# taz.de -- Wie Frauen vom Atomstrom loskommen: Ökostrom für Anfänger
> Mehr Frauen als Männer sind gegen Atomkraft. Sind sie also schuld, wenn
> Haushalte nicht zu Ökostrom wechseln? Über ein Forschungsprojekt und
> Stromwechselparties.
(IMG) Bild: Viele Frauen sind gegen Atomkraft. Aber: Haben sie auch schon die Zählernummer gefunden?
"Treue", sagt Gotelind Alber, "ist eigentlich etwas Wunderbares. Aber in
diesem Fall ist sie es nicht." Der Fall, von dem die Physikerin und
Forscherin zu Energie- und Klimafragen spricht, erfüllt eine Menge
Klischees. Klischees von Männer- und Frauenrollen, von Treue und Technik.
Es geht um Strom. Mit Ökostrom scheint es ähnlich zu sein wie mit dem
Vegetarismus oder der Verschlüsselung von E-Mails. Eigentlich weiß man,
dass man besser leben würde, äße man kein Fleisch. Dass die Kommunikation
sicherer wäre, würde man seine E-Mails vor dem Senden verschlüsseln. Aber
trotzdem entscheiden sich nur wenige für ein Leben ohne Fleisch, mit
verschlüsselten E-Mails - oder eben Ökostrom. Die Frage ist: warum?
Je nach Umfrage lehnen ein Drittel bis die Hälfte der Befragten Atomstrom
ab. Frauen mehr als Männer, Studenten mehr als Rentner und Arbeitslose mehr
als Manager. Doch haben bislang nur fünf Prozent der Haushalte zu einem
Ökostromanbieter gewechselt. Irgendwann zwischen Erkenntnis und
Vertragsschluss stockt der Prozess. Aber wann? Bei der Diskussion mit
Mitbewohnern, Partnern oder Familie? Beim Informieren über alternative
Anbieter? Bei der Suche nach dem Stromzähler irgendwo im Keller?
Mit Gesprächsrunden und Fragebögen wollen Forscher der Freien Universität
Berlin (FU) und der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg vor allem
dem Wechsel-Widerwillen der Frauen auf die Spur kommen. "Wir wollen
herausfinden, wie man die Lücke zwischen Einstellung und Verhalten erklären
kann", sagt FU-Mitarbeiterin Aino Simon. In den Gesprächsrunden informieren
sie Frauen über die Hintergründe und Möglichkeiten des Stromwechsels. Eine
der Teilnehmerinnen so einer Runde ist Elke Riskop*.
Von den neun Frauen, die sich in einem Altbau im Zentrum Berlins
zusammengefunden haben, haben acht bereits gewechselt: von Vattenfall zu
Naturstrom, von den örtlichen Stadtwerken zu Greenpeace Energy, von RWE zu
Lichtblick oder von Eon zu den Elektrizitätswerken Schönau. Das sind die
vier echten Ökostromanbieter, die von Umweltverbänden empfohlen werden.
Nur Elke Riskop bekommt ihren Strom von Vattenfall. Noch. "Meine Tochter
will mich schon seit längerem zum Wechseln bewegen", sagt sie. "Aber
bislang fand ich das einfach zu umständlich." Das Ausfüllen eines Formulars
sei zwar nicht das Problem. Aber sich zu überlegen, zu welchem Anbieter sie
wechseln will, was die Preisunterschiede sind und ob es wirklich einen
politischen Unterschied macht - "das ist lästig".
In der Gesprächsrunde erklärt die Physikerin Alber, dass der Wechsel genau
das nicht ist: Man nimmt einfach die letzte Stromrechnung, auf der die
Zählernummer steht. Damit kündigt der neue Anbieter den Vertrag mit dem
alten. Der Stromwechsel besteht also in einem Telefonat, einem Brief oder
dem Ausfüllen eines Onlineformulars. Und der Wartezeit: Da in
Stromverträgen oft vierwöchige Kündigungsfristen stehen, dauert es ein
Weilchen, bis der neue Anbieter liefert.
