# taz.de -- Historiker-Studie über NS-Diplomaten: "Mord als Dienstgeschäft"
       
       > Bei der Übergabe der Historikerstudie zur Rolle deutscher Diplomaten in
       > der Nazizeit findet Außenminister Guido Westerwelle ausnahmsweise mal das
       > richtige Maß.
       
 (IMG) Bild: Nach rund vier Jahren Forschung: Historiker Eckart Conze (links) überreicht Außenminister Guido Westerwelle die Studie "Das Amt und die Vergangenheit".
       
       Das sperrige Wort "Nachruf-Praxis" sprach Guido Westerwelle nicht aus. Aber
       das musste der Minister auch nicht. Auch so hing es in der Luft der
       holzgetäfelten Bibliothek im Auswärtigen Amt, wo er seine Rede hielt. Seit
       zwei Tagen drohte der Außenminister in den Strudel einer Debatte darüber zu
       geraten, wie das Außenministerium mit einstigen Mitarbeitern mit
       Nazivergangenheit umgeht. Eine von ihm geänderte Praxis der Nachrufe für
       Mitarbeiter geriet in die Schlagzeilen. Jedes Wort konnte da das falsche
       sein.
       
       Aber der Reihe nach.
       
       Am Donnerstagnachmittag nahm Westerwelle eine von seinem Vorvorgänger
       Joschka Fischer in Auftrag gegebene Studie entgegen namens "Das Amt und die
       Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der
       Bundesrepublik". Die von vier Historikern aus Deutschland, den USA und
       Israel geleitete Kommission hat seit 2006 erforscht, in welchem Ausmaß sich
       das Amt an Nazi-Verbrechen beteiligte und wie es in der Bundesrepublik mit
       diesem Erbe umging.
       
       Das Ergebnis war für Experten nicht ganz neu: Das Amt machte nicht nur mit,
       schob Verbrechen sogar selbst an und war niemals ein Hort hinhaltenden
       Widerstands gegen Hitler. Doch überraschte selbst die Kommissionsmitglieder
       das Ausmaß der Vertuschung und Gleichgültigkeit der selbsterklärten Elite
       nach dem Krieg.
       
       Auch deshalb bemühte sich Westerwelle in seiner Rede um etwas, das ihm seit
       Beginn seiner politischen Karriere schwer fällt: ums richtige Maß. Es
       gelang ihm.
       
       Das seit Ende der 70er-Jahre immer genauer erforschte Bild des Auswärtigen
       Amts in der Nazizeit werde durch die Studie "runder", sagte Westerwelle mit
       staatstragender Miene, in Details auch "klarer". "In diesem Amt konnte man
       Mord als Dienstgeschäft abrechnen." Am Ende sei die Forschung "längst
       nicht".
       
       So weit, so unstrittig. Doch ging Westerwelle auch auf einen pikanten Punkt
       ein. Wie erst vor wenigen Tagen bekannt wurde, hat das Auswärtige Amt im
       vergangenen Februar eine Regelung geändert, die der damalige Außenminister
       Joschka Fischer 2003 eingeführt hatte. Dieser bestimmte, begleitet von
       heftigen Protesten ehemaliger Diplomaten: Der Tod einstiger Mitglieder von
       NSDAP, SS und SA, die im Auswärtigen Amt arbeiteten, wird in der
       Mitarbeiterzeitschrift "Intern AA" nur noch mit Namensnennung verkündet.
       Zuvor hatte jeder Tote eine ausführliche Würdigung erhalten inklusive der
       Formulierung, das Ministerium werde ihm ein "ehrendes Andenken" bewahren.
       
       Seit acht Monaten gilt eine abgeschwächte Regelung: Für Mitarbeiter, die
       1928 oder später geboren wurden, ist laut Auswärtigem Amt ohne Prüfung eine
       persönliche posthume Würdigung im Mitarbeiterblatt wieder möglich.
       Begründung: Bei Kriegsende 1945 seien diese Personen noch nicht volljährig
       gewesen. Wer vor 1928 geboren wurde, werde weiterhin überprüft. Mitglieder
       der NSDAP oder einer ihrer vielen Unterorganisationen bekämen "in der
       Regel" keinen individualisierten Nachruf. Nur die Nachricht des Todes
       werde, wie in den vergangenen Jahren üblich, vermeldet.
       
       Daraufhin kritisierte die Grüne Kerstin Müller, Staatsministerin unter
       Fischer, [1][gegenüber Spiegel Online]: "Vor dem Hintergrund der Ergebnisse
       der Historikerkommission mutet die Aufweichung der Nachrufregelung wie ein
       Kniefall vor denjenigen an, die sich seinerzeit über die Maßnahme Fischers
       aufgeregt haben."
       
       Westerwelle als Erfüllungsgehilfe selbstgerechter Ex-Bediensteter eines
       Ministeriums, das fast drei Jahrzehnte lang von der FDP geführt wurde?
       Diesen Verdacht wollte der Minister abschütteln. "Einem Menschen wird man
       nur gerecht, wenn man sehr genau hinsieht", sagte er. Zu jenen wenigen, die
       im Auswärtigen Amt Widerstand leisteten und dafür getötet wurden, zählten
       auch NSDAP-Mitglieder. Doch: "Eines ist ganz klar. Nazis werden nicht
       geehrt."
       
       Deshalb werde sich eine Arbeitsgruppe unter Leitung seines Staatsministers
       Peter Ammon mit der Frage befassen, welcher Ex-Mitarbeiter künftig welche
       offizielle Ehrung erhält. Die Studie werde "fester Bestandteil der
       Ausbildung deutscher Diplomaten sein". In den hinteren Reihen applaudierte
       der Nachwuchs. Bislang aber, sagte einer von ihnen, hätten sie in ihrer
       Ausbildung nichts gehört über die Vergangenheit des Hauses.
       
       28 Oct 2010
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,725500,00.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Matthias Lohre
       
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