# taz.de -- "Freiheit statt Angst"-Demonstration: Neue Koalitionen auf der Straße
       
       > In Berlin protestieren tausende Menschen gegen Überwachung und
       > Datenmissbrauch. Neben Piraten, Ärzten und der FDP übt sich auch der
       > schwarze Block in Liberalismus.
       
 (IMG) Bild: Und wer nichts zu verbergen hat - ist sowieso uninteressant...
       
       BERLIN taz | Nein, eine individuelle Kennzeichnung haben die Berliner
       Polizisten noch immer nicht. Nur vier der vielen Zivilbeamten, die an
       diesem Samstag in Berlin im Demo-Einsatz sind, sind mit deutlich
       erkennbaren Einzelmarkierungen ausgestattet: Auf Schritt und Tritt werden
       sie begleitet von Demonstranten, die mit Schildern deutlich auf die Herren
       in Zivil aufmerksam machen. Es ist ein bisschen Überwachungsstaat: aber
       heute einmal anders rum.
       
       Dennoch hat die Polizei gelernt: Als an diesem Samstag in Berlin mehrere
       tausend Menschen unter dem Motto „Freiheit statt Angst“ auf die Straße
       gehen, um gegen Überwachungsstaat und Datenrepression zu protestieren,
       halten sich die Staatsbediensteten merklich zurück. Und: Auch in die
       Bürgerrechtsbewegung ist der Liberalismus gefahren.
       
       7.500 Menschen beteiligten sich am Samstag an der mittlerweile zum
       Demonstrationsinventar der Republik gehörenden Bürgerrechtsdemonstration.
       Polizeiliche Kennzeichnungspflicht, Netzneutralität und Datensammlungen wie
       das elektronische Meldesystem ELENA, die Vorratsdatenspeicherung oder die
       geplante Gesundheitskarte sind ihre Themen. Ganze 127 Verbände und
       Organisationen hatten dazu gemeinsam aufgerufen – unter ihnen zahlreiche
       linke Gruppen, der AK Vorrat, der Chaos Computer Club, aber auch Parteien
       und Gewerkschaften, die Humanistische Union und die Freie Ärzteschaft
       beteiligten sich. Von der FDP bis zum Schwarzen Block protestierten sie
       gemeinsam: für die Freiheit.
       
       Ihre Mittel: eine riesige Datenkrake aus Pappmaché, ein „Prügel Street
       View“-Auto und hunderte von Schildern und Plakaten mit Parolen wie
       „Überwacht die Überwacher“ und „Privacy is not a crime“.
       
       Es ist eine Bewegung mit Vielfalt – und diese hat ihre inhaltlichen Gründe.
       Denn Arbeitnehmer sind von den zunehmenden Datenmonstern ebenso betroffen
       wie Krankenversicherte. So forderte etwa Verdi-Chef Frank Bsirske am
       Samstag die Abschaffung der elektronischen Vorratsdatenspeicherung sowie
       des umstrittenen elektronischen Entgeltnachweises ELENA. Und der Präsident
       der Freien Ärzteschaft, Martin Grauduszus, kritisierte die „Ignoranz der
       Regierungen und Staatswillkür“ - und forderte Bundesregierung auf, die kurz
       vor der Einführung stehende elektronische Gesundheitskarte zu stoppen.
       Kurz: Für nahezu jeden gibt es heute unmittelbare Bedrohungsszenarien, die
       das Recht auf die eigenen Daten tangieren. Und: Weil das so ist, bilden
       sich auf den Straßen immer neue Koalitionen.
       
       Der demonstrationserfahrene Altgrüne Hans-Christian Ströbele sieht gerade
       in der Breite der Bürgerrechtsbewegung die Ursache dafür, dass „keine der
       großen Parteien im Bundestag das Thema mehr ignorieren kann.“ Und doch:
       Überraschend ist schon, mit welch liberaler Grundhaltung sich autonome
       Revolutionäre und Wirtschaftsliberale neu begegnen.
       
       Ein Mann, ganz in Schwarz, mit schwarz-roter Antifa-Fahne sagt: „Wenn
       Freiheit Toleranz meint, toleriere ich auch, dass hier FDPler mitlaufen.“
       Und ein paar dutzend Meter weiter zitiert der jungliberale Jura-Student
       Nils Hempel - kariertes Hemd, Manschettenknöpfe, Seidenschal - Rosa
       Luxemburg: „Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden“, sagt er.
       
       Bei so viel Zuneigung wird doch wohl niemand stören? Und tatsächlich:
       Friedlich blieb sogar die Polizei. Grund hatte sie: Die Berliner Beamten
       waren nach der "Freiheit statt Angst"-Demo im vergangenen Jahr massiv in
       die Kritik geraten, nachdem Polizisten einen friedlichen Demonstranten
       massiv attackiert und verletzt hatten. DemonstrantInnen, die gerade gegen
       Videoüberwachung protestierten, hatten die Szene gefilmt – und überführten
       so die Beamten.
       
       Die individuelle Kennzeichnung, die Berlins Polizeipräsident Dieter
       Glietsch daraufhin in Aussicht gestellt hatte, gibt es zwar noch immer
       nicht, doch immerhin: Am Samstag verzichtete die Polizei weitgehend auf
       Videoüberwachungen und hielt sich auch sonst erstaunlich zurück. Die Folge:
       Keine Randale, keine Bambule – und nicht einmal mehr Polizeirepression.
       Freiheit also, auf der ganzen Linie.
       
       12 Sep 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Martin Kaul
       
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 (DIR) Schwerpunkt Überwachung
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