# taz.de -- Schließung der Erzminen im Kongo: Ohne Arbeit kein Frieden
> Lavahütten, Staub und Händler, die auf Kundschaft warten - das
> Marktviertel Birere ist das kämpferische Herz von Goma. Doch seit
> Schließung der Erzminen schlägt es nicht mehr.
(IMG) Bild: Seitdem Präsident Kabila den Bergbau im kriegsgeschüttelten Osten des Kongos verboten hat, vertieft sich die Krise der Region.
Die Sonne brennt auf den schwarzen Straßen von Birere, dem Marktviertel von
Goma. Staub wirbelt zwischen den dichtgedrängten Hütten. Die
Verkehrspolizistinnen, die normalerweise am kleinen Kreisverkehr Autofahrer
erpressen, stehen gelangweilt herum. Nur selten holpert ein Auto die
löchrige Piste entlang, und sogar die Jungs auf ihren Holzrollern, die
sonst voll beladen herumgefahren sind, warten still.
Im Hinterhof der Luftfrachtfirma Goma Express hat Serge Magaro nichts zu
tun. Der kleine Vorarbeiter im fleckigen grünen T-Shirt zeigt in seinen
schummrigen Verschlag auf vier untätige Ladearbeiter. "Eigentlich habe ich
acht, aber die anderen sind jetzt arbeitslos." Ein Container mit
Impfstoffen für das Kinderhilfswerk Unicef steht da, im Hof wartet ein
leerer Lastwagen. "Ich fühle mich in der Krise."
Krise ist im Ostkongo Dauerzustand. Seit 1993 ist in den Kivu-Provinzen
Krieg, rund zwei Millionen Menschen sind dauerhaft auf der Flucht vor
Armee, Rebellen oder Milizen. Die Landwirtschaft ist größtenteils
zusammengebrochen, Geld verdienen die Menschen eher in den Gold-, Zinn- und
Coltanminen. Bis zu 1.000 Tonnen Zinnerz (Kassiterit) verlassen
normalerweise jeden Monat die Minen von Bisie. Das Erz wird im Stundentakt
mit Kleinflugzeugen ausgeflogen, die auf den Resten der Urwaldstraße
starten, die früher aus der nahen Stadt Walikale nach Goma führte. Walikale
liegt nur 150 Kilometer von Goma entfernt, doch alles geht über den
Luftweg: Lebensmittel und Konsumgüter zu den Minen, auf dem Rückweg nach
Goma Erze für den Export.
Seit dem 11. September sind die Minen von Bisie offiziell geschlossen -
dichtgemacht von Kongos Präsident Joseph Kabila, verkündet in einer Rede in
einem Luxushotel in Goma. "In Anbetracht der Notwendigkeit, den Schmuggel
zu bekämpfen", heißt es in einem neun Tage später nachgereichten Dekret,
"sind alle Bergbauaktivitäten in den Provinzen Maniema, Nord-Kivu und
Süd-Kivu bis auf Weiteres suspendiert." Die Büros der staatlichen Behörden
in den Minengebieten schlossen ihre Türen, die Armee rückte ein.
Jetzt sind die 5.000 Bergleute von Bisie in alle Winde zerstreut, in Goma
herrscht Flaute. Wo sonst Waren aus Asien in den gesamten Ostkongo
weiterverteilt werden, stehen die Märkte still. Auf den zahlreichen
Baustellen immer neuer Protzvillen ruht die Arbeit. Der lokale
Unternehmerverband hat vorgerechnet, dass dem Staat ohne Bergbau in
Nord-Kivu zwei Millionen Dollar Einnahmen im Monat entgehen - ungefähr so
viel wie der gesamte Provinzhaushalt. In den letzten drei Jahren hatte sich
der Handel mit Ostkongos Erzen weitgehend saniert, der Schmuggel ging
zurück.
