# taz.de -- Kommentar Studie zu NS-Diplomaten: Moral post mortem
       
       > Es ist etwas merkwürdig, dass man sich erst in dem Moment, in dem die
       > Tätergeneration verschwunden ist, entsetzt zeigt und fassungslos
       > feststellt, was alles schon bekannt war.
       
 (IMG) Bild: Der ehemalige NS-Marinerichter Hans Filbinger (l) und sein Weißwäscher Günther Oettinger (r) (Archivbild von 2006).
       
       Die Bundesrepublik, so hört man oft, hat die NS-Geschichte ordentlich
       bewältigt. Es hat zwar etwas gedauert, weil man in den 50er Jahren mit
       Wiederaufbau beschäftigt war, aber mit den 68ern kam Schwung in die
       Gedenkbranche. Manchmal bestaunen kluge ausländische Beobachter, wie
       beispiellos intensiv Deutschland der eigenen Verbrechen gedenkt. In der
       zweiten Generation nimmt man solches Lob mit der angemessenen Mischung aus
       Scham und ein bisschen Stolz zur Kenntnis.
       
       Für diese Art Selbstzufriedenheit gibt es keinen Grund. Die Studie über das
       Auswärtige Amt verdeutlicht noch mal, was längst bekannt ist. Die Eliten in
       Justiz und Wirtschaft, in den Ministerien und Beamtenapparaten waren vor
       und nach 1945 nahezu die gleichen. Und allzu oft verhinderten sie nach 1945
       erfolgreich, dass publik wurde, welche Rolle sie im NS-System gespielt
       hatten. Das war Teil der Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik. Man brauchte
       effektive Eliten, die tun sollten, was sie konnten: funktionieren.
       Antifaschismus war etwas fürs Ausland und Sonntagsreden.
       
       Es ist richtig, auch 2010 die Studie über das Auswärtige Amt zu
       veröffentlichen. Und richtig ist auch, wenn Westerwelle "Das Amt" zur
       Pflichtlektüre für die Diplomaten macht. Das mag eine seiner bedeutenderen
       Taten sein. Aber: Dies ist ein Streit um Nachrufe. Die Globkes und
       Filbingers sind tot.
       
       Es ist etwas merkwürdig, dass man sich in dem Moment, in dem die
       Tätergeneration verschwunden ist, entsetzt zeigt und fassungslos
       feststellt, was alles schon bekannt war, aber in den letzten Jahrzehnten
       niemand so recht interessiert hatte. Was da sichtbar wird, ist eine Moral
       post mortem. Sie passt zu der bundesdeutschen Vergangenheitsbewältigung, in
       der es große Symbole, schillernde Debatten, wichtige Reden gab - und
       Wegschauen, wo es um konkrete Karrieren ging.
       
       28 Oct 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Stefan Reinecke
       
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