# taz.de -- Kommentar Castor-Protest: Massenhafte Selbstermächtigung
       
       > Politischer Widerstand gegen die inakzeptable Atompolitik vermag nur dann
       > den Verantwortlichen zuzusetzen, wenn er sowohl in die Breite wächst als
       > auch tatsächlich stört.
       
       Würden Sie sich gern mal richtig vermöbeln lassen? Nein? Dann ist schon
       diese höchst nachvollziehbare Haltung Grund genug, den gegen den
       Castortransport Protestierenden im Wendland Respekt zu zollen.
       
       Am Wochenende kamen erstmals 50.000 Menschen aus ganz Deutschland ins
       Wendland, um friedlich gegen Atomkraft und deren Folgen zu demonstrieren.
       Etliche tausend von ihnen blockierten mithilfe von Sitzblockaden Schienen
       und Straßen. Etwa 4.000 Menschen - meist ebenfalls friedlich - nahmen bei
       vollem Bewusstsein Prügel, Pfefferspray und Tränengas in Kauf, um mit dem
       Wegräumen des Schotters von den Bahnschienen, dem sogenannten Schottern, zu
       versuchen, den Castortransport effektiv zu verhindern. Damit ist etwas
       zurückgekehrt in die Freie Republik Wendland, von dem frühere Kämpfer gern
       rückblickend schwärmen: Aus Protest ist wieder waschechter Widerstand
       geworden. Und genau der ist, leider, bitter nötig.
       
       Denn politischer Widerstand gegen die inakzeptable Atompolitik der
       Bundesregierung vermag nur dann den Verantwortlichen zuzusetzen, wenn er
       sowohl in die Breite wächst als auch tatsächlich stört. Gewöhnlich gilt ja:
       Wird eine Bewegung breiter, also bürgerlicher, dann tut sie niemandem mehr
       weh. Radikalisiert sie sich hingegen, wendet sich die breite Masse ab. Am
       Wochenende jedoch gelang den AtomkraftgegnerInnen die fruchtbare Verbindung
       beider Phänomene. So hat sich die Struktur der Protestgemeinde im Vergleich
       zu den Vorjahren entscheidend verändert: Wer früher mit der Bewegung
       sympathisierte, aber trotzdem zu Hause blieb, geht heute zur Demo. Wer dort
       schon mal war, ist jetzt Sitzblockierer. Und aus geübten Blockierern sind
       nunmehr "Schotterer" geworden, die offen Sabotageakte ankündigen, also mit
       Gefängnisstrafen und Prügelorgien rechnen müssen.
       
       In dem von Schwarz-Gelb ausgerufenen "Herbst der Entscheidungen" haben sich
       also zigtausende BürgerInnen zu ihrem ganz individuellen Grenzübertritt
       entschlossen und damit die eigenen Emanzipationsperspektiven bewusst
       erweitert. Dem ignoranten Durchsetzen von politisch-wirtschaftlichen
       Großprojekten setzen sie eine hoffnungsvolle Selbstermächtigung entgegen.
       
       Von diesem Wochenende geht die Botschaft aus: Du kannst vieles, wenn du nur
       willst. Und du bist viele.
       
       7 Nov 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Martin Kaul
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Atomkraft
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