# taz.de -- Pro und Contra "Stuttgart 21": Wahlkampf oder Volksaufstand
       
       > Wir kümmern uns mit "Stuttgart 21" um das Wohl kommender Generationen,
       > meint Thomas Strobl, Generalsekretär der Landes-CDU. Ihm widerspricht der
       > Grüne Bürgermeister Boris Palmer.
       
 (IMG) Bild: Wollen sie nur die CDU stürzen? Demonstranten in Stuttgart.
       
       Pro 
       
       Ein "Kommunikations-GAU", meint Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan
       Mappus, sei die Ursache des Volksaufstandes gegen Stuttgart 21. Das stimmt:
       Die Befürworter von Stuttgart 21 haben mit der Öffentlichkeit lange so
       kommuniziert, als gelte es, einen politischen Gegner niederzuringen.
       
       Den Leuten wurde erklärt, sie seien nur gegen Stuttgart 21, weil sie
       darüber schlecht informiert seien. Die Proteste wurden bagatellisiert
       ("sind vorbei, wenn der Bagger rollt") oder als Wahlkampf der Grünen
       abgetan.
       
       Ministerpräsident Mappus selbst erklärte, in Wahrheit ginge es den
       Demonstranten nicht um den Bahnhof, sondern darum, die Macht der CDU im
       Land zu brechen. Tatsächlich aber sind die Proteste gegen Stuttgart 21
       keine Parteitage, sondern Volksversammlungen. Und wer sein Leben lang CDU
       gewählt hat, wird sich kaum davon überzeugen lassen, er habe als
       Demonstrant am Bahnhof eigentlich nur den Sturz der Landesregierung im
       Sinn. Wahlkampf gegen das Volk kann man nicht gewinnen.
       
       Das ist der Union an ihren Umfrageergebnissen nun auch aufgefallen. Sie hat
       die Protestierer in Stuttgart nun aufgegeben und versucht jetzt, sie mit
       einer doppelgleisigen Strategie als Prellbock im Wahlkampf einzusetzen. Die
       Kanzlerin höchstselbst sagt, an Stuttgart 21 hänge die Verlässlichkeit
       Deutschlands in Europa, die Glaubwürdigkeit der Politik und das Vertrauen
       in parlamentarische Entscheidungen. Arbeitgeberchef Hundt sekundiert, der
       Wirtschaftsstandort sei in Gefahr. Ulf Messerschmidt diagnostiziert im
       Auftrag der Landesregierung eine bedrohliche Technikfeindlichkeit bei der
       Bevölkerung. So wird das Projekt ideologisch aufgeladen und der Protest als
       rückwärtsgewandt dargestellt. Es geht nun um nicht weniger als Demokratie,
       Fortschritt, Wohlstand und Sicherheit.
       
       Parallel dazu werden die Demonstranten als "gefährlich" und "gewaltbereit"
       beschrieben. Zum frühestmöglichen Zeitpunkt werden die symbolbeladenen
       Bäume im Schlossgarten gefällt. Der Polizeieinsatz und die Provokation sind
       so massiv, dass Ausschreitungen dabei in Kauf genommen werden. Das soll die
       Protestbewegung spalten und diskreditieren. So hofft die Union, sich im
       Landtags-Wahlkampf als Hüter von Recht und Gesetz zu profilieren.
       
       Die friedliche Lösung, einen Volksentscheid über Stuttgart 21, lässt die
       Union nicht zu. Sie weiß, dass sie ihn verlieren würde.
       
       BORIS PALMER ist Grünen-Politiker und Oberbürgermeister von Tübingen 
       
       ************************
       
       Contra 
       
       Nein, in Wahrheit machen andere Parteien mit "Stuttgart 21" Wahlkampf gegen
       die CDU. Fest steht: Die Entscheidung für S21 ist demokratisch einwandfrei
       legitimiert, wie auch Joachim Gauck sehr pointiert festgestellt hat. Und
       für diese Entscheidung lohnt es sich, um Zustimmung zu werben.
       
       "Stuttgart 21" sorgt im Fern- und Regionalverkehr für schnelleres und
       bequemeres Bahn-Reisen und dafür, dass jährlich 1 Milliarde Auto-Kilometer
       (CO2-Ersparnis: 175.000 Tonnen) auf die Schiene verlagert werden. Dafür,
       dass Arbeitsplätze entstehen und die Grundlage unserer Wirtschaft
       verbessert wird. Dafür, dass in Stuttgart ein neues ökologisches
       Stadtviertel entsteht. Und an die Adresse all derjenigen, die jetzt um die
       gefällten Bäume trauern: Bei der Realisierung von Stuttgart 21 werden über
       5.000 neue Bäume im neuen Stadtviertel gepflanzt. Eine Öko-Bilanz, die sich
       sehen lassen kann.
       
       Politiker werden gewählt, um zu entscheiden; der Kritik müssen sie sich
       stellen. Diesen Wettstreit führt man mit Argumenten - nicht aber mit
       Vuvuzelas, Gebäudebesetzungen, Straßenblockaden und Gewalt.
       Ministerpräsident Mappus hat die S21-Gegner mehrfach zum Dialog eingeladen.
       Die Gesprächsangebote wurden von diesen einseitig abgebrochen.
       
       Wer ein politisches Mandat und seine Verantwortung ernst nimmt, muss zu
       einer richtigen Entscheidung auch dann stehen, wenn sie umstritten ist. (So
       sind wir, anders als eine Volksbefragung in der Schweiz ergeben hat, im
       Rahmen des Baurechts für den Bau von Moscheen mit Minarett.) Wer sich immer
       nur Stimmungen anpasst, ist letztendlich nur wankelmütig und unzuverlässig
       und schielt populistisch nach dem nächsten Wahltag.
       
       Die Westintegration der Bundesrepublik, die Einführung der sozialen
       Marktwirtschaft, der Nato-Doppelbeschluss - alle diese, für die
       Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik richtigen Entscheidungen hätten in
       Volksentscheiden keine Mehrheit gefunden. Aber sie haben sich gegen massive
       Kritik bewährt. Die Entscheidung für S21 will ich nicht in diese Reihe
       epochaler Weichenstellungen stellen - dies hieße, die gleiche
       Überheblichkeit an den Tag zu legen wie die S21-Gegner: Sie nennen ihre
       Proteste in geschichtsvergessener Übertreibung "Montagsdemonstrationen" und
       skandieren: "Wir sind das Volk!" Die CDU schaut nicht auf den nächsten
       Wahltag, sondern verantwortungsvoll nach dem Wohl der nächsten Generation.
       
       THOMAS STROBL ist Generalsekretär der Baden-Württemberg-CDU und MdB aus
       Heilbronn
       
       1 Oct 2010
       
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 (DIR) Schwerpunkt Stuttgart 21
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