Das ist jetzt vorbei, fürchtet Patrick Nkusi von der Handelsfirma Metachem,
die auf Ware im Wert von mehreren hunderttausend Dollar sitzengeblieben
ist: "Der Schmuggel blüht, während wir Händler unsere legalen Produkte
nicht mehr loswerden." Vergeblich fordert er, wenigstens seine bereits
verpackten Erze ausführen zu dürfen.
In einem Hotel in Goma sitzen die Mitglieder einer Delegation des
internationalen Verbandes der Zinnindustrie ITRI ratlos vor ihrem Buffet.
Eigentlich wollten sie über ihr neues freiwilliges Regelwerk zu mehr
Transparenz beim Handel mit Ostkongos Erzen informieren. Jetzt erklären die
kongolesischen Exporteure ihren verblüfften Kunden aus den USA und
Malaysia, dass nichts geht. Ein ITRI-Pilotprojekt zur genauen Erfassung
jeder Erzlieferung, das vor wenigen Monaten in der Mine Nyabibwe begonnen
wurde, ist eingestellt. "Wir mussten alles abbrechen", ärgert sich die
irische Projektverantwortliche Karen Hayes. "Die Regierung sollte
wenigstens das Registrieren weiterlaufen lassen und korrekt funktionierende
Minen arbeiten lassen."
Goma Express ist das einzige von einst vier Luftfrachtunternehmen, das
überhaupt noch zwischen Goma und Walikale fliegt, sagt Vorarbeiter Serge
Magaro - und das auch nur noch ein- bis zweimal am Tag statt wie früher
viermal. Weil die Maschinen aus Walikale nun leer zurückkommen statt wie
einst mit Erzen gefüllt, hat die Firma den Frachtpreis auf einen Dollar pro
Kilo verdoppelt. Entsprechend teuer ist alles in Walikale geworden.
In der Transportagentur Tupendano gleich neben Goma Express zeigt der
Arbeiter Issa auf sechs Plastiksäcke mit Kleidung und gebrauchten Schuhen,
die für Walikale bestimmt sind: "Die liegen seit zwei Wochen hier rum."
Normalerweise stapeln sich hier Mehlsäcke, Benzinfässer und Elektronikware
bis zur Decke, behauptet er. "Aber es geht schon lange schlecht, und mit
den Maßnahmen des Staatschefs wurde es noch schlimmer. Walikale hat die
Wirtschaft am Laufen gehalten. Ohne Wirtschaft gibt es kein Leben."
Issa hat neun Kinder, davon sieben schulpflichtig. Sie können nicht mehr
zur Schule gehen - am 25. jedes Monats werfen die staatlichen Schulen die
Kinder hinaus, deren Eltern die fünf bis zehn Dollar Gebühren pro Monat
nicht gezahlt haben, mit denen die Schulen mangels anderer staatlicher
Unterstützung die Lehrer bezahlen. "Früher verdiente ich am Tag 5 bis 20
Dollar", sagt der schmächtige Issa. "Heute? Null." Sein Nachbar, ein
kräftiger junger Bursche, lacht ihn aus. "Selber schuld, wenn du so viele
Kinder hast!"
Das Leben in Birere ist in den besten Zeiten hart. Gomas Geschäftsviertel
ist ein Labyrinth aus Holz- und Lavahütten, das bei Regen in schwarzem
Matsch versinkt und das in der Trockenzeit von grauem Staub bedeckt ist. Es
ist das kämpferische Herz einer geschundenen Millionenstadt. Wenn es in
Birere rumort, zittern Helfer und UN-Mitarbeiter in ihren Luxusenklaven am
Kivu-See. Kongolesen haben eine täglich erneuerbare Lebenserwartung von 24
Stunden - dieses geflügelte Wort stammt von hier, wo hart zugepackt,
ausgeteilt und eingesteckt wird.
Direkt unterhalb der Stelle, wo vor ein paar Jahren ein Passagierflugzeug
auf Hütten stürzte, konzentriert sich der Lebensmittelgroßhandel. Hier
liegt schwarzes Lavageröll auf der Straße statt feinem Sand, damit die
offenen Vorräte an Bohnen, Mais und Reis nicht allzu sehr verstauben.
