# taz.de -- Günter Wallraff über inhaftierten Freund: "Die Begründung ist lächerlich"
       
       > Der Autor Dogan Akhanli sitzt in einem türkischen Gefängnis. Er soll an
       > einem Raubüberfall beteiligt gewesen sein. Ein faires Verfahren wird es
       > nicht geben, sagt Günther Wallraff.
       
 (IMG) Bild: Wenn es um den Genozid an die Armenier geht, kochen die Emotionen in der Türkei hoch.
       
       taz: Herr Wallraff, Ihr Freund Dogan Akhanli sitzt seit dem 10. August in
       einer türkischen Haftanstalt. Hat sie die Festnahme überrascht? Immerhin
       ist er 1991 vor dem türkischen Militär nach Köln geflohen. 
       
       Günter Wallraff: Er war seit seiner Flucht nicht mehr in der Türkei und ist
       nun dort hingeflogen, um seinen todkranken 85-jährigen Vater zu besuchen.
       Im Vorfeld hatte er sich erkundigt, ob man ihn wegen alter Vorwürfe noch
       rechtlich belangen könnte. In einem offiziellen Schreiben ließ man ihn
       darüber im Unklaren, die Verhaftung kam für ihn völlig überraschend.
       Außerdem ist er deutscher Staatsbürger, die Türkei hatte ihn 1998
       ausgebürgert. Das wurde aber anfangs ignoriert, bei seiner Verhaftung wurde
       er als türkischer Staatsbürger eingestuft. Es ist nach wie vor gängige
       Praxis in der Türkei, politisch unliebsame und kritische Menschen zu
       verfolgen.
       
       Akhanli wird vorgeworfen, vor 21 Jahren an einem Raubüberfall beteiligt
       gewesen zu sein. Ein Zeuge, der ihn belastete, hat seine Aussage später
       zurückgezogen, sie sei unter Folter erpresst worden. Soll hier ein Autor
       mundtot gemacht werden? 
       
       Alles spricht dafür, dass der eigentliche Anlass für seine Inhaftierung
       seine aufklärerische Arbeit als Menschenrechtler und seine
       Buchveröffentlichungen sind. Die jetzige Haftbegründung ist lächerlich. Es
       heißt darin, es gebe zwar keine Indizien und auch keine Zeugen mehr, aber
       der Tatvorwurf sei ja so gravierend. Das reicht aus, um ihn zu inhaftieren.
       
       Wie erklären Sie sich das Vorgehen der Staatsanwaltschaft? 
       
       Die Justiz ist in der Türkei nicht unabhängig, es geht hier auch nicht um
       ein rechtstaatliches Verfahren, sondern um eine Kraftprobe. Es gibt
       selbstherrliche Behörden, die begierig ihr nationalistisches Weltbild
       aufrechterhalten wollen. Kritiker werden nach wie vor unter Vorwänden
       schikaniert.
       
       Akhanlis Roman "Die Richter des jüngsten Gerichts" von 1999 thematisiert
       den vom türkischen Staat bis heute geleugneten Genozid an den Armeniern. 
       
       Dieses Thema ist immer noch eine offene Wunde in der Türkei. Der Völkermord
       wird geleugnet, er wird im Schulunterricht nicht berücksichtigt. Weil
       Akhanli diesen sehr hartnäckig thematisiert hat und noch dazu einen
       angesehenen Literaturpreis bekommen hat, wird er nun von den Hardlinern
       politisch verfolgt.
       
       Ankara hat jetzt indirekt mit Entschädigungszahlungen eine Mitschuld an der
       Ermordung des türkisch-armenischen Journalisten Hrant Dink 2007 eingeräumt.
       Ist das zumindest ein leichter Kurswechsel in der Armeniendebatte? 
       
       Bei internationalem, nachhaltigen Druck gibt die Türkei in Einzelfällen
       nach. Ich würde da keine Entwarnung geben. Ob es da ein moralisches
       Bedürfnis der Regierung nach Aufklärung gibt, würde ich bezweifeln.
       
       Bisher hat sich die Bundesregierung nicht für Akhanli eingesetzt. Warum? 
       
       Man hat den Eindruck, dass Regierungsstellen sich seit jeher schwer damit
       tun, die Türkei zu völkerrechtlichen Standards zu verpflichten. In diesem
       Fall haben die verantwortlichen Behörden in der Türkei wohl geglaubt, sie
       würden das sang- und klanglos, wie sie es mit vielen anderen machen, ohne
       große öffentliche Reaktion erledigen können. Deswegen brauchen wir eine
       große Öffentlichkeit, hier hilft nur Druck. Denn der Fall schadet dem
       Ansehen der Türkei, einem Land, das sich immerhin um die Aufnahme in die EU
       bemüht.
       
       Nun wurde Anklage gegen ihn erhoben, die Staatsanwaltschaft hat 14 Tage
       Zeit, zu entscheiden, ob es diese zulässt. Wie sieht ihre Prognose aus? 
       
       Ich befürchte, dass es kein unabhängiges Verfahren geben wird. Wenn er
       nicht freikommt, lass ich mir etwas einfallen.
       
       Sie sind seit langem mit dem Menschrechtler befreundet - porträtieren Sie
       ihn bitte für uns. Wer ist Dogan Akhanli? 
       
       Er ist jemand, der sich gegen die Militärdiktatur engagiert hat und
       deswegen in der Türkei 1985 zwei Jahre inhaftiert und gefoltert wurde. Er
       ist seinem Gewissen gegenüber verpflichtet, hat sich immer für die
       Menschenrechte eingesetzt und die unbewältigte Vergangenheit seines Landes
       aufgearbeitet, genauso wie er die NS-Vergangenheit Deutschlands
       thematisierte. Dogan Akhanli ist ein Mensch, den ich als friedliebend,
       sogar als Pazifisten kennen und schätzen gelernt habe. Diese Menschen, die
       in mehreren Kulturen verwurzelt sind, vergleichen können und das jeweils
       Rückständige hinter sich lassen, sind für mich Menschen der Zukunft.
       
       31 Aug 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Cigdem Akyol
       
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