In der Gesprächsrunde sitzt auch Ulrike Röhr, Mitarbeiterin von genanet,
ein Projekt, das sich mit Umwelt- und Frauenpolitik befasst. Vor einigen
Jahren hat Röhr ihren Forschungsantrag mit dem Titel "Determinanten der
Wechselbereitschaft von Frauen zu Ökostrom" vom Bundesumweltministerium
bewilligt bekommen. Sie hat darin die Statistiken aufgeführt, nach denen
deutlich mehr Frauen als Männer Atomkraft ablehnen. Sie hat Konsumstudien
zu Markentreue erwähnt, die bei Frauen viel höher ausgeprägt sein soll als
bei Männern. Und sie hat eine Untersuchung zitiert, die 2004 das
geschlechtsspezifische Kaufverhalten in Handy-Geschäften beobachtet hat.
Deren Ergebnis: Männer betraten das Geschäft, nahmen Prospekte mit und
verließen den Laden wieder, ohne mit jemandem zu reden. Wer zurückkam,
wollte nur noch den Vertrag unterschreiben. Frauen liefen dagegen an den
Broschüren vorbei und suchten das direkte Gespräch mit dem
Verkaufspersonal. "Wir wollen herausfinden, ob sich Informationen zum
Stromwechsel eher an Männer richten als an Frauen", erklärt Röhr einen
Ansatz.
FU-Mitarbeiterin Simon ergänzt, dass das Projekt als Ganzes nicht nur auf
Frauen, sondern auch auf Männer schaut. "Daher ist es möglich, dass am Ende
heraus kommt, dass das Geschlecht eine viel geringere Rolle spielt, als das
soziokulturelle Milieu." Die Forscher überprüfen noch weitere Vermutungen:
Ob das Infomaterial der Ökostromanbieter eher Männer anspricht. Oder ob in
Paarhaushalten eine unbewusste Tradition existiert, nach der der Mann über
die Wahl des Stromanbieters entscheidet.
Ulla Gahn, die Erfinderin der Stromwechselparty, kann sich den Einfluss der
Rollenverteilung in klassischen Paarhaushalten gut vorstellen. Seit 2007
veranstaltet sie - ehrenamtlich und unabhängig - Partys, auf denen es um
den Stromwechsel geht und an denen Männer und Frauen gleichermaßen
teilnehmen. Nach einigen Jahren als Stromwechselparty-Veranstalterin ist
sie sicher: Strom werde gefühlt dem technischen Bereich zugerechnet, und
der falle häufig in die Zuständigkeit von Männern. Ein Rollenklischee -
aber deshalb nicht weniger existent. Doch da der klassische Paarhaushalt
immer stärker durch andere Lebensformen abgelöst wird, hält sie für die
geringe Gesamtzahl der Stromwechsler etwas anderes für entscheidend: "Das
Problem bei Strom ist vor allem, dass man ihn nicht anfassen und damit
erfassen kann, das ist für alle Menschen schwierig."
Sowohl die Stromwechseltrainings als auch die Stromwechselpartys scheinen
einen Nerv zu treffen: Die Organisatoren beider Projekte berichten von
massenhaften Anfragen aus allen Bundesländern. "Die Leute sind begeistert,
wenn sie endlich jemanden haben, den sie fragen können", sagt
Wechselparty-Erfinderin Gahn. Denn im Gegensatz zum technischen
Infomaterial ist persönliche Beratung rar: Alleine mehrere Dutzend
Vergleichsrechner werben im Internet um Nutzer. Wer aber eine persönliche
und unabhängige Beratung will, zahlt meist dafür.
Die Forscherinnen wollen auch einen Gegenpol bilden zur Werbung der
Atomindustrie. In den vergangenen Jahren haben auch die Konzerne gemerkt,
dass vor allem Frauen atomkritische Positionen vertreten. So sollen die von
der Atomlobby unterstützte Organisation die "Women in Nuclear" (WiN) das
Image von Atomkraft verbessern. "Unsere Forschung ist vor dem Hintergrund
zu sehen, dass man eine ökologische Wende braucht", sagt Simon. Einen
ersten Erfolg kann das Forschungsprojekt bereits vermelden: Mit Elke Riskop
wird Vattenfall in Zukunft eine Kundin weniger haben.
*Name geändert
7 Jul 2010
## AUTOREN
(DIR) Svenja Bergt
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