Überall ist das Klacken der Flaschenverkäufer zu hören, die mit dem
Schlagen des Flaschenöffners ihre Waren anpreisen, die sie auf dem Kopf in
einer Blechschüssel tragen.
Ein kleiner Junge knabbert schüchtern an einer Plastikflasche, während die
Leiterinnen der Frauenorganisation Avepad (Verband der
Lebensmittelverkäufer für Entwicklung) am liebevoll geschnitzten Holztisch,
der ihnen als Büro dient, das tägliche Überleben erklären. Ein
100-Kilo-Sack Maismehl, der 50 Kilometer tief im Landesinneren erworben
wird, kostet dort 30 US-Dollar. Der Transport nach Goma kostet 10, der
Lastenträger in der Stadt bekommt 2, ergibt 42 Dollar. Dann wird das Mehl
nach Ruanda exportiert und für 43 Dollar verkauft. Gewinn: ein Dollar pro
100 Kilo.
Insgesamt stockt das Geschäft, sagt Avepad-Sekretär Jean-Pierre Bikamiso -
bei der Bäuerinnenorganisation ist eine Frau Präsidentin und ein Mann ihr
Sekretär. "Normalerweise kaufen hier die Großhändler ein, um die Bergwerke
zu beliefern. Jetzt wurden die Leute aus den Minen verjagt, also kauft
niemand mehr." Das wirkt sich auf die Einkommen der Bäuerinnen aus: Der
100-Kilo-Sack Bohnen, der im August noch 48 US-Dollar kostete, ist jetzt
auf 42 gefallen, obwohl er eigentlich auf 55 gestiegen sein sollte.
"Die Leute in Goma selbst kaufen keine 100-Kilo-Säcke, sie kaufen zehn Kilo
oder fünf oder nur eins", ärgert sich Mama Koko, die füllige
Avepad-Präsidentin im schwarzen Kopftuch mit silbergestickter
Jesus-Inschrift. "Ihre Ehemänner in den Minen sind arbeitslos und schicken
kein Geld mehr." Ihr Sekretär ergänzt: "Die Staatsdiener werden nicht
bezahlt. Die Regierung sollte das Bergbauverbot aufheben, damit das Leben
wieder anfängt."
Ohne Wirtschaft kein Frieden, sagt Mama Koko. "Frieden hängt davon ab, dass
die Menschen beschäftigt sind. Wenn jemand studiert hat und im Monat nur 50
Dollar verdient und er erfährt, dass sich eine Miliz gebildet hat, wird er
sich ihr anschließen", erzählt Mama Koko. Das Leben werde immer schlechter
hier, weil es keine Arbeit gibt. "Eine Zeit lang haben Hilfswerke viele
Leute eingestellt, aber das ist nicht von Dauer. Man könnte doch die
Straßen wieder herrichten, Bauarbeiter einstellen, dann hätten die Menschen
Arbeit! Es gibt keinen Frieden ohne Arbeit."
Die Händlerinnen von Goma geben nicht auf. In einem der Avepad-Lagerhäuser,
wo die 1.200 Mitglieder des Verbands ihre Ernte einlagern, zeigt Mama Koko
die Bohnensorten Nord-Kivus: lauter kleine bunte Kugeln. Die hochwertigen
roten oder schwarzen Bohnen gehen ins nahe Ruanda. Die minderwertigen
grünen werden in die 2.000 Kilometer entfernte Hauptstadt Kinshasa
geliefert. "Die muss man nur zwanzig Minuten kochen, unsere hier brauchen
zwei Stunden", erklärt eine Bäuerin - mit einem Seitenhieb auf die ferne
Zehn-Millionen-Metropole: "In Kinshasa haben sie ja keine Zeit zum Kochen."
Die Frauen brechen in Gelächter aus.
12 Oct 2010
## AUTOREN
(DIR) Dominic Johnson
## TAGS
(DIR) Kongo
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