger hätten kein
       Verständnis dafür, Rüttgers einfach im Amt zu belassen."
       
       Druck auf Kraft gab es auch von den Grünen - und das bereits seit Tagen.
       Die SPD-Vorsitzende sei dabei, den möglichen Politikwechsel zu verspielen,
       fürchten viele in der Landtagsfraktion. "Auf jedem Marktplatz" werde
       Rüttgers in der Sommerpause auftreten, sich als gesprächsbereiter
       Landesvater inszenieren und so für die große Koalition werben, glaubte etwa
       die grüne Landesvorsitzende Daniela Schneckenburger.
       
       Kraft soll schon bei der nächsten, für den 13. und 14. Juli terminierten
       Landtagssitzung zur Regierungschefin gewählt werden. Nach den mit einem
       Patt geendeten Landtagswahlen vom 9. Mai fehlt Rot-Grün im Düsseldorfer
       Landesparlament eine Stimme zur absoluten Mehrheit. Sollten CDU und FDP
       geschlossen gegen Kraft stimmen und die Abgeordneten der Linken mit
       Enthaltung votieren, gilt Krafts Wahl spätestens im vierten Wahlgang als
       sicher: Zur Wahl der Regierungschefin reicht dann eine einfache Mehrheit.
       
       Der überraschenden Entscheidung für die schnelle Bildung einer rot-grünen
       Minderheitsregierung war ein plötzlicher Strategiewechsel der
       Sozialdemokraten vorausgegangen. Noch am Mittwoch hatte Kraft vor
       Journalisten in Berlin für ihren Kurs geworben, Rüttgers zumindest bis zum
       Ende der Sommerpause geschäftsführend im Amt zu belassen. Erst dann stünden
       im Bundesrat Entscheidungen über das Sparpaket des Kabinetts von
       CDU-Kanzlerin Angela Merkel oder über den Atomausstieg an, die mit den
       Stimmen Nordrhein-Westfalens beeinflusst werden könnten, so Krafts
       Begründung. Denkbar sei auch, dass sie durch Abweichler aus den Reihen der
       noch vor Monaten zur Bildung einer Koalition mit der CDU tendierenden
       Grünen oder gar aus den eigenen Reihen zu Fall gebracht werde. Außerdem sei
       wahrscheinlich, dass eine rot-grüne Minderheitsregierung spätestens bei der
       im Herbst anstehenden Aufstellung eines Haushalts scheitere und sie aus
       einer Verliererposition in dann anstehende Neuwahlen ziehen müsse, glaubte
       Kraft.
       
       Und auf Neuwahlen steuert Nordrhein-Westfalen zumindest mittelfristig zu.
       Zwar hoffen führende Sozialdemokraten nun selbst bei der
       Haushaltsabstimmung im Herbst eine Mehrheit des Landtags hinter sich
       versammeln zu könne - nötig sei schließlich nur eine Jastimme von CDU, FDP
       oder Linkspartei. Sollten die Etatverhandlungen aber scheitern, rechnen
       sich führende Genossen schon heute gute Chancen bei einer erneuten Wahl
       aus: "Das schwarz-gelbe Chaos in Berlin geht doch weiter", glauben manche.
       
       17 Jun 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Wyputta
